6574212-1950_35_05.jpg
Digital In Arbeit

RandhemerJmngen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

Das Zentralorgan der zweiten Regierungspartei machte dieser Tage im Laufe einer kleinen und ziemlich hitzigen Kontroverse mit dem politischen Gegner den Vorschlag, künftig „die Demokratie nicht mehr durch Schimpforgien zu diskreditieren“. Politische Polemik sei ein Lebenselement der Demokratie — aber sie dürfe nicht mit Schimpfreden verwechselt werden. — Dieser Vorschlag verdient alle Achtung und sollte befolgt werden; es besteht zwar kein Zweifel, daß sich der politische Verkehrston der zweiten österreichischen Republik von jenem, der in der ersten Republik oft gang und gäbe war, vorteilhaft unterscheidet. Bemühte sich damals die Polemik oft nach Kräften, dem Gegner Verachtung zu bezeigen, so bemüht man sich heute bisweilen doch schon — wenn auch mitunter aus der Rolle fallend — dem Andersdenkenden Achtung zu erweisen; das sind dann Augenblicke, in denen die Demokratie als große Versöhnerin sichtbar wird. Immerhin, Mahnungen zum guten Ton sind niemals überflüssig. — Vielleicht wäre es angezeigt, dem Vorschlag einen zweiten anzufügen: Wie wäre es, wollte man endlich auch dem Humor und selbst der Ironie in der politischen Polemik Platz einräumen? Ein treffender Zwischenruf oder ein einziger klug pointierter Ausspruch eines Politikers wären mehr als viele trockene Reden geeignet, dem Mann auf der Straße Interesse für aktuelle Tagesfragen abzugewinnen. Man braucht an dieser Stelle nicht das englische Parlament zu iitier'en. In der Tat: Wo nicht geschimpft loird, dort freut sich die Demokratie. Wo im politischen Leben Humor herrscht, dort lächelt sie mit.

Die Serie scheußlicher Verbrechen, von denen unser Land in diesem Sommer heimgesucht wird, hat in weiten Kreisen der Bevölkerung die Frage laut werden fassen, ob die Abschaffung der Todesstrafe im Frühjahr nicht vielleicht doch übereilt gewesen ist. Wohl läßt sich nicht mit Sicherheit ein Zusammenhang zwischen der Aufhebung der Todesstrafe und dem Ansteigen der todeswürdigen Verbrechen herstellen, und der Meinung der Anhänger der Todesstrafe steht die wohl auch nicht unbegründete Ansicht gegenüber, daß der Verbrecher im Augenblick der Tat nie' ans Gefaßtwerden und an die möglichen Straffolgen denkt. Immerhin ist hier eine -wichtige Frage gegeben, in der jeder einzelne seine' bestimmte Meinung besitzt, während die beiden großen Regierungsparteien des Landes ihre Haltung nicht festgelegt haben und in ihren Reihen sowohl entschiedene Gegner wie Anhänger der Todesstrafe zählen. Deshalb wäre hier wähl eine Gelegenheit gegeben, auf das in der Verfassung vorgesehene, aber bisher leider völlig vernachlässigte Mittel des Volksentscheids zurückzugreifen, wofür sich auch ein wichtiger rechtlicher Grund ins Treffen führen ließe. Da die Parteien in dieser Frage keine festgelegte programmatische Meinung haben, besitzen ihre auf Grund des Listenwahlrechts gewählten Abgeordneten letzten Endes auch nicht die entsprechende Vollmacht ihrer Wählerschaft, darüber zu entscheiden. Der Wähler hat dieser oder jener Partei und ihren Kandidaten aus weltanschaulichen, politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Erwägungen seine Stimme gegeben, nicht aber im Hinblick auf eine Frage wie, die. der Todesstrafe, über die zu urteilen Angelegenheit der letzten persönlichen Entscheidung ist.

Der von den „Statistischen Nachrichten“ vorgelegte Bericht über die Leistungen der Bundesbahnen in den Jahren

1948 und 1949 zeigt im allgemeinen keine sensationellen Zahlen, gibt aber in . kleinen Einzelheiten einen recht charakteristischen Einblick in die Lage unseres Landes und unserer Wirtschaft. Das Gesamtnetz hat um 3,1 Kilometer abgenommen, die elektrischen Strecken um 66,1 Kilometer zugenommen. Der Wiederaufbau war

1949 fast zum Abschluß gelangt: Von 2705,4 Kilometer zerstörten Strecken waren 2479,1 Kilometer, von 381 zerstörten Brücken 371 wieder instand gesetzt. Die Betriebsleistungen nahmen beträchtlich zu, die Zugkilometer um 23,6 Prozent, die Bruttotonnenkilometer um 8,5 Prozent gegenüber 1948, womit der Höchststand der Vorkriegs-leistungen übertroffen wurde. Im Personenverkehr nahmen die gefahrenen Zugkilometer sogar um 34 Prozent zu, dafür nahm aber die Zahl der beförderten Personen von 124 auf 111 Millionen ab (—10,4 Prozent), eine Folge der Einstellung der „Hamsterfahrten“, der geringen Geldmittel und des gesteigerten Autoverkehrs. Der Güterwagenverkehr zeigte hingegen eine Zunahme der Zugkilometer, um 11,6 Prozent. Aus diesen Zahlen ist ganz allgemein die wirtschaftliche Stabilisierung zu erkennen. Bemerkenswert ist aber vor, . allem die Umschichtung des Personals:

