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Randhemerkungen zur woche

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DER HERR JUSTIZMINISTER TSCHADER läßt die Öffentlichkeit wissen, daß er eine Reihe von Reformen vorhat, an die er jedoch nur behutsam schreiten wolle. Den Vorsatz hört man um so lieber, als es heikelste Partien sind, an die er herantreten möchte. So, wenn die Reform des Familienrechtes in Aussicht gestellt wird, eines Rechtsgebietes, das heute von so heftigen Strömungen umspült wird, daß es in der Tat an der Zeit wäre, mit größter Sorgfalt diese bedrohte Grundfeste der Gesellschaft zu schützen. Man braucht aus dem Justizministerium sozusagen nur um die Ecke zu gehen, um sich im Statistischen Zentralamt die Zoll um Zoll mit unheimlicher Stetigkeit fortschreitende Unterminierung dieser Grundfeste beziffern zu lassen. Zur selben Zeit, da die amtlichen statistischen Tabellen das Unfruchtbarwerden der Ehen, ein Fallen der Geburtsrate innerhalb knapp, zweier Generationen, die Dezimierung des natürlichen Bevölkerungsnachwuchses von 32 auf 14 Prozent im Durchschnitt des ganzen Landes und für Wien gegenüber 23.828 Todesfällen nur 12.780 Geburten nachweist, überrascht es zu hören, daß man daran denkt, die V ernichtung des keimenden Lebens aus der strafrechtlichen Qualifikation des 144 in die Gruppe der Vergehen zu übersetzen, und dies mit dem Hinioets, daß ohnehin die Spruchpraxis der Gerichte vielfach nur bedingte Arreststrafen verhängt. Mit anderen Worten: Weichen wir vor der schweren Erkrankung unserer Gemeinschaft zurück, verharmlosen wir das Übel, das namentlich in der bürgerlichen Welt, in den besitzenden Klassen sitzt, und hoffen wir, daß es dann besser wird. Es fehlt nur noch, daß die Tötung des menschlichen Lebens im Mutterleib bei Erlag einer Geldtaxe zugelassen wird. Der Totentanz soll also weitergehen. An ihm gehen nicht nur Kindesleben, sondern u n-zählig e Familien zugrunde. „Reform der Familie?“ An dem Schutz des keimenden Lebens hat sie zu beginnen.

EIN UNERFREULICHES NACHSPIEL DER STUDENTENWAHLEN ist zu verzeichnen. Zwar besuchen wie eh und je die Studenten in vollkommener Ruhe und Ordnung ihre Vorlesungen und Seminare, aber ihre neugewählten Vertretungen wollen nicht zur Ruhe kommen. Die Konstituierung der Ausschüsse an den einzelnen Hochschulen wie der gesamtösterreichischen Vertretung bereitet ihnen Schwierigkeiten. Seit einem Monat wird eine Sitzung nach der andern abgehalten, Fraktionsbesprechung folgt auf Fraktionsbesprechung. Die bewährte kollegiale Zusammenarbeit zwischen den Hochschülern jener Gruppen, die bisher gemeinsam die Verantwortung trugen, besteht eine Belastungsprobe. Neue Kräfte haben sich gemeldet und die Versuchung war groß, im kleinen Rahmen große Politik zu spielen und zu versuchen, in der neuen Situation den Gruppeninteressen zu einem möglichst großen Erfolg zu verhelfen. Und so ist es auch geschehen. In Graz entdeckten die sozialistischen Studenten, nachdem verschiedene ihrer Forderungen nicht erfüllt worden waren, plötzlich Sympathien für die Kollegen der „nationalen“ Fraktion und obstruierten gemeinsam die Einberufung des Studentenausschusses und in Wien trägt sich, bewogen durch die Grazer Ereignisse, die andere Seite mit dem wenn auch freilich nicht unbestrittenen Gedanken, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und unter Ausschluß der Sozialisten VdU-Studenten in die Verwaltung und Verantwortung einzubeziehen. Diese Art der Austragung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hochschülern, die sich in letzter Zeit eingeschlichen hat, will nicht gefallen. Sie läuft darauf hinaus, parteipolitische Methoden in das akademische Leben zu übertragen. Die vielen Stimmenthaltungen des letzten Wahlganges sollten genügen, um die Studentenvertretung auf ihre wahren Aufgaben aufmerksam zu machen.

DIE WIENER PRIVATTHEATER sehen sorgenvoll in die Zukunft: sie bezeichnen die Kollektivverträge mit der Schauspielergewerkschaft angesichts der gegenwärtigen Lage für den Theaterdirektor als untragbar; die Zuschauerräume der Theater müßten — was sie eben nicht sind — mindestens zu zwei Drittel gefüllt sein, um die Gestehungskosten halbwegs hereinzubringen usw. Die Privattheater sind der Meinung, daß sie künftighin entweder beträchtlich erhöhte Subventionen erhalten — es wurde sogar andeutungsweise die Zahl von sieben Millionen Schilling genannt — oder aber zum sogenannten „Producer-System“ übergehen müßten, das keine festen Schauspielerensembles kennt, sondern mit je nach Bedarf zusammengestellten Schauspielertruppen und nach rein kommerziellen Gesichtspunkten eine jeweils gemietete Bühne „bespielt“, wodurch sich, wie leicht einzusehen, die Struktur des Wiener Theaters gründlich ändern würde. — Die Lage der

