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Würgen am Symptom

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Das Plätschern im Wörthersee wirkt auf den Bundeskanzler stimulierend und so wartet er jedes Jahr mit einer Idee auf, die zwar nicht neu ist, aber aus seinem Mund, aus dem man anderes zu hören gewohnt war, originell klingt. Im Vorjahr war es die Baubremse, heuer sind es unter anderem die Gastarbeiter.

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Das Plätschern im Wörthersee wirkt auf den Bundeskanzler stimulierend und so wartet er jedes Jahr mit einer Idee auf, die zwar nicht neu ist, aber aus seinem Mund, aus dem man anderes zu hören gewohnt war, originell klingt. Im Vorjahr war es die Baubremse, heuer sind es unter anderem die Gastarbeiter.

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Den Gastarbeiterstopp hat zwar schon die FPÖ für den Wahlkampf in Wien und Oberösterreich auf ihre Fahnen geschrieben. Der Kanzler möchte ihr aber offenbar nicht das Monopol auf ein attraktives Schlagwort lassen und folgt erblauend ihren Spuren.

Man könnte das Ganze als Gag abtun, und sicherlich würde man Kreisky schlecht kennen, wollte man ihm jeden Hintergedanken absprechen, die ÖVP damit propagandistisch in die Enge zu treiben: Gastarbeiter sind — speziell bei der Arbeiterschaft — unpopulär, nur die Unternehmer haben angesichts des leergefegten Arbeitsmarktes ihre Liebe für sie entdeckt. Wenn nun die ÖVP gegen einen Gastarbeiterstopp auftreten sollte, könnte man ihr einmal mehr das Image einer Unternehmerpartei verpassen.

Aber das Problem ist zu ernst.

Diese Zeitung hat schon zu einer Zeit vor unbegrenzter Expansion der Ausländerbeschäftigung gewarnt, als sich noch Schwarz und Rot im Ko-laric-Enthusiasmus gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Denn es gibt eine kritische Grenze der Ausländerbeschäftigung, deren Uberschreiten unlösbare soziale Probleme aufwirft und mehr wirtschaftliche Nachteile als Vorteile bringt.

Von dieser kritischen Grenze mußte sich mittlerweile die Schweiz überzeugen, so daß sie sich zu drastischen Restriktionen gegen eine weitere Zuwanderung gezwungen sah, und auch in Deutschland werden in allen politischen Lagern Proteste gegen die ungehemmte Vermehrung von ausländischen Arbeitskräften laut.

In Österreich betrug die offizielle Zahl der Gastarbeiter Mitte Juli 237.000, d. s. 9 Prozent aller unselbständig Beschäftigten. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl um mehr als 20 Prozent gestiegen. Dazu kommt noch eine beachtliche Dunkelziffer nicht angemeldeter ausländischer Arbeitskräfte, so daß deren Gesamtzahl (ob zu Recht, ist schwer nachprüfbar) von Finanzminister Androsch auf mehr als 300.000 geschätzt wird.

Aber auch die Zahl der offiziell Gemeldeten erreicht gebietsweise alarmierende Ausmaße: in Vorarlberg sind in manchen Fabriken schon mehr als 50 Prozent der Belegschaft Ausländer, im Raum Wien gibt es Betriebe mit immerhin 30 und mehr Prozent Gastarbeitern.

Es ist daher dem Bundeskanzler durchaus beizupflichten, wenn er einen weiteren Zustrom als nicht mehr tragbar empfindet. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln dieser zurückgedämmt wird. Das scheinbar Nächstliegende wäre das Verkehrteste, nämlich, mit administrativen Maßnahmen einzugreifen, keine neuen Arbeitsgenehmigungen mehr auszustellen und alte nicht zu verlängern. So lange — wie dies heute der Fall ist — die Zahl der offenen Stellen dreizehnmal so groß ist wie die der voll vermittlungsgeeigneten inländischen Arbeitsuchenden, müßte eine Sperrung der Grenzen wirtschaftliche Schäden und eine weiter verstärkte Inflation mit sich bringen.

Die Schweiz hat damit bereits üble Erfahrungen gemacht — und dies, obwohl sie gleichzeitig viel drastischere Konjunkturdämpfungsmaßnahmen als Österreich in Gang gesetzt hat, etwa einen bei weitem rigoroseren Baustopp. Wenn heute das einst klassische Land der Währungsstabilität eine der höchsten Inflationsraten Europas aufweist, so nicht zuletzt wegen der scharfen Gastarbeiterbremse. In Österreich, wo wir auch ohne solchen Maßnahmen eine munter trabende Inflation haben, wären die Folgen nicht abzusehen, wenn der Ausländerstopp als zusätzliche Inflationsursache hinzukäme.

Jede seriöse Beschäftigungspolitik darf daher nicht an den Symptomen — dem Gastarbeiterzustrom — herumdoktern, sondern sie muß den eigentlichen Krankheitsherd — die Konjunkturüberhitzung — behandeln. Nicht der Zustrom, sondern der Bedarf an Arbeitskräften muß langsam und vorsichtig, aber zielstrebig verringert werden.

Die Regierung müßte endlich von diesem unglückseligen Dogma abgehen, es sei in einer überbeschäftigten Wirtschaft die Aufgabe der staatlichen Konjunkturpolitik, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und wenn es als unverzichtbares Prinzip gilt, alle Arbeitsplätze um jeden Preis zu erhalten, so darf es nicht wundern, wenn die Zahl der Ausländer nicht kleiner wird, sondern weiter wächst, wachsen muß, wollen wir die Wirtschaft nicht abwürgen. Was wir brauchen, sind genügend Arbeitsplätze für Österreicher, nicht deren wahllose Vermehrung ohne Rücksicht auf die im Inland vorhandenen Kräfte.

In dieser Beziehung vermißt man aber die Einsicht der Regierung. Der Finanzminister liefert Rekordbudget um Rekordbudget, bewirkt durch immer mehr arbeitsintensive öffentliche Investitionen eine Krebswucherung der Arbeitsplätze, der Bundeskanzler orakelt beinahe im gleichen Atemzug, in dem er den Gastarbeiterstopp verkündet, von einer Lockerung der Baubremse und bemerkt großzügig, das Monsterprojekt der UNO-City werde natürlich von der Baubremse ausgenommen sein.

Wie stellt man sich realistischerweise unter solchen Umständen eine Drosselung der Ausländerbeschäftigung vor? Entweder sie ist nur als Gag, als unverbindliches Wahlversprechen, gedacht, oder die Regierung will die Wirtschaft arbeitskräftemäßig aushungern, um auf diese gefährliche, auf alle Fälle in-flationsfördernde Manier die Überkonjunktur zu dämpfen. Ein Gastarbeiterstopp ohne vorausgehende Maßnahmen zur Verringerung des Gastarbeiterbedarfs ist entweder Geschwätz oder wirtschaftliche Selbstverstümmelung.

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