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Das kalkulierte Risiko

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Wie immer haben die Wahlurnen genug Sieg für alle enthalten. Die Parteizeitungen erklären sich in gleicher Weise befriedigt über den Ausgang der Kommunal- und Provinzwahlen vom 22. und 23. November. Vermutlich sind die Parteien in gleicher Weise uneingestanden enttäuscht Jede kann auf Erfolge hinweisen und Mißerfolge als belanglos hinstellen. Das lustige Zahlenspiel hat wieder begonnen, man kann die Resultate mit jenen der politischen Wahlen 1963 vergleichen oder mit jenen der letzten administrativen Wahlen 1960; man kann die Provinzhauptstädte, die großen Wohnzentren mit mehr als zehntausend Einwohnern (wo nach dem Proporzsystem gewählt wurde) oder auch die kleinen Gemeinden (wo es nach einem komplizierten Mehrheitssystem ging) konfrontieren. Irgendwie läßt sich immer ein Sieg konstruieren.

Wer aber bei dem Spiel nicht mitmachen will und sich an die beiden einzigen logisch vergleichbaren Daten hält, an die Ergebnisse der Provinzwahlen 1964 und der politischen vom 28. April 1963, stößt auf die unerfreuliche Tatsache, daß nicht nur die Democrazia Cristiana Einbußen erlitten hat (statt 38,27 von Hundert der Gesamtwählerschaft nur 37,36 v. H.), sondern auch der Block der „linken Mitte” als Ganzes: 1963 hgtte er 60,08 v. H. der Wählerschaft hinter sich und jetzt nur noch 56,43. Hat sich die „Linksöffnung” in den eineinhalb Jahren bereits abgenützt? Hat die neue politische Linie der Christlichdemokraten zu einem Mißerfolg geführt? Aber bei genauerem Hinsehen merkt man, daß die DC an dem Rückschritt nur mit 0,91 v. H. beteiligt sind, die Nennt-Sozialisten aber mit 2,90 v. H. Inzwischen ist nämlich die Spaltung im italienischen Sozialismus eingetreten, der kommunistenfreundliche linke Flügel der Abgeordneten Vecchietti und Valori führt seither unter dem Namen „Partito Socialista Italiano di Unità Proletaria” (PSIUP) ein eher vergrämtes Eigenleben. Wie sich jetzt herausstellt, hat die Fronde gegen Nenni nur ein Fünftel der Wählerschaft des PSI zu sich hinüberziehen können, denn der Rückgang drückt sich in den Vergleichszahlen 14,20 und 11,30 v. H. aus.

Nicht in Nachbars Garten

Die Schwächung des Regierungsblockes ist also durchaus vorauszusehen gewesen, wenn man sich nicht der unvernünftigen Hoffnung hingegeben hatte, daß er an Boden gewinnen werde. Dazu fehlten aber alle Voraussetzungen. Wie konnte er auch, wenn der ersten Regierung der „Linksöffnung” die Aufgabe zugefallen war, die erste wirklich schwere finanzielle und wirtschaftliche Krise in Italien zu überwinden, eine Krise, die sie nicht selbst verschuldet hat und die sie nur mit unpopulären Mitteln bekämpfen konnte, mit dem Aufschub der Reformen, mit der Eindämmung des Verbrauches durch Sondersteuern auf Automobile, die ihrerseits zu Arbeitszeitverkürzungen und Unterbeschäftigung führten. Es ist auch fraglich, ab die zahlenmäßige Schwächung wirklich eine solche bedeutet, denn mit dem Abstoßen der Kömmuhistenfreunde in der Nenni-Partei hat nicht nur diese, sondern der ganze Block an innerer Kohäsion gewonnen. Die Kontraste sind seither die normalen, in den Parteien üblichen.

Unnütze Interventionen

Trotz solchen Überlegungen bleibt bestehen, daß die „linke Mitte” weniger stark ist als zuvor. Die Enttäuschung ist um so größer, als sich eine andere Hoffnung nicht erfüllt hat, daß die Kommunistische Partei mit der Isolierung auch geschwächt würde. Sie hat ihren langsamen, aber steten Vormarsch trotz dem Fall Chruschtschows, trotz den Chinoiserien der eigenen Parteiführung fortgesetzt, absolut unempfänglich für internationale Ereignisse, uninteressant an ideologischen Disputen. Die KP hatte 1963 25,52 v. H. und jetzt hat sie 26,02 v. H. Unempfänglich hat sich die kommunistische Wählerschaft auch gegenüber dem diesmal massiven antikommunistischen Zuspruch des Klerus, der Bischofskonferenz wie der Pfarrer, erwiesen. Es ist das eine späte Rechtfertigung für Johannes XXIII., dessen Bereitwilligkeit, den Dialog mit jenen, die im Irrtum befangen sind, aufzunehmen oder, simpler gesehen, Chruschtschows Schwiegersohn Adschubej mit Gattin Rada kurz vor den Wahlen in Audienz zu empfangen, von manchen Seiten die Schuld am kommunistischen Erfolg zugeschrieben wurde. Denn wenn die kommunistischen Wähler nicht auf die Kirche hören, dann tun sie es eben weder in dem einen noch im anderen Sinn. Auch Pius XII. hatte mit seiner Exkommunizierung der KP nicht einen Anhänger abzujagen vermocht. Tatsache ist, daß jene Italiener oder Italienerinnen, die auf die Kirche hören, ohnedies nicht kommunistisch stimmen. Aus diesem Grund betrachten hier viele die Einmischung des Klerus in die Wahlkampagne als unnütz, wenn nicht geradezu schädlich.

Die vergangenen Wahlen sind vielmehr ein neuer Beweis dafür, daß der Kommunismus in Italien nicht auf ideologischer Ebene, sondern nur auf wirtschaftlich-sozialer bekämpft werden kann. Das zeigt die Verteilung von Erfolg und Mißerfolg der KP. Die größten Fortschritte hat sie dort erzielt, wo die Wirtschaftskrise Rückwirkungen auf den Beschäftigtenstand, besonders unter den nach den norditalienischen Industriestädten ausgewanderten Süditalienern, nach sich gezogen hat. Den größten Rückschritt hat sie in Süditalien, in Sizilien und Kalabrien vor allem, zu verzeichnen, weil diese Zone, und sei es auch nur wegen der durch ihre industrielle Rückständigkeit hervorgerufene Immunität, nichts von der Krise zu spüren bekommen hat. Hier sind die von der „Cassa per il Mezzogiomo” ausgegebenen Milliarden, die Investierungen privater norditalienischer oder ausländischer Unternehmen, die der Staatsbetriebe E. N. I. und I. R. I., als wirkliche „Erlösung” empfunden worden und auf fruchtbaren Boden gefallen.

Scelbas „Formel”

Zu den Gewinnern der Kommunal- und Provinzwahlen gehören auch die Liberalen. Wenn sie 1963 schon 6,95 v. H. der Wählerstimmen erreicht hatten, so sind sie jetzt auf Quote 7,95 und nehmen unter den Parteien den vierten Platz ein. Exministerpräsident Mario Scelba kann mit dem Rechenstift darauf hinweisen, daß „seine” Formel, das alte Quadripartito der Mittelparteien, der Liberalen, Democristiani, Sozialdemokraten und Republikaner, im Gegensatz zum Block der „linken Mitte” an Boden gewonnen hat: 1963 hatte er 52,83 v. H. und jetzt 53,08 v. H. Man könne also nicht behaupten, daß die umstrittene „Linksöffnung” keine Alternative besäße. Man hat behauptet, sie sei notwendig, um die Kommunisten zu isolieren: Nun, die Kommunisten finden den PSIUP an ihrer Seite und können sich keine willfährigeren Weggenossen wünschen. Man habe gesagt, die „Linksöffnung” sei notwendig für eine breitere demokratische Basis im Parlament, doch diese Basis ist eng genug und bedroht von Sezessionsdrohungen und Heckenschützen in der eigenen Partei.

Die Kritik könnte schlüssig sein, wenn Scelbas „Formel” nicht nur auf dem Papier stünde. Denn Sozialdemokraten und Republikaner sind heute genauso wenig bereit zu den Zeiten De Gasperis und Scelbas zurückzukehren wie sie es 1963 waren. Und solange sie es nicht sind, bleibt die Alternative reine Theorie. Sie ist es um so mehr, als die Liberalen ihr Wachstum nicht oder nur zum geringen Teil Überläufern aus dem christlichdemokratischen Lager verdanken, sondern der Auflösung in den Monarchistenparteien und vielleicht sogar dem langsamen Niedergang der Neofaschisten.

Präsidentschaftswahlen in Sicht

Nirgends ist es schwieriger in die Zukunft zu blicken als in Italien. Niemand kann sagen, wie die Regierung Moro und die „linke Mitte” überhaupt die Auswirkungen der Wahlen, die Polemiken um die Zusammensetzung „schwieriger Provinz- und Gemeindeausschüsse”, die bevorstehende Belastungsprobe der Präsidentschaftswahlen Überwinder wird. Die Rückkehr zur Zusammenarbeit mit den Liberalen auf nationaler Ebene (in einigen Gemeinder und Provinzen ist sie ohnedies notwendig) ist nicht auszuschließen aber sie wird nur möglich sein wenn auch sie aufgeschlossen wirt für wirkliche wirtschaftliche unc soziale Reformen, die mit ihrer heutigen Struktur unvereinbar scheinen

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