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Es geht um Rom

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Nach monatelanger Zurückhaltung gegenüber den innerpolitischen Entwicklungen in Italien ist der vatikanische „Osservatore Romano“ zum erstenmal aus Seiner Reserve herausgetreten und hat zu einem eminent innerpolitischen Ereignis Stellung genommen, nämlich zu den in Rom, Pisa, Neapel, Bari und anderen kleineren Städten am 10. Juni fälligen Gemeindewahlen. Die Ermahnung der Wählerschaft, die sonst in Hirtenbriefen oder Kommuniques der Bischofskonferenz zu erfolgen pflegt, blieb diesmal dem vatikanischen Organ vorbehalten. Es findet dafür auch eine juristische Rechtfertigung, nämlich den Paragraphen 664 der römischen Synode, wo es heißt, daß die Katholiken unter den Parteien „jene zu wählen haben, die die sichersten Garantien für die Respektierung der Rechte Gottes, der Kirche und des christlichen Gewissen bieten, und die sich in ihrem Programm und in ihrer Tätigkeit an den Grundsätzen des Christentums inspirieren“. Der „Osservatore“ mahnt die Römer, „in Folgerichtigkeit mit der Vergangenheit Roms zu wählen“, also christlich, um nicht zu sagen christlichdemokratisch.

Denn um Rom geht es vor allem, nicht nur, weil unter den 3,5 Millionen Wählern, die am 10. Juni zur Urne gerufen werden, fast die Hälfte auf die Hauptstadt Italiens entfällt, sondern auch, weil hier der Einsatz besonders groß ist. „Das ökumenische Konzil steht bevor, das in Rom seine denkwürdigen Sitzung abhalten wird. Die Bürger Roms werden den Kirchenfürsten, die hier die gesamte katholische Welt vertreten, zeigen wollen, wie sie das Vorrecht, in nächster Nähe des Nachfolgers Petri leben zu dürfen, hoch in Ehren halten.“ Die Befürchtungen, daß die Römer, der katholischen Tradition ihrer Stadt un-eingedenk, auch anders handeln und wählen könnten, sind nicht weit hergeholt. Die letzten Gemeindewahlen haben in Rom 1956 und 1960 stattgefunden. Die Democrazia Christiana hat von der einen zur anderen Wahl einen Sitz hinzugewinnen können, 28 statt 27 von den insgesamt 80 verfügbaren Sitzen des Gemeinderates. Aber die äußerste Linke, Kommunisten und Linkssozialisten, hatten ebenfalls um einen zugenommen, 30 statt 29. Die für ein Bündnis in Betracht kommenden laizistischen Mittelparteien sind in Rom schwach: die Sozialdemokraten und Liberalen erhielten je drei, die Republikaner nur einen Sitz. Sie genügten nicht für eine regierungsfähige Mehrheit. Dafür hat die äußerste Rechte in Rom eine ihrer Hauptstützpunkte. Die Kapitale Italiens ist nicht Industrie- sondern Verwaltungsstndt, und ihre Heerscharen von Bürokraten leben immer noch in Erinnerung des vergangenen Regimes, das der Bürokratie so sehr geschmeichelt hat. Die neofaschistische „Sozialbewegung“ ist im Gemeinderat mit nicht weniger als 12 Räten vertreten, und die Monarchisten stellten die restlichen drei. Der Situation Rechnung tragend, hat die DC schließlich eine „Minderheitsregierung“ gebildet, die ihre Beschlüsse im Stadtsenat dank neofaschistisc«r und monarchistischer Hilfe durchbrachte. Der damalige Bürgermeister Urbano C i o c c e 11 i wurde zum Ausdruck dieses auch von vielen christlichen Demokraten abgelehnten Bündnisses, das der katholischen, sich auf ihre Verwurzelung in der Widerstandsbewegung berufenden Partei widerwärtige Verzichtsleistungen auferlegte, wie sie zum Beispiel offenkundig wurden, als Bürgermeister Cioccetti sich anläßlich des Jahrestages der Geiselerschießungen in den Ardätinischen

Gräbern im Jahre 1944 demonstrativ aus Rom entfernen mußte, um nicht bei der Gedenkfeier anwesend sein zu brauchen. Cioccetti stürzte, als das Unbehagen in der DC einen Grad erreichte, daß die Fortdauer der Zusammenarbeit mit der extremen Rechten unmöglich wurde. Rom bekam in der ausweglosen Lage einen Regierungskommissar.

Aus all diesem geht hervor, daß die mit dem christlichdemokratischen Parteikongreß in Neapel im vergangenen Februar eingeleitete Linksschwenkung auch für Rom bedeutsam werden kann. Nach dem Stand der Wahlen von 1960 würden die Parteien der gegenwärtigen parlamentarischen Koalition auch im Kapitol eine genügend große Mehrheit haben, nämlich 43 von den 80 Sitzen. Aber Zweifel herrschen darüber, ob nicht gerade die neue Politik der „linken Mitte“ die vorwiegend konservativ eingestellte christlichdemokratische Wählerschaft Roms vor den Kopf gestoßen hat. Größere Substanzverluste würden die DC nicht nur in Rom vor eine schwierige Alternative stellen, sie würden sofort ernste Konsequenzen in der Politik auf nationaler Ebene haben, möge dies auch vorsorglich in Abrede gestellt werden. Daß sich die DC in einer defensiven Haltung befindet, zeigen ihre Wahlslogans: „Die DC verdient Vertrauen!“ und „Heute mehr denn je: DCF“, heißt es. Ministerpräsident Amintore Fanfani hat erklärt, daß Gemeindewahlen eben Gemeindewahlen seien und nichts mit der Regierung und dem Parlament zu tun hätten. Selbst wenn sie verloren würden, hätte das keine weiteren Rückwirkungen. Die Verfechter der Politik der „linken Mitte“ verweisen darauf, daß der Test am 10. Juni zwar unzweifelhaft seine große politische Bedeutung habe, aber, da er nur 3,5 Millionen Wähler und vorwiegend Mittel- und Süditalien betreffe, die Gültigkteit der gegenwärtigen Regierungsformel nicht in Frage stellen könne. Es bleibt abzuwarten, ob die christlichdemokratische Parteidirektion der gleichen Meinung ist, falls die Partei in Rom und anders-wo stark zur Ader gelassen werden sollta.

Zu den allgemeinen Stimmungen “kömmt außerdem noch ein Umstand, der sich vielleicht für die DC ungünstig auswirken wird: Rom hat diesmal im Vergleich zu 1960 um rund 135.000 Wähler mehr und etwa 100.000 davon entstammen nicht dem normalen Bevölkerungszuwachs, sondern sind Zuwanderer aus der Provinz, jene armen Teufel, die ein faschistisches Gesetz gegen die Landflucht in Rom nicht einbürgern ließ, bis vor einiger Zeit ein Urteil des Verfassungsgerichts es als konstitutionswidrig erklärte. Die Gemeinde Rom, die einen Prozeß gegen den Winkelried dieser „heimlichen Einwohner“, gegen den aus dem Neapolitanischen stammenden Herrn Baldassarre d'Avino, verloren hat, mußte dann allen Bürger- und Wahlrecht gewähren. Wie werden sich nun diese Hunderttausend, der untersten sozialen Schicht angehörend, politisch verhalten? Werden sie der Demagogie der extremen Parteien verfallen? Sie stellen jedenfalls eine unbekannte Größe dar und können die Wahlen entscheidend beeinflussen. Nicht umsonst schreiben die Kommunisten: „Die .Borgate' (Vorortsiedlungen) entscheiden die Wahlen!“

Die DC hat das einzig Richtige getan, wenn sie den Akzent der Wahlen auf die spezifischen Probleme legt, die in Rom, Neapel und anderswo zu lösen sind, und die politische Seite möglichst in den Hintergrund rückt. Da das Hauptproblem Roms ein finanzielles ist, hat sie als ihren Spitzenkandidaten einen Finanz- und Verwaltungsfachmann genommen, nämlich den Leiter des Banco die Roma, Professor Glauco Deila. Porta, der als Experte in Wirtschaftsdingen der DC an den Entwicklungsplänen der Finanzierungskasse für den Süden (Cassa del Mezzogiorne) und für Sardinen maßgeblich mitgearbeitet hat. Obwohl Deila Porta der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung vollkommen unbekannt sein dürfte, hat er seine politische Vergangenheit. Er gehörte der Widerstandsbewegung an, müßte also auch bei den Linksparteien der Koalition Billigung finden. Er ist der Mann des DC-Parteichefs Aldo Moro, wird von dessen Prestige gedeckt und verfügt daher über glänzende Chancen, gewählt zu werden. Dem formellen Spitzenkandidaten, dem Senator und Exbürgermeister Tupini, kommt nur ein heraldischer Charakter zu, er ist ein Aushängeschild, das nach den Wahlen sofort abgenommen wird. Der dritte Kandidat, Amerigo Petrucci, hat als Sekretär der DC für Rom eine sichere Gefolgschaft; er kommt aus der Katholischen Aktion, war deren Diözesan-leiter und ist Vertreter jenes gemäßigten Konservativismus, der bisher in Rom die Zügel haltenk onnte.

Auch Petrucci legt das Schwergewicht in seinen Wahlreden auf die realen Verwaltungsprobleme und präsentiert ein so reichhaltiges Programm, daß ihm, falls nur ein winziger Teil davon verwirklicht wird, ein Denkmal auf dem kapitolinischen Hügel gewiß ist. Er stellt das Sondergesetz für Rom in Aussicht, das von der Regierung seit 1948 versprochen wird und die Hauptstadt von ihren finanziellen Sorgen befreien soll, er verspricht die Sanierung der neuen volkstümlichen Wohnviertel und öffentliche Dienste für sie, die Ausarbeitung eines Ver-bauungsplanes, der endlich Ordnung in die Verwirrung bringen soll, den Schutz des historischen Stadtzentrums und der Grünanlagen, die Eingemeindung von Randgemeinden in Rom, die Modernisierung der öffentlichen Verkehrsmittel, die bessere Versorgung mit Wasser und elektrischem Strom, die Förderung des Gewerbes und des Handels, die Verbesserung der hygienischen Einrichtungen, Schulen und Sportanlagen für die Jugend, kurz eine Menge Dinge, die der Bevölkerung Rom die Zügel halten konnte.