Während die Zahl der Arbeiter von 43.276 auf 21.788 fiel, stieg die Zahl der Beamten innerhalb eines Jahres von 42.674 auf 58.708. Die Gesamtzahl der Bediensteten betrug 80.712, dagegen die der Pensionisten 82.526. Ob man diese Personalverhältnisse als gesund bezeichnen kann, ist wohl sehr fraglich. Über das Defizit der Bundesbahnen ist weiter kein Wort zu verlieren: es ist natürlich stehengeblieben, wobei der Personalaufwand 1949 1202 Millionen, der Sachaufwand nur 712,9 Millionen Schilling betrug, ein schon sehr erstaunliches Uberwiegen der Personalausgaben über die Sachaufwendungen. Das bedeutet praktisch, daß sehr viele Staatsbürger ihr Urlaubsgeld nicht zu Bahnfahrten benutzen können, sondern es gleich zur Deckung des Bundesbahndefizits und der Bundesbahnpersonalausgaben in Form von kleinen Steuerspenden auf das Finanzamt tragen '.nüssen.

In der Modegestalt eines Totowürfels wirbt zur Zeit die moderne Sphinx von den Plakatwänden für das eben einsetzende zweite Spieljahr. Zwar beginnt dieses ohne die vielberufene Reform an Haupt und Gliedern, abgesehen davon, daß das „kleine Glück“ nun bereits bei 4-S-Gewinnen be- . firinnen und man diese noch eine Woche später wird reklamieren dürfen als bisher — falls auch der Alliiertenrat keinen Einspruch dagegen erhebt. Dafür sind aus der Toto-Rätselgleichung des Vorjahres nun auch die letzten der zahlreichen Unbekannten eliminiert oder haben sich vielmehr nun sämtlich in einer 88-Millionen-Bilanz aufgelöst, die die Totodirektion zum neuen Spieljahr vorgelegt hat. Unter den hundert-tausenden davon Beteiligten gibt es freilich eine ganze Reihe von Menschen, di£ dem unsicheren Griff nach dem Füllhorn Fortunas einen bescheidenen, dafür aber sicheren Verdienst am Toto vorzogen und sich derart mit der Arbeit der Gewinn-ermittlung an den Wettscheinen der anderen begnügten. Es war gewiß erfreulich, daß hier etwa 600 Personen im vergangenen Jahr Verdienst finden konnten. Entgegen den offiziellen Aussendungen kann jedoch, wer in der Totodirektion zwecks Beschäftigung vorspricht, erfahren, daß man dort — ganz im Gegenteil — jetzt Einschränkungen in Erwägung zieht. Der bisherige Umsatz habe die Erwartungen nämlich erst zu 50 Prozent erfüllt. Die Totosphinx ist also ferne'davon satt zu sein. Ob nicht freilich vom Ertrag des nur „50pr6zentigen“ Umsatzes allein etwa wesentlich mehr als 600 Leute hätten satt werden können, gesetzt den Fall, er wäre produktiver „eingesetzt“ worden — diese einfache Schlußrechnung dürfte allerdings kaum eine der sonst so zahlreichen Totounbekannten aufweisen.

Das Arbeitsreclit in der Ostzone ist bereits, weitgehend sowjetisiert; in Sowjetrußland bestehende Bestimmungen werden heute wörtlich übernommen. — Für Ende Juli, 1950 hat das ostzonale „Gesetz der Arbeit“ eine neue Kündigungsverordnung in Aussicht gestellt, die nach den bisherigen Nachrichten eine allgemeine Kündigung' frist von einem Monat vorsehen und den Kündigungsschutz für ältere Angestellte be--seitigen wird. Was sie an weiteren Verschlechterungen des deutschen Arbeitsrechtes bringen wird, das deuten — tüte die Münchner „Neue Zeitung“ vermerkt —. bereits die letzten Arbeitsgerichtsurteile aus der Ostzone an. Der „Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen der Sowjetzone“ weist darauf hin, das Landesarbeitsgericht Sachsen habe auf die Klage eines entlassenen Justizangestellten entschieden, daß „die Angabe von Gründen für eine Kündigung den staatlichen Interessen abträglich s e i“, denn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses könne „durch Tatsachen ausgelöst worden sein, die den Gegenstand einer geheimen Verschlußsache bilden“. Das Urteil stellt weiter fest, nach der Verfassung und dem Gesetz der Arbeit sei zwar das Recht auf Arbeit verbürgt, nicht dagegen auf einen bestimmten Arbeitsplatz. Nach sowjetischem Recht ist für das Ausscheiden aus einem Betrieb und die Annahme einer neuen Arbeit die Zustimmung der Betriebsleitung erforderlich. Eigenmächtige Aufgabe der Arbeit wird strafrechtlich verfolgt und mit Gefängnis von zwei bis vier Monaten bestraft. Das sowjetische Arbeitsrecht enthält noch folgende Disziplinarmaßnahmen: Strafversetzung, Zwangsarbeit bis zu sechs Monaten und Lohnsenkung bis zu 25 Prozent für ungerechtfertigtes Fernbleiben von der Arbeit und für Zuspätkommen von mehr als 20 Minuten. Die Einführung dieser Disziplinar-maßregeln fehlt noch in der Ostzone, um das Arbeiterparadies vollständig zu machen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung