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Das rote Bremer Beispiel

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Anfang Juli dieses Jahres gewannen Mitglieder der linken Basis- und Projektgruppen an der Universität Hamburg bei der Wahl zum Studienparlament 37 von 40 Sitzen. „Keine Universität“ — so stellte der „Spiegel“ vom 13. Juli fest — „ist mehr ohne rote Fahnen und Parolen. Rote Lettern in der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg: ,Mao lebt, Mao siegt.' Wandspruch in der GÖttinger Georg-Aügust-Universität: .Lenins Worte — unsere Taten.'“ Der „Spiegel“ kommt nach Zitierung anderer Vorfälle zum Schluß: „Am Ende des Sommersemesters 1970 bieten sich westdeutsche Hochschulen in einer Verfassung dar, die manchen Professoren wie ein .Beginn der Sowjetisierung' vorkommt.“

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Anfang Juli dieses Jahres gewannen Mitglieder der linken Basis- und Projektgruppen an der Universität Hamburg bei der Wahl zum Studienparlament 37 von 40 Sitzen. „Keine Universität“ — so stellte der „Spiegel“ vom 13. Juli fest — „ist mehr ohne rote Fahnen und Parolen. Rote Lettern in der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg: ,Mao lebt, Mao siegt.' Wandspruch in der GÖttinger Georg-Aügust-Universität: .Lenins Worte — unsere Taten.'“ Der „Spiegel“ kommt nach Zitierung anderer Vorfälle zum Schluß: „Am Ende des Sommersemesters 1970 bieten sich westdeutsche Hochschulen in einer Verfassung dar, die manchen Professoren wie ein .Beginn der Sowjetisierung' vorkommt.“

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Fast täglich kann man in der Presse von dem Treiben der studentischen APO-Gruppen in der Bundesrepublik lesen. Österreich mutet dagegen wie ein sehr blasses, geradezu harmloses Gegenstück an. Ja, es erscheint — wie man es anläßlich der Universitätsfeier in Innsbruck, im Juni 1970 hören konnte — manchen, insbesondere deutschen Professoren geradezu als ein Eldorado alter Universitätstradition. Gewiß, wenn auch Österreichkenner meinen, es sei das Kennzeichen des Österreichers, daß er sich sowohl im Guten als auch im Schlechten in der Mitte bewege, indes die Deutschen mit ihrer Tüchtigkeit und ihrem Perfektionsstreben, im „Hindurch“ und „Haltet durch“, im Guten und im Schlechten ins Extrem schießen, so daß also auch auf Hochschulboden hierzulande niemals so heiß gegessen würde wie „draußen im Reich“ (ein Ausdruck, den schon Friedrich III. und Maximilian I. verwendeten und damit ihren Erbländerstaat Österreich bewußtseinsmäßig abhoben), so sollte man die Gärung, die in Österreich in der Studentenschaft mehr lautlos um sich. greift und eine vernünftige Hochschulreform nahelegt, ehe auch hierzulande die Dämme bersten, nicht unterschätzen.

Das Geschrei verhindert die Reform

Bedauerlich ist freilich, daß an sich vernünftige und gerechtfertigte Reformbewegungen vermeinen, mit einem spätaufklärerischen unausge-gorenen Propagandarüstzeug extrem linker Bürgerschreckspezialisten vorgehen zu müssen. Gerade dadurch, daß man dauernd „Revolution, Revolution“ schreit und in der Bundesrepublik das Establishment, die überkommene Gesellschaft, notfalls „ekrasitär“ zu behandeln verspricht, besteht die Gefahr, daß selbst aufgeschlossene konservative Kräfte sich notwendigen maßvollen Reformen verschließen, weil sie glauben, wenn man einen Finger gewähre, werde einem früher oder ^später unweigerlich die ganze Hand abgehackt.

Gerade in der Bundesrepublik, aber auch in Italien und Frankreich, gehen radikale linksintellektuelle Gruppen, des öfteren angeführt von Studenten, die als Produkte einer Wohlfahrtsverwahrlosung anzusprechen sind, denen das Geld eines sonst „fehlenden Vaters“ Müßiggang und dumme Gedanken ermöglicht, nach einer bis zur Perfektion getriebenen Taktik vor: Das Establishment gewährt uns erst dann die nötigen Reformen, wenn die Bomben krachen! Dadurch scheut das sogenannte Bürgertum, eben weil es sich vor einer Revolution fürchtet — schließlich bedeutet „revolutio“ immer noch völlige Umdrehung, also Umsturz der Gesellschaftsordnung — selbst vor der notwendigen schöpferischen Evolution zurück. Es weicht einer vernünftigen Veränderung oder Anpassung der Gesellschafts- und Staatsordnung, an die Erfordernisse des Atomzeitalters aus und verschanzt sich in Immobilität. Die Folge davon wäre: alles vernünftige (Halb-) Neue könnte sich nur durch bürgerkriegsähnliche Erscheinungen durchsetzen. Der Hauptleidtragende wäre dabei die mittel-und westeuropäische parlamentarische Demokratie, eine Regierungsform, die unter Einrechnung der prinzipiellen menschlichen Unzulänglichkeit doch die menschlichste und relativ beste Regierungsform darstellt, in der man die Harmonie, das Gleichgewicht von „au(c)toritas“ und „libertas“ in stetig neuem Anlauf zu verwirklichen suchen muß: die Ordnung in (der) Freiheit, die Freiheit in der Ordnung. Für Autorität und Ordnung steht das Vaterbild, für Freiheit und Gleichheit (vor dem Gesetz) das Bruderbild. Heute aber ist — nicht

