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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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NSDAP und FPOe. Die einstige Hitler-Partei und die neue Freiheitliche Partei Oesterreichs auch nur in einem Atemzug zu nennen, geschweige denn Rückschlüsse auf das „Stammpersonal“ der neuen Partei zu ziehen, all das wird stets als übelwollende „Feindpropaganda“ von den Wortführern eben jener FPOe zurückgewiesen. Gerne möchte man sich überzeugen lassen. Dann darf man aber nicht gelegentlich die „Neue Front“ zur Hand nehmen. In der Nummer vom 21. Juli kann man nämlich lesen, dafj die neue FPOe unlängst, als in Wien ein Mann zu Grabe getragen wurde, der als stell-veriretender Gauleiter der NSDAP von Wien zur namhaften NS-Prominenz gehört hatte, zwei Politiker der FPOe — unter ihnen ein recht bekannter Nationalrat — als „offizielle Vertreter“ ihrer Partei feilgenommen und auch „einen Kranz an der Bahre des Toten“ niedergelegt hatten. Nach solchen Demonstrationen wird es in der Zukunft der FPOe verdammt schwerer fallen, alle inneren Fäden zu einem unguten Gestern abzuleugnen.

DIE SCHUSSE VON LEIBNITZ, welche zwischen einem jugoslawischen Flüchtling und einem Revierinspektor der österreichischen Gendarmerie gewechselt wurden, wobei der Beamte verletzt, der Fremde getötet wurde, sollte man nicht dramatisieren — wie das in der steirischen Lokalpresse geschah —, auch nicht bagatellisieren, wie dies die Blätter der Bundeshauptstadt stellenweise beliebten, und schon gar nicht, wie dies ganz links geübt wurde, zu dem tief bedauerlichen Vorfall nächst Znaim paral-lelschallen. Mit dem immer mehr steigenden Zustrom der echten Flüchtlinge, die aus Jugoslawien illegal die Grenze passieren, kommen unleugbar kriminelle Elemente und —worauf wir später noch zu sprechen kommen — politische Agenten. Der Bundesminister für Inneres hat betont, dafj seit dem Abzug der Besatzungstruppen die Verantwortlichkeit für alle Flüchtlinge aus den Volksdemokratien auf die österreichischen Behörde übergegangen ist, und dafj sich die Bundesregierung aller Verantwortlichkeit, wie sie aus dem Staatsver'trag resultiert, bewufjt bleibt. Der Minister hat klare Worte für jene Menschen gefunden, welche aus Furcht vor einem bestimmten politischen Regime fliehen, und erwähnt, dafj Oesterreich im Sinne seiner allgemeinen Verantwortlichkeit auch der Genter Flüchtlingskonvention beigetreten sei. Wir werden die Asylbesfimmungen in menschlich-konzilianter Weise handhaben und sind die letzteri', welchen Verständnis für die seelischen Nöte ermangelt, denken Menschen in einem totalitären Staat ausgesetzt sind. Anderseits aber dürfen wir die Besorgnisse der unfer-sfeirischen Bevölkerung — Leibnitz liegt nur 13 Kilometer von der Grenze entfernt — vor ideologischer Unterwanderung keineswegs in den Wind schlagen. Wenn ein paar Tage nach dem Schußwechsel neuerlich 13 Flüchtlings im Bezirk Leibnitz ankamen, und sich darunter ein Mann befand, der zugab, vorher in jugoslawischen Kurhotels mit der Aufgabe betraut gewesen zu sein, österreichische Sommergäste zu bespitzeln; wegen der Weigerung, diese patriotische Tätigkeit auf unserem Staatsgebiet fortzusetzen, die Flucht angetreten zu haben: so kann man sich beiläufig eine Vorstellung machen, wie viele dunkle Existenzen mit den echten Flüchtlingen eingeschleust werden und wie viele noch dazu als Agenten mit regulären Pässen einreisen. Diese Leute sind es, welchen die Pistole so locker im Hosensack sitzt. Oesterreich hat kein Interesse, zu spionieren, aber erhebliches, selbst nicht bespitzelt zu werden — in dem Augenblick nämlich, da für auswärtige Nachrichtendienste die Stationierung und Bewaffnung des Bundesheeres im Grenzgebiet inleressant wird. Und noch ein wichtiger Punkt: es gibt nicht blofj ideologische, sondern auch sprachliche Unterwanderung und damit eine forlschreitende Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Steiermark hatte (nach der Volkszählung von 1951) 48.944 Flüchtlinge. Es gibt.Gemeinden in diesem Bundesland mit erstaunlichem Fremdanteil: Wagna hatte damals bereits 59 Prozent NichtÖsterreicher, Gai 46 Prozent, Sulzfhal 36 Prozent! Von dieser Zuwanderung ist aber auch Kärnten betroffen, dessen österreichische Staatsbürger slowenischer Zunge allein schon des öfteren dem Nachbarn im Süden als Vorwand für ungerechtfertigte Ansprüche dienten. Die Gemeinden Paiernion mit 46 Prozent und Fellach mit 30 Prozent Nichtösferreichern sind Mahnzeichen.. Es wird sehr angezeigt sein, den Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zu einer weitaus beschleunigteren Weiterführung der Zuwanderer zu veranlassen.

