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Digital In Arbeit

Platzpatronen?

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„Denn die einen stehn im Dunkel, und die andern stehn im Licht“, heißt es in der 3-Groschen-Oper. Aber die im Dunkel, so heißt es weiter, sieht man nicht.

Die im Licht — das sind die Arbeitnehmer in Großbetrieben, sofern sie im Zug einer größeren Entlassungsaktion „freigestellt“ werden. Die im Dunkel, das sind die vielen, die entweder einzeln entlassen werden oder die aus Kleinbetrieben stammen, bei denen auch relativ größere Entlassungen noch immer keine imposante Anzahl ergeben.

Wenn Steyr oder Swarowski oder die Junior-Werke entlassen, dann gibt das in der Presse Schlagzeilen, dann intervenieren der Finanzminister und der Gewerkschaftspräsident — und erzielen zumindest einige Knalleffekte, welche sich auf längere Sicht allerdings als Platzpatronen erweisen dürften.

Für die im Dunkel knallen nicht einmal die arbeitsmarktpolitischen Platzpatronen. Dieser Tage etwa verlautete aus der Eisen- und Metallwarenindustrie, daß in dieser Branche in den letzten fünf Monaten an die 3000 Menschen ganz unauffällig nach und nach gekündigt wurden, weitere 1760 in Kurzarbeit stehen oder demnächst damit zu rechnen haben. Nicht viel anders sieht es in diversen anderen Branchen aus.

Die offiziellen oder offiziell inspirierten Kommentare bagatellisieren dies: Es handle sich um unbedeutende Einzelfälle, so wird behauptet, die Gesamtsituation sei weiterhin rosig. Die Statistik bestätige dies: Im Jänner 1975 hatten wir sogar um 30.100 Beschäftigte mehr als als Vergleichsmonat des Vorjahres — und das zu einer Zeit, in welcher man ringsherum in Europa permanent von Entlassungen hört.

Dies alles hört sich wunderschön an — nur darf man die Sache nicht genauer untersuchen. Wie es in Wirklichkeit aussieht, das drückt das Institut für Wirtschaftsforschung in seinen bekannt zurückhaltenden und ganz gewiß nicht regierungsfeindlichen Formulierungen wie folgt aus:

„Die Zunahme (nämlich der Beschäftigten im Jänner 1975 gegenüber Jänner 1974) beschränkte sich auf Frauen und war zum Teil verzerrt: Etwa 8000 Frauen erhöhten die Zahl der Beschäftigten bloß statistisch, weil Karenzurlauberinnen als Beschäftigte gezählt werden und die Dauer des Karenzurlaubes im Vorjahr ausgeweitet wurde.“

Dies gilt also für 80QQ Frauen. Wie sieht es mit den übrigen Mehrbeschäftigten aus? Ein Großteil davon entfällt — was das Wirtschaftsforschungsinstitut diskreterweise nicht erwähnt — auf mitarbeitende Ehegattinnen, Töchter und Schwiegertöchter von Unternehmern, welche seit Einführung der Individual-besteuerung nach und nach als Angestellte gemeldet wurden und so die Zahl der unselbständig Beschäftigten auf eklatante Weise vermehrt haben. Was doch Einkommen-Steuerreformen für gänzlich unbeabsichtigte Nebeneffekte haben können!

Die Zahl der männlichen Arbeitskräfte ist hingegen geringer als im Vorjahr — und dies, obwohl infolge der milden Temperaturen im Jänner 1975 aus rein saisonalen Gründen nahezu keine Arbeitslosigkeit zu verzeichnen war.

Sehen wir uns hingegen die Kehrseite der Medaille an und fragen wir nicht nach der Zahl der Beschäftigten, sondern nach derjenigen der Arbeitslosen, dann ist das Bild weniger rosig: Die Zahl der Arbeitslosen war im Jänner 1975 um 3400 größer als im Vergleichsmonat des Vorjahres, diejenige der voll Vermittlungsgeeigneten sogar um 11.000 — und das, obwohl die Zahl der Gastarbeiter fühlbar reduziert wurde. Die letztere Zahl ist aber die eigentlich relevante, weil in die Gruppe der beschränkt Vermittlungsgeeigneten speziell in Hochkonjunkturzeiten viele Scheinarbeitslose hineingeraten.

So sieht also der Beschäftigtenboom von hinten aus. Wie man sieht, lügen die Statistiken selbst zwar nicht, wohl aber manchmal ihre Interpreten, indem sie nur eine Seite zeigen. Sicherlich ist die Situation noch nicht alarmierend, wir stehen noch nicht vor einer Massenarbeitslosigkeit, aber sich dieser Situation zu berühmen, besteht wahrhaftig auch wieder kein Anlaß.

Wer unternimmt etwas dagegen? Selbstverständlich tut die Regierung etwas. Sie wäre ja sonst nicht die aktivste und reaktionsschnellste Regierung der Zweiten Republik. Der Bundeskanzler verkündete dieser Tage feierlich einen 12-Milliarden-Investitionsstoß.

Imponierend, kein Zweifel. Das Malheur ist nur, daß man — ebenso wie beim Beschäftigtenboom — nicht genauer hinschauen darf. Sonst bemerkt man nämlich, daß hier gar keine neuen Mittel locker gemacht werden (diese hat ja die Regierung überhaupt nicht), sondern daß alte Mittel mit anderem Etikett dem staunenden Publikum aufs neue präsentiert werden. Gebundene Budgetmittel, eingefrorene ERP-Mittel (zumeist schon durch Vorfinanzierungen eskomptiert), die nun freigegeben werden, und normale Kredite des Bankapparats, welche in eine Zins-verbilligungsaktion einbezogen werden, sonst aber auch der Wirtschaft zur Verfügung gestanden wären —, das ist der ganze Investitionsstoß.

Aber obwohl es sich hier eigentlich nur um einen vorzeitigen und massierten Einsatz von Mitteln handelt, welche im Lauf des Jahres ohnehin freigegeben worden wären, nun aber im Hinblick auf den Wahltermin besonders effektiv placiert werden sollen, ist den Nationalökonomen nicht ganz wohl dabei: Sie fürchten, daß der Investitionsstoß nur ein Inflationsstoß sein und damit ohne beschäftigungspolitischen Effekt verpuffen werde. Es fehlen nämlich die — notwendigerweise unpopulären — flankierenden Maßnahmen, um dies zu verhindern. Was bleibt, ist — bestenfalls — ein psychologischer Effekt.

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