Wiener Privattheater ist sicherlich bedauernswert mißlich; es ist auch bekannt, daß die Direktoren an der Spielplanmisere nicht allein schuld sind, weil ein Teil der Verleger aus schlechtverstandenen geschäftlichen Rücksichten oft die besten und interessantesten neuen Stücke gerade für die kleineren Theater blockiert, um sie, wenn möglich, den größeren, höhere Tantiemen garantierenden Bühnen zu überlassen. Dennoch: es fehlt einfach an Wagemut. Die Privattheater hielten sich im vergangenen Jahr allzusehr an „Erfolgsstücke“, bedachten aber oft nicht, daß das, was Anno dazumal als Erfolgsstück galt, es deswegen heute nicht auch noch sein muß; auch hatte der Außenstehende bisweilen den unguten Eindruck, daß sich manche Direktoren allzusehr auf die Hilfe der öffentlichen Hand verlassen haben und die Dinge laufen ließen, w$ sie nun einmal,gut oder schlecht, liefen.

EINE IN ÖSTERREICH BESONDERS BEACHTLICHE ÄNDERUNG DER EHEGESETZGEBUNG plant im Rahmen einer allgemeinen Erneuerung der kirchenpolitischen Legislatur die schwedische Regierung. Ihr liegt gegenwärtig ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor, der auf ein Gutachten der sogenannten Dis-senterkommission zurückgeht, das bestimmt ist, das bisherige Verhältnis der außer der Staatskirche stehenden Konfessionen neu zu gestalten. Der Entwurf ist noch bemerkenswerter deshalb, weil er das Vorhaben einer sozialistischen Regierung kennzeichnet. Schweden ist ein zu 99,6 Prozent protestantisches Land, dessen Staatskirche in den letzten Jahrzehnten mit einem zahlreichen Sektenwesen zu kämpfen hatte, bis die überragende Persönlichkeit Bischof Söder-bloms Wandel schuf. Bis vor 100 Jahren beantworteten die Landesgesetze den Austritt aus der Landeskirche mit Verlust der Staatsbürgerschaft. Stufenweise, in den siebziger Jahren, gemildert, ließen sie immerhin Katholiken bisher nicht zu einem öffentlichen Lehramt zu. Der Katholik hatte auch für die Staatskirche Steuerverpflichtung. Die kleine Anzahl von Katholiken wurde durch Überführungen von polnischen Katholiken, die das Schwedische Rote Kreuz aus deutschen Konzentrationslagern ins Land brachte, auf 11.000 erhöht. Die neue Gesetzesvorlage atmet den Geist einer schönen Toleranz und christlichen Gemeinschaftsbewußtseins. Sie sieht unter anderem die wichtige Bestimmung vor, daß Priester anerkannter religiöser Gemeinschaften, also auch katholische Seelsorger, das Recht staatlich gültiger Matrikenführung und die vor ihnen erfolgten Eheschließungen staatliche Gültigkeit haben. Die Gesetzesvorlage sieht auch die Zulassung der Katholiken zu

öffentlichen Ämtern vor.

WAS FLÜCHTLINGSELEND heißt, diese Not, die nach der Austreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und den Ostgebieten Österreich und Deutschland in erschütterndem und noch nicht beendetem Geschehen erlebt haben, das bekommen jetzt aus der Nähe die Alliierten in Korea zu Gesicht, in dieser von Not und Tod begleiteten Flüchtlingsüberschwemmung. In dem verwüsteten Lande, in dem den Menschen auf der Flucht ringsum nur mehr Ruinen entgegenstarren, ist die medizinische Betreuung für diese Hunderttausende vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt. Und doch gilt es zu verhindern, daß das vergiftete Land zu einem Seuchenherd werde, der seine Miasmen weit in die Umwelt ausschütte. Siebzehn Arbeitsgruppen“ des Südkoreanischen Roten Kreuzes sind alles, was bisher zur Verfügung stand, jede Gruppe bestehend aus je zwei Ärzten, einem Apotheker, einem Krankenpfleger und einem Sekretär, ergänzt durch eine mobile Ambulanz. Zum Glück besteht an Sanitätsmaterial kein Mangel, da die Vbriinten Nationen reichliche Mengen liefern. Die größte Zahl von Flüchtlingen befindet sich zur Zeit im Hafen Fusan, wo in fünfzig Aufnahmelagern rund 42.000 Personen beherbergt werden. Dazu kommen gegen 300.000, die in Privathäusern, auf Straßen, in Höhlen und Wäldern hausen. Auf der Insel Koje auf der Höhe von Masan sammeln sich weitere 100.000. Gegenwärtig wird auch die Insel Cheju-Do zur Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet, um allenfalls Platz für rund 2 Millionen Menschen zu schaffen. Da die Insel sehr unwirtlich ist und trotz ihrer Größe nur von 350.000 Menschen bewohnt wird, sind gewaltige Investitionen notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Dia Leitung aller Maßnahmen, an denen auch das Genfer Rote Kreuz mithilft, liegt in der Hand von Dr. Kim Sung Hyun, einem früheren Professor an der Universität Seoul.

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