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Gespräche in Rom

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Nein, es war nicht Kognak in dem Glase ... Als vor einem Monat die Korrespondenten der verschiedenen Blätter und Agenturen von dem gut eingerichteten Hauptquartier der römischen Auslandspresse in der Villa della Mercede 54 die überraschende Wahl Giovanni Gronchis zum zweiten Präsidenten der jungen italienischen Republik in alle Welt meldeten, vergaßen sie auch nicht, eine Anekdote in ihren Bericht einzurichten. Gleich nachdem Giovanni Gronchi, damals noch als Präsident der Abgeordnetenkammer, Vorsitzender der Präsidentenwahl, mit scheinbar gleichgültiger Stimme und ohne Gemütsbewegung Stimmzettel auf Stimmzettel mit seinem eigenen Namen zusammengelegt hatte, bis 658, und damit eine überwältigende Majorität sich aufgetürmt hatte, marschierte mit steifen Schritten ein Kellner quer durch den großen Saal des Hohen Hauses am Monte Citorio und präsentierte dem über den Ausgang der Wahl nicht gerade erbauten Ministerpräsidenten Scelba ein Glas Kognak zur Stärkung. Dieser machte gute Miene und griff unter großer Heiterkeit der Abgeordneten und Senatoren iu .. „ So bekamen wir es zu hören. Die Geschichte ist auch wahr — bis auf eines. Es war nicht Kognak in dem Glas, es war, wie Augenzeugen zu berichten wußten, ein Glas Cynar, ein Glas mit jenem außerhalb Italiens unbekannten, gallbitteren Aperitif, der den Italienern zur Zeit durch eine tüchtige Werbefirma von allen Wänden, in Zeitungsinseraten und durch den Werbefunk als Allheilmittel „Contro il logorio della vita moderna ... gegen die Überforderung durch das moderne Leben“ dringend ans Herz gelegt wird.

Eine nebensächliche Verwechslung, überhaupt nicht der Rede wert? Uns erscheint sie aber bezeichnend für alles, was in den letzten Wochen über die innerpolitische Situation Italiens geschrieben wurde. Es wurde uns immer Kognak serviert, es wurde zuviel mit allgemein bekannten Begriffen und Vorstellungen argumentiert, während das politische Leben auf der Apen-ninenhalbinsel seinen eigenen Gesetzen folgt, die dem Beobachter aus der Ferne ebenso unbekannt sind wie jenes ominöse Getränk Cynar.

Näherte man sich mit, vor allem nördlich des Alpenhauptkammes üblichen, politischen Vorstellungen dem Schauspiel, das die italienische Politik, und hier vornehmlich die große christliche Regierungspartei, in den letzten Wochen ihren Freunden und Feinden bot, so kam man aus der Verwunderung nicht heraus, ja man konnte manchmal sogar richtig das Gruseln lernen.

Da wird die Democrazia Cristiana seit nun einem Jahr von einer Reformistengruppe, die man gerne etwas verallgemeinernd als „links“ bezeichnet, geführt. Gegen ihren Kurs und gegen die Person ihres Führers, Amintore Fan-fani, erheben sich oppositionelle Stimmen in der Partei. Eine Rechtsgruppe konstituiert sich als „Concentrazione Democratica“, um Fanfanis „Iniziativa Democratica“ ein Gegengewicht entgegenzusetzen. Sie vereinigt sehr heterogene Elemente: Konservative Patroni aus dem Süden, denen die Landreformpläne Kummer bereiten, den ehemaligen Ministerpräsidenten Pella, der als Vertrauensmann der Industrie und jener Kreise gfl*. die an Stelle der Zentrumsregierung gerne ein Bündnis CD—Monarchisten sehen möchten, und nicht zuletzt die alte Garde der Parteiführer, die sm Parteitag zu Neapel viel-

leicht etwas au robust um ihre liebgewordenen Positionen und Einflüsse gekommen waren und nun die Stunde der Revanche anbrechen sehen, lieber das Mittelmaß ragt hier der Abgeordnete Andreotti weit hinaus. „11 delfino“, den Kronprinz, nannte man den mit großem politischem Geschick ausgestatteten Politiker noch vor zwei Jahren, wann immer davon die Rede war, daß De Gasperi das Steuer eines Tages doch aus der Hand geben werde. Nun hat es ein anderer ergriffen. Andreotti aber ist zu agil, um seine Energien allein der Abfassung eines Buches über De Gasperi, an dem er im Auftrag der Partei arbeitet, zuzuwenden. Das einigende Programm dieser heterogenen Fronde ist die persönliche Gegnerschaft gegenüber dem Ministerpräsidenten Scelba und dem Parteichef Fan-fani. Diese, früher nicht immer gut Freund, sind nun näher aneinandergerückt. Sie wollten einen klugen Schachzug tun und die Rechtsopposition in der eigenen Partei ebenso wie die kleinen Parteien der Mitte, die sogenannte „Demo-crazia Laica“, durch die Kandidatur des unabhängigen Industriellen Merzagora beschwichtigen. Die politische Logik würde es nahelegen, daß diese nun alles tun würden, ..ihren“ Mann in den Quirinal zu bringen. Doch — Cynar, nicht Kognak — wenn „die Linke“ einen „rechten“ Kandidaten vorschlug, so reagierte „die Rechte“ kurz und bündig damit, daß sie den gestern noch als „weißen Kommunisten“ und „Kerenski Italiens“ diffamierten Gronchi auf ihren Schild erhob. Die Nenni-Sozialisten und ihre Verbündeten von linksaußen erkannten sofort ihre Chance. Der Parteiführung blieb zum Schluß nichts übrig, als das Gesicht zu wahren, für Gronchi zu votieren und in aller Schnelligkeit nicht nur das berühmte Gläschen Cynar zu trinken, sondern deutlich als improvisiert erkennbare Plakate zu drucken, in denen der neue Mann im Quirinal begrüßt wird. Rechte Hand, linke Hand — alles vertauscht ...

