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Rätsel Argentinien

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verSMiätsveriassung und am radikalen Bruch mit allem Überkommenen feststellen können.

Das Erbe von 1945

Auch der heutigen Generation sagen die Begleiterscheinungen, unter denen das Grundgesetz entstanden ist, nichts. Sie ist bereit, die DDR anzuerkennen, well sie mit diesem Faktum aufgewachsen ist. Für sie sind Büffler und Genossen ebensowenig ein gegenwärtiges Problem, wie es Luther, Bismarck oder Wiliheim II. sind. Der AntSkommu-nismus unserer Generation, ein, wie man zugeben muß, fataler Einstieg in die Demokratie, und in der Bundesrepublik geradezu zu einer festen Einrichtung geworden ist der jungen Generation fremd. Der Marxismus übt, ähnlich wie es vor 1933 der radikale Nationalismus war, eine große Anziehungskraft auf sie aus. Vieles am Grundgesetz und an der Gesellschaftsordnung ist diesen jungen Menschen, wie ihren Kommilitonen von 1930 fremd. Das Problem, das zu lösen ist, besteht daher im wesentlichen darin, vor einer nachdrängenden Generation die Entscheidungen der gegenwärtigen zu rechtfertigen.

1945 galt es, was vielen unmöglich schien, mdrt einem Volk, das die Diktatur bejaht hatte, eine Demokratie zu etablieren. Das geschah unter drei Voraussetzungen, die von vornherein klarmachten, daß die Entscheidung über die Beständigkeit dieser Demokratie erst in der kommenden, eben der jetzt studierenden Generation fallen würde. Das war einmal der Wille der westlichen Alliierten; es war zum zweiten das Entsetzen über den Kriegsausgang und über die von den Nationalsozialisten verübten Greuel. Und was war drittens die Abwehr gegen den Osten und die von da vordringende autoritäre bolschewistische Diktatur. Diese Abwehr hat zu einer Rechtsorientierung der Bundesrepublik geführt, in der mitunter die fatale Gleichung aufgestellt wurde, wer gegen den Kommunismus ist, ist ein guter Demokrat. Über den Antiibolscbewismus und später über den Wohlstand fanden manche zur Demoknatte, die mit dieser Regierung im Grunde wenig anfangen konnten.

Die Generation von 1933

Prägend für die neue Situation erwies sich weiter, daß zur selben Zeit, als die voraussetzungslose Generation, wie wir sie nennen können, die Universitäten bevölkerte, die Generation der Weimarer Republik abtrat und jene die Regierung übernahm, die ich respektlos und vereinfachend die vom Nationalsozialismus geprägte Generation nennen möchte. Das sind diejenigen, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik studiert haben und die sich 1933 am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn irgendwie mit dem nationalsozialistischen Regime arrangieren mußten.

Auch die nachfolgende HJ-Generation hat viel von autoritären Vorstellungen in sich aufgenommen Das heißt nicht, daß diese Generationen, die im zweiten Weltkrieg verbluteten, nicht später demokratischen Vorstellungen zugängig gewesen wären, sondern es deutet eine gewisse Grandhaltung an, die unübersehbar ist und die wahrscheinlich daran schuld ist, daß Westdeutschland in den letzten Jahren von einer Aushöhlung der Demokratie bedroht wurde.

Dutschkes Klamauk

Die Frage ist nur: Nehmen die unruhigen Studenten die Demokratie selber ernst? Darüber läßt sich heute nichts ganz Verläßliches sagen. Rudi Dutschke hält von ihr sicher gar nichts oder nur sehr wenig. Er sieht im vollständigen Umsturz sein eigentliches Ziel, den er durch Krawalle, Klamauk und Lächerlichmachen der Staatsgewalt herbeiführen will. Er ist, so gesehen, ein Gegenstück zu den Nationalbolsche-wisten der dreißiger Jahre. Allerdings will er keine Diktatur, sondern eine nach Lenins früheren Vorstellungen gebildete sozialistische Gesellschaft, in der schließlich der Staat überflüssig wird. Seine Vorstellungen sind von dem in Rußland praktizierten Bolschewismus meilenweit entfernt, weshalb auch der ihm gegenüber häufig geäußerte Verdacht, er werde vom Osten gesteuert, unsinnig ist. Die randalierenden Studenten sind seine Verbündeten, denn sie stellen die Ordnung in Frage. Seine in ihrer Zielsetzung schwer durchschaubare, der Agitation zugewandte Haltung spricht wohl am

besten das bei den Studenten vorhandene oder besser gesagt, hervorgerufene Unbehagen an, dag ein so hervorstechendes Merkmal der gegenwärtigen Situation ist.

Hingegen wird man dem SDS kaum grundsätzlich echt demokratische Ziele abstreiten können. Allerdings gibt es einiges, was die Haltung dieser Studenten fragwürdig macht Da ist einmal ihre weit über ihr Linksengagement gehende Überednsiümmung mit der sowjetischen Politik. Es ist von einem un-

abhängigen Standpunkt aus, auf den sich die Studenten immer berufen, sehr wohl möglich, gegen die amerikanische VietnampoMtik zu demonstrieren. Bedenklich und von einem unabhängigen Standpunkt aus unverzeihlich war jedoch ihre Haltung im Nahosikonflilkt, die so weit ging, daß man nicht nur die russischen Parolen kritiklos übernahm, sondern auch Personen, die im Ostblock gegen die Haltung ihrer Regierung zu protestieren wagten, des Faschismus verdächtigte.

Mehr als Krach machen

Trotzdem muß eine Lösung versucht werden. Bei den Studenten liegt es, welche Bedeutung Ihre Vorstellungen gewinnen werden. Wo im Stile der dreißiger Jahre versucht werden wird, die Verfassung und die staatliche Ordnung des Klamauks zuliebe lächerlich zu machen, wird die Bonner Republik, wenn sie das

Schicksal der Weimarer Republik vermeiden will, auch Härte zeigen müssen. Aber es muß eine überzeugende, nicht eine aus der Ratlosigkeit geborene Härte sein, die eindeutig klarstellt, daß es ihr nicht um Unterdrückung unbequemer Ansichten geht. Der Wille zu einer Verbesserung und Intensivierung unserer

Demokratie zu kommen, muß respektiert werden. Es ist die Chance der Studenten, unserem Volk klarzumachen, daß sie mehr wollen alle Krach machen.

Revolte und Umsturz sind keine Lösung, auch wenn Dutschke der Meinung ist, daß nur auf diesem Weg bedeutende Veränderungen durchgesetzt werden können. Unterdrückung und PoKzeieinsatz sind es aber ebenso wenig.

1933 halt eine Stiudentengeneration ihre Chancen zur pcsdlttven Mit-arbeitt verspielt, indem sie den Staat zerschlagen half, den sie hätte mitgestalten sollen. Heulte steht eine neue Generaion vor ähnlichen Problemen. Ihr Beitrag kann dieser Demokratie sehr nützlich sein. Manches deutet auf eine solche Lösung hin. Einiges aber erweckt Besorgnisse. Niemand aber wird Fehlentscheidungen mehr zu büßen haben als — unsere derzeitigen Studenten selber.

Der argentinische Regierungssekretär Diaz Colodrero, der „Chefideologe“ der Regierung, sagte kürzlich: „Die Parteigänger der verschiedenen Richtungen — Liberale, Marxisten, Nationalisten — denken weiter, als ob seit 1930 nichts geschehn wäre. Sie verwenden Begriffe, die ins Museum gehören.“

In der Tat rätselt man über die Orientierung der Regierung seit der Revolution des Präsidenten General Juan Carlos Ongania. Manche sagen sie sei „liberal“ in der Wirtschaftsund „nationalistisch“ in der Innenpolitik. Der Präsident selbst sagte vor kurzem, Argentinien werde nicht zu dem alten „Liberalismus“ zurückkehren, womit er wahrscheinlich auf die traditionellen Parteien anspielte. Er lehnte gleichzeitig das „kommu-nitäre“ Regime — eine Abart des faschistischen Ständestaates — ab. Ein Oppositioneller, der Rechtssozialist Dr. Amirico Ghioldi, sagte kürzlich: „Wir sind uns nur in einem Wort einig; es heißt ,Nein'.“ Den gleichen Satz hätte ein Parteigänger der Regierung mit umgekehrtem Vorzeichen über ihre Orientierung sagen können.

Im Stadion ausgepfiffen

Obwohl jedoch Ongania kurz nach der Revolution noch die Gewerkschaftsführer zur Festvorstellung ins Teatro Colon einlud, haben sich seine Beziehungen zur „Masse“ so verschlechtert, daß er bei einem internationalen Fußballspiel kürzlich ausgepfiffen wurde.

Die derzeitige Leitung

des Gewerkschaftsdachverbandes „C: G. T.“ ist nicht anerkannt. Die Sitzungen ihres Zentralkomitees, das über die Einberufung eines Kongresses und die Neuwahl des Vorstandes entscheiden soll, werden immer wieder vertagt. Die sogenannten „orthodoxen“ Peronisten fordern eine harte Gegnerschaft zur Regieung, obwohl sie ihren Kampfplan erstik-ken konnte. Die Gewerkschaftsgruppe, die den „Peronismus ohne Per6n“ predigte und Perön durch den Führer der Metallarbeiter Augusto Vandor ersetzen wollte, ist umgekehrt zu einer Zusammenarbeit mit der Regierung bereit, während die sogenannten „Independientes“ („Unabhängige“), die ihre Gegner oft die Stehkragenproletarier nennen — also Angestellten- und Beamtenverbände — zur Opposition neigen.

Oligarch oder Wohltäter?

Die Regierung hat eine völlige Neuordnung des Arbeitsrechtes durchgeführt. Sie betrifft allgemeine Grundsätze wie die weitgehende Beschränkung des Streikrechtes durch das „Gesetz über zivile Verteidigung“ oder die Neuordnung für einzelne Betriebe wie den Hafen oder die Eisenbahnen. In diesem Rahmen ist ein Dekret von größter Bedeutung, nach dem Staatsange-stellte vorzeitig pensioniert oder mit Ubergangsgeldern und Umschu-lungskursen entlassen werden können.

Dieses Programm der „racionaliza-ciön administrativa“ („Verwaltungsrationalisierung“) läuft jetzt an. Etwa 75.000 Beamte der Zentralverwaltung sollen von ihm betroffen werden. Der Präsident der Elektrizitätsgesellschaft SEGBA will die Zahl ihrer Arbeiter von 24.500 auf 13.000 senken. Die Rationalisierungs-

pläne sollen mit den Gewerkschaften, soweit sie nicht wie die der Eisenbahner interveniert sind, diskutiert werden, wenn auch die Regierung allein entscheidet. Gute Beziehungen zur Regierung sind also gerade in diesem Augenblick mindestens für die betroffenen Gewerkschaften von vitalster Bedeutung. Das Einfrieren der Löhne, die in 18 Monaten um nicht mehr als 15 Prozent erhöht werden dürfen, und die geschickten Manöver, um den Kampfplan der „C. G. T.“ unschädlich zu machen, sowie die völlige Liberalisierung der Wirt-

schaft und die glänzenden Beziehungen Onganias zu den in- und ausländischen Kapitalisten haben in den Augen der argentinischen Masse und darüber hinaus in denen der lateinamerikanischen Öffentlichkeit überhaupt Ongania zu einem Repräsentanten der rechten Oligarchie gestempelt, ein Image, das dem Präsidenten, der ein „Wohltäter des Volkes“ sein möchte, durchaus nicht paßt.

Sanierung der Slums

Die jüngste Überschwemmungskatastrophe, die die Regierung mit

tatkräftigen Hilfsaktionen milderte, hat nun wieder die Situation in den „vdllas miseria“ (Elendsvierteln), die rings um Buenos Aires liegen, akut werden lassen. Zehntausende ihrer Bewohner, deren Blech- und Holzhütten weggeschwemmt sind, sind zur Zeit noch in Schulen Hospitälern oder Kasernen notdürftig untergebracht.

Der Minister für Wohnungswesen Julia Billorou hat nun mit erstaunlicher Geschwindigkeit einen Plan bei den sonst langsam reagierenden Regierungsstellen durchgepeitscht, mit dem das Problem der Elendssiedlungen im Laufe von Sieben Jahren gelöst werden soll.

In diesen „villas miseria“ leben aber auch Tausende ♦on Verbrechern. Nach Feststellungen des Ministers vegetieren etwa 280.000 Menschen in diesen Elendssiediun-gen, von denen etwa ein Fünftel durch ihr festes Arbeitseinkommen in der Lage dst, Raten innerhalb des Wohnungsbauprogramms aufzubringen. Vorläufig sollen also etwa eine Viertel Million Menschen aus diesen Notstandssiedlungen in provisorische Unterkünfte, die vom Heer auf Militärgebiet errichtet und von ihm überwacht werden sollen, übergeführt werden. Diese Menschen, die bisher unter primitivsten sanitären Bedingungen in absoluter Freiheit gelebt haben, dürften dieser zwangsweisen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen starken Widerstand entgegensetzen. Anderseits kann die Ongania-Rgierung durch die Beseitigung eines sozialen Übels ersten Ranges stark an internationalem Prestige gewinnen und den Eindruck eines rückschrittlichen Regimes ins Gegenteil verwandeln.

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