DEUTSCHER SOMMER 1956. Am Beginn des hochsommerlichen Klimas sind in Westdeutschland Entscheidungen getroffen worden, die vielleicht sehr bald schon schicksalsschwer in die Waage der Geschichte fallen werden. Die „Furche“ wird demnächst versuchen, einige Hintergründe dieser Ereignisse zu beleuchten. Beschränken wir uns im Moment, die Tatsachen festzuhalten. Der Bonner Bundestag hat sich, trotz heftigster Gegenwehr der Opposition und trotz zahlreicher Bedenken von Politikern und Fachleuten, die der gegenwärtigen Regierung freundlich gesinnt sind, zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht entschlossen. Westdeutschlands gröfjte Tageszeitung hielt dies Ereignis für so alarmierend, dafj sie am Tage der Abstimmung in einem redaktionellen Sonderaufsatz die deutschen Leser darauf aufmerksam machte, dafj hierdurch möglicherweise die Trennung zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland auf lange Zeit fixiert würde. Im Brenn-schatfen dieses Ereignisses stehen zwei weitere Geschehnisse, die zum Teil bereits Reaktionen darauf sind: einmal die brüske Abberufung Sorins aus Bonn. Wird Moskau diese Abstimmung zum Anlaß nehmen, einen schärferen Kurs dem Westen gegenüber einzuschlagen? — Dramatisch, vielleicht sogar tragisch, muten bereits die Kampfresoiutionen des vor kurzem zu Ende gegangenen Parleifages der Deutschen Sozialdemokraten in München an. In strikter Absage an die Beschlüsse der Bonner Regierung wird hier die allgemeine Wehrpflicht verworfen und eine Aktivierung der deutschen Ostpolitik gefordert, sodann mit der Kündigung der NATO-Mifgliedschaff Deutschlands gedroht. Westdeutschland stehen schwere innenpolitische Auseinandersetzungen bevor. Die Bonner Regierung hatte vom Besuch Nehrus eine Entspannung erhofft. Der indische Premier, der in den letzten Jahren sehr unsanft von dem Dr. Adenauer nahestehenden Teil der westdeutschen Presse behandelt worden war, entzog sich jedoch dar ihm jetzt zugedachten Aufgabe, direkter Mittler zwischen Bonn und Moskau zu werden. Die tiefe innere Unsicherheit, die auf dem Parteitag der SPD in München spürbar und sichtbar wurde, reflektiert die Unruhe und Ungeduld, das tiefe Unbehagen, das weite Kreise gerade verantwortlicher Exponenten Westdeutschlands gegenwärtig erfaßt — die Streifigkeiten um Schäffer, Erhard, CDU und ihre bayrische Bruderparfei sind nur ein Teilausdruck davon — und vor dessen möglichen harten politischen Konsequenzen eben erst Pius XII. in Rom das ganze deutsche Volk gewarnt hat.

DREI STÄDTE — DREI MÄNNER. Den ersten

Befrachtungen der italienischen Kommunal-und Provinziqlwahlen, angestellt mit Rechenmaschinen und Zahlenakrobatik, ist eine erfreulichere Erwägung gefolgt. Ziemlich übereinstimmend stellt riämlich die italienische Presse fest, dafj sich trotz der Verhältniswahl bei den Kommunen • die von den Wählern out-erseHerle Persönlichkeit oft durchgesetzt hat. Drei Beispiele bieten sich dar, die für viele Gemeinden gelten. Das bekannte Beispiel des „Apostels der Armen“ in Florenz, des Bürgermeisters La Pira, lassen wir diesmal beiseite und nennen heute drei Städte und drei Mähner, drei Städte, die im Leben Italiens allzeit führend waren: Turin, Bologna, Neapel — Nord, Mitte, Süd. In Turin heifjt der Erwählte Amedeo P e y r o n, ein hagerer Mann in mittleren Jahren, kahlköpfig, mit schmalem Gesicht, in dem die hohe Stirn und die guten Augen große Intelligenz und warmes Vertrauen ausströmen. Er ist das Abbild der gutbürgerlichen, soliden Turiner, die einst, zu Königs Zeiten, in ihrer Geradheit und Zuverlässigkeit der Einwohnerschaft das Gepräge gaben. Pey-ron ist christlicher Demokrat, der als erster Bürgermeister im kommunistisch durchsetzten Turin es nicht leicht hatte, und der es auch in Zukurrft nicht leicht haben wird. Aber seiner Volkstümlichkeit ist die hohe Stimmenzahl der Christlich-Demokratischen Partei (t88.992) und der Rückgang der kommunistischen Stimmen (124.072), die früher das Uebergewicht hatten, zu verdanken. Ganz anders Bologna. Diese Hauptstadt der Region Emilia-Romagna, wo der Sozialismus einst seinen Ausgang nahm und wo der Kommunismus sich stets wild gebärdete, hat im Grunde eine biedere Bevölkerung, die aus der mit Getreide, Reben und Früchten reich gesegneten Landschaft den bestmöglichen Nutzen zu ziehen weifj. Der Abgott der Bologneser war und ist auch heute der kommunistische Bürgermeister Giuseppe D o z z a, der sich bei den letzten Wahlen nicht einmal viel Mühe gab, um seinem, den christlichen Demokraten nahestehenden schmalköpfigen und dünnlippigen Gegner Dossetti die Stirn zu bieten. Und er behielt recht. Trotz des allgemeinen Sfimmen-rückgangs der Kommunisten erhielt der wohlgestaltete und vor allem beleibte Dozza ein überwältigendes Vertrauensvotum (121.556 Stimmen gegen 74.388 der christlichen Demokraten). Endlich Neapel. — Hier ist Achille Laurp, der grofje Reeder, Oberbürgermeister, Senator, Führer der abgespaltenen Monarchisten, der großartige Sieger. Seine Zwergparfei mit acht Abgeordneten in der Kammer erhielt in Neapel einen nie dagewesenen Vertrauensbeweis (276.6t8 Stimmen gegen 102.535 Kommunisten und 87.783 christliche Demokraten). Gesiegt hafte der Mann, der mit Staatsmitteln die Stadt auf den Kopf stellte und sie dann um so schöner wieder erstehen ließ, der Mann, der sein Milliarden verschlingendes Erneuerungswerk und Defizit mit den Worten begründete: „Würden die Schulden der Stadt nur wenige Milliarden befragen, dann müßte sie Neapel bezahlen. Da sie aber viele Milliarden ausmachen, wird sie am Ende der Staat bezahlen.“

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