Der verwirrte Mitteleuropäer bekommt aber noch etwas zu hören, und seine Ohren glauben sich zu täuschen. Als die formelle Demission des Ministerpräsidenten vom neuen Staatschef nicht angenommen wird, versammeln sich die unter dem Namen „Concentrazione“ vorgestellten Politiker der DC und geben der Presse ihr außerordentliches Bedauern bekannt, daß der — von ihrer Partei gestellte — Regierungschef nicht zu Fall gekommen ist. Und das in einem Lande, in dem bekanntlich die zweitgrößte Partei Hammer und Sichel in ihrem Wappen führt!

Die offene Parteispaltung! So möchte man schließen. Die italienische Demokratie am Ende, könnten Pessimisten diagnostizieren. Nun — Cynar, nicht Kognak —, soweit ist es noch lange nicht. Allerdings täuscht man sich auch in Rom — wenn auch das Wort Krise hier in den politischen Alltagswortschatz eingegangen ist — nicht über den Ernst der Lage. *

Es war in jenen Tagen, als der Verfasser Gelegenheit hatte, einen Besuch im Hauptquartier der DC zu machen: Piazza Gesü, drei Minuten von der verkehrsumtobten Piazza Venezia. Libertas! Der Kreuzschild der DC prangt auf einem alten Palazzo. Es ist 20 Uhr, beste römische Besuchszeit. Die Anticamera wird rasch durchschritten. An Stelle des zunächst nach Marseille und hierauf nach Sizilien abgereisten Parteiführers Fanfani (Erster Sekretär ist der gerade für den der Repräsentation nicht abgeneigten Süden schlichte Titel) empfängt uns ein Stellvertreter Mariano Rumor. Der am 16. Juni 1914 in Vicenza geborene, auf dem Parteitag zu Neapel an die Stelle des „Generalstabschefs“ der größten italienischen Partei aufgerückte Doktor der Literatur und Professor an einer Mittelschule, der mit noch nicht 30 Jahren Leiter des Provinzialkomitees der Partisanen in seiner engeren oberitalienischen Heimat war, verkörpert einen bei uns beinahe ausgestorbenen (und mit vereinten Kräften an seiner Wiedergeburt verhinderten) Typ: der junge Intellektuelle an vorderster politischer Front. Viel umgänglicher als Fanfani, der sich durch einen herben Charakter viele Gegner macht, bekennt er sich jedoch mit Elan und Ueberzeugung zum sozialen Reformprogramm der „Iniziativa Democratica“. Dem Wesen dieser oft zitierten Gruppe gilt auch die erste Frage: „Was ist die .Iniziativa Democratica', von der alle sozial denkenden Katholiken auch im Ausland mit Interesse immer wieder hören?“

Rumor verbessert. lebhaft: „Sie müssen fragen, was war die .Iniziativa', denn heute gibt es sie nicht mehr.“ Und nicht ohne Selbstbewußtsein fügt er hinzu: „Seit dem Parteitag von Neapel ist die .Iniziativa' die Partei. Aber ich verstehe Ihre Frage schon richtig und werde sie auch gerne beantworten. Die DC hat zwei Wurzeln. Die erste reicht in die Zeit vor dem Faschismus zurück, zu den alten .Popolari', der einstigen katholischen Volkspartei. Don Sturze De Gasperi und auch Scelba entstammen ihr. Die zweite, jüngere, führt zu dem Kreis, den Dosetti um sich und die Zeitschrift .Cronache sociali' sammelte. Männer der jüngeren Generation, voll starkem sozialem Impetus, der christlichen Soziallehre verpflichtet; wenn Sie wollen, können Sie sie auch Männer der Idee nennen. Zwischen den alten Praktikern und der jungen, nachrückenden, vielleicht auch mitunter nachdrängenden Generation, die sich schließlich .Iniziativa Democratica' nannte, war — das sei offen zugegeben — das Verhältnis nicht immer spannungsfrei. Allein Freunde von De Gasperi und Dosetti arbeiten arri Ausgleich dieser Spannungen, die vielleicht auch schon allein dem Gene-ratiönsproblem entsprängen. Die Menschen beider Gruppen kamen sich immer näher, bis...*

' Das Gespräch wird unterbrochen. Messina meldet sich am Telephon. Die inzwischen erfolgreich geschlagenen sizilianischen Wahlen rufen den ,;Generalstabschef“ auf den Gefechtsstand. Lastwagen mit Propagandamaterial werden an ihren Bestimmungsort dirigiert. Dem- einen. Anruf folgt ein zweiter, ein dritter, ein vierter.