Zwei Punkte in dem Programm interessieren aber nicht nur die Römer allein. Der eine ist die Absicht der kommenden Stadtverwaltung, die Industrialisierung Roms zu betreiben. Das bedeutet einen Bruch mit der Tradition und steht auch in einem gewissen Gegensatz zu der Forderung des Sondergesetzes für Rom. Dieses wird damit begründet, daß Rom seiner einzigartigen Stellung wegen als Hauptstadt Italiens, als Zentrum der Christenheit und Mittelpunkt eines Tourismus höchster, auch intellektueller Ansprüche besondere repräsentative Pflichten zu erfüllen hat. Rom ist eine Visitenkarte, ein Schild, und muß immer blank und sauber gehalten werden, hier müssen der Tradition Opfer gebrach, werden, manches, was anderswo erlaubt sein würde, ist hier ganz ausgeschlossen. Es sei also recht und billig, wenn alle Italiener für die Wahrung der Eigenart und Stellung Roms beitrügen. Dieser Wahrung wegen ist bisher die Industrialisierung nie so recht vorangetrieben worden Tatsächlich kann man sich ein Rom mit Fabrikschloten nicht gut vorstellen, nicht einmal an seiner Peripherie, wo Legende, Sage, Tradition, klassische Denkmäler und Reize der Natur ohne Unterbrechung die berühmteren Bauten des historischen Zentrums ablösen. Es gibt auch, des Fehlens der Industrie wegen, kein wirkliches Proletariat in Rom, wenn es auch natürlich eine Menge armer Leute gibt. Anderseits ist die Forderung nach einer Industrie, die in der Lage ist, die noch in Fülle zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte zu absorbieren, durchaus verständlich. Einiges ist in dieser Richtung und, wie man zugeben muß. mit großer Diskretion getan worden. An der Via Salaria und der Via Tuscolana, an der Tiburtina und Appia reihen sich schon Fabrik an Fabrik, aber es sind, wenn man so sagen will, „elegante“ Industrien der chemischen, pharmazeutischen, kosmetischen, feinmechanischen und Moderichtung, so daß sie das Bild nicht allzusehr stören, auch weil die ästhetischen Gesichtspunkte nicht so völlig außer acht gelassen werden wie in anderen Ländern.

Der zweite Punkt interessiert auch die Touristen: er betrifft die Schaffung eines Ensemble-Theaters in Rom, wie es schon Welche in Mailand, Turin, Genua und Triest gibt. Das alte Teatro Argentina soll zu diesem Zweck umgestaltet und neu adaptiert werden. Somit würde auch Rom sein „Teatro Stabile“ erhalten und die Theaterkultur der italienischen Hauptstadt hätte ihren unzweifelhaften Vorteil davon. Unter den Kandidaten der DC gibt es einen, der die Sache mit besonderem Feuer vertritt. Das ist verständlich, handelt es sich doch um den Schauspieler Gino Cervi, den Bürgermeister Peppone in Guareschis „Don-Camillo“-

Filmen. Gino Cervi ist einer der Wahlschlager der Christlichdemokraten wie es der Fußballer Amadei einer für die Wahlen 1956 war. Peppone wird natürlich todsicher gewählt, auch Amadei wurde es, nur ist nicht bekannt, daß er dann im Stadtsenat jemals den Mund geöffnet hätte. Aber Gino Cervi wird es tun, es liegt ihm in der Natur, und es ist sein Beruf. Es geht auch um das Theater.

Nach Rom konzentriert sich das Interesse vor allem auf Neapel, wo am 10. Juni 700.000 Wähler versuchen werden, die kommunistische

Verwaltung D'Aiuto durch eine gewählte Stadtregierung abzulösen. Die Aussichten sind nichts weniger als gut. 1960 ergaben die Wahlen folgende Ergebnisse: Monarchisten (Lauro-Par-tei) 30 Sitze, DC 21, Kommunisten 19, Linkssozialisten (Nenni-Partei) 5, Sozialdemokraten 1, Liberale 1, Neo-faschisten 3 Sitze. Dem Führer der Monarchisten, Achille Lauro, stehen als Verbündete höchstens die drei Neo-faschisten zur Verfügung und den Christlichdemokraten höchstens aie beiden sozialistischen Parteien. Sollte es der DC nicht gelingen, tief in die

Reihen der Anhänger des „Coman-dante“ Lauro einzudringen, muß Neapel, da ein Zusammengehen zwischen DC und Monarchisten undiskutabel ist, wieder'zu einem Kommissar Zuflucht nehmen. In Bari hingegen, Geburtsstadt des Parteisekretärs Aldo Moro und sein Wahlbezirk, dürfte die „Linksöffnung“ gegen die Sozialisten zu ohne allzu große Schwierigkeiten über die Bühne gehen. Es wäre dies ein weiterer schwerer Schlag für die Neofaschisten, die dort eine ihrer stärksten Stellungen haben.

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