Karikatur: „Ruhr-Naohrichten“

zuletzt an den Universitäten und Hochschulen — nur von Freiheit und Demokratie (= Bruderbild) die Rede, nie von der Notwendigkeit einer Ordnung aus Consens, von Anerkennung einer Autorität. Unter dieser Freiheit aber meint man de facto nur zu oft Zügellosigkeit, Freiheit zu Anarchie und Selbstzerstörung. Man redet von Freiheit und wäre bereit, mit etwa bloß 51 Prozent Stimmenmehrheit — in Wahrheit würde man wohl schon mit weniger losschlagen — den anderen den eigenen schrankenlosen Freiheitsbegriff aufzuzwingen, wenn nötig auch mit blutiger Gewalt. Wer erinnert sich da nicht an bestimmte Beispiele? Und dieser Holzweg zeichnet sich am „gründlichsten“, wie könnte es anders sein, an westdeutschen Universitäten ab.

Ein Interview mit dem 33jährigen neuen Bremer Hochschulchef Thomas von der Vring ist dafür typisch. Vring ist nach dem 31jährigen Berliner Diplom-Physiker und Soziologen Rudolf Kreibich (FU Berlin), dem 34jährigen Diplom-Ingenieur Alexander Wittkowski/ (TU Berlin) und dem 37jährigen Theologen Peter Fischer-Appelt (Universität Hamburg) der vierte Nach- und Frühwuchs-Akademiker, dem im Zuge der Hochschulreform die Führung einer Universität anvertraut wurde. Anfang Juli, bestellte ihn der Senat von Bremen zum Gründungsrektor der in Planung befindlichen Hanse-Universität. Von der Vring, Sohn des namhaften Lyrikers Georg von der Vring, habilitierte sich mit einer Arbeit über das Problem einer Wahlrechtsänderung. Mit dieser Habilitationsschrift trat er gegen ein Mehrheitswahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er versuchte nachzuweisen, daß dadurch konservative Kräfte gestärkt würden, ihre Kooperation uneinsichtig würde und daß die Bevölkerung dies als Manipulation empfinden würde. In dieser „wissenschaftlichen“ Arbeit griff er auch die Große Koalition und die Notstandsgesetzgebung an. Die SPD überlegte sich daraufhin die Wahlrechtsänderung. Von der Vring ist also der linke Aktivtyp des Politologen von heute.

Es ist nun bezeichnend, daß er auf Grund einer 13-Seiten-Programm-schrift (Bewerbung) zum Gründungsrektor bestellt wurde, die man kaum noch als Verschleierung gewisser einseitig ideologischer Herrschaftsinteressen bezeichnen könnte. Der 1969 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD-Jungsozialisten Gewählte, der den Slogan prägte: „Wir sind die SPD der achtziger Jahre“, ging zwar den Weg des SDS (Sozialistischen Deutschen Studentenbundes) in die Außerparlamentarische Opposition (APO) nicht mit. Es ist aber wohl die Frage, ob er sich zuinnerst von dieser Richtung distanziert hat. Bedenklich stimmt, daß er von einer ,,kritischen Universität“ spricht, die den „Zusammenhang zwischen Kritik und Revolution“ für die Gesellschaft ahnen lasse, und wenn daraufhin der Bremer Regierungschef Hans Kosch-nick bereits jetzt, ehe noch die Universität steht, sagen muß: ,;Wenn der Verfechter dieser Ziele mit Revolution Gewalt meint, dann werde ich ihm mit Mitteln der Polizei und des Gerichts auf die Finger klopfen“ („Der Spiegel“, 13. Juli 1970). Von der Vring hält zwar „marxistische Universitäten“ angeblich für sinnlos, doch steht mindestens fest, daß er sozialistische Ideen und marxistische Methoden in' das Curriculum der Hanse-Universität aufnehmen wird. Ob die Warnung der Zeitung „Die Welt“. Bremen nicht zur „Kaderschule der Revolution unter dem Kommando eines Linksextremisten“ zu machen (Bernd Nellessen), nicht doch einen Kern von Berechtigung hat, bleibt abzuwarten.

In dem „Spiegel“-Gespräch bemühte sich Von der Vring um Verharmlosung, konnte aber den Eindruck einer teilweisen Ungereimtheit und Unechtheit nicht einmal gegenüber dem Linksintellektuellen-Freund, aber scharfen Sezierer Rudolf Augstein zerstreuen. Augstein fürchtet demnach weniger, daß Von der Vring einer sozialistischen als daß er „einer nicht arbeitsfähigen Universität Vorsitzen könnte... Seine heutigen Gedanken bewegen sich entweder hinter unzulänglicher, ja, wenn es so wäre, kläglicher Tarnung, oder offenbaren eine für einen Amtsträger dieser Wichtigkeit denn doch bestürzende Inkonsequenz“. Was für verworrene Vorstellungen hier am Werk sind, ergibt sich auch aus der erwähnten Bewerbungsschrift, in der es unter anderem heißt, die Universität solle ihre Absolventen drängen, in ihrem nichtuniversitären