Der Vizesekretär der DC nimmt , inzwischen den Faden des Gesprächs immer wieder auf. Er kommt auf den schon mehrmals zitierten Parteitag von Neapel zu sprechen, auf dem De Gasperi wenige Wochen vor seinem Tod sich zu der nachrückenden Generation bekannte. Ich erinnere an die Formel De Gasperis, die DC sei eine Partei der Mitte, die nach links marschiere. — Rumor interpretiert für die „Ini-tiativa“: sie sei eine Linksgruppe gewesen, die dem Zentrum sich genähert habe.

Jetzt ist der Zeitpunkt, um den Finger auf die Wunde zu legen.

„Und die Rechte, die Leute von der ,Con-centrazione', die soeben ihren ungewöhnlichen Schritt in die Oeffentlichkeit getan haben? Wird es möglich sein, die Krise zu meistern, oder ist die Spaltung unabwendbar?“ Der Gesprächspartner verneint diese Frage. „Nein, es wird keine Secessio in monte sacrum geben.“ Die Möglichkeit, daß jedoch die eine oder andere Person die DC verlassen könnte, will auch er nicht abstreiten.

Ob es keine „Versöhnungspolitik“ gegenüber den verzankten Brüdern geben könne? Ein solches Wort stößt auf wenig Gegenliebe. „Sie haben, damals in Neapel, Gelegenheit gehabt, auf unseren Listen in die Parteileitung gewählt zu werden. Nur Andreotti ging darauf ein, die anderen wollten nicht mit uns zusammenarbeiten.“

Nach der Partei- die Staatspolitik. Wer seit der Wahl Gronchis Aufsätze über die Situation in Italien liest, bekommt in diesen nicht selten die Totenglocke für die bestehende Regierungskoalition der Mitte, den vielgelästerten „Quatropartito“ zu hören. Allein, wohin man blickt, eine Alternative ist nicht zu erkennen. Die „Oeffnung nach links“, das heißt die Einbeziehung Nennis, wird zur Stunde kaum ernstlich in Betracht gezogen. Wohl wird erwogen — niemand anderer als der politische Redakteur des „Osservatore Romano“, Federico Alessandrini, wird am nächsten Tag diese Meinung erhärten —, einmal die Probe aufs Exempel zu machen und bei einer Regierung des Zentrums — sie muß nicht mit dem gegenwärtigen Kabinett identisch sein — zu erproben, inwieweit die Nenni-Sozialisten im parlamentarischen Alltag sich von der Gemeinschaft mit Togliatti zu lösen imstande sind. Die „Apertura a destra“, das Bündnis auf der Regierungsbank mit den Monarchisten unter Pella, aber verbietet nicht nur der Beschluß des letzten Parteitages, sondern nicht zuletzt auch Rücksichten auf den starken Gewerkschaftsflügel innerhalb der eigenen Reihen. („Wir sind entschiedene Gegner einer Regierung Pellas mit der Rechten“, wird der Pressechef der CISL, Dr. B e 1 o 11 i, bei meinem Be- * such mit Nachdruck betonen.)

So erlaube ich mir, Rumor die Gretchenfrage zu stellen: „Man hört bei uns manchmal, daß Fanfani selbst kein Freund der Zentrumskoalition ist.“

Der Gesprächspartner reagiert spontan. „Das ist unwahr. Dieses Gerücht verbreiten unsere Freunde vom rechten Flügel.“ (Ich erinnere mich tatsächlich, solche Meldungen auch in Oesterreich stets in Blättern zu lesen, die ansonsten für eine Regierung Pella plädieren.) „Fanfani steht hinter dem .Quatropartito'. Wir haben keine andere Alternative.“

Ein neuer Telephonanruf.

Ich will nicht länger stören und empfehle mich. Jetzt erst sehe ich, daß mein ebenso liebenswürdiger wie vitaler Gesprächspartner in den letzten 24 Stunden nicht mit dem Rasiermesser in Berührung gekommen ist. Jemand, der weiß, was der Verzicht auf eine gute Rasur für einen Italiener bedeutet, der weiß auch eines: die Lage ist wirklich kritisch.

Auch wenn nicht Kognak, sondern Cynar in dem Glase war, das der Ministerpräsident an dem Tage an die Lippen setzte, an dem die Krise ausbrach, die nun nach dem sizilianischen Urnengang bereinigt werden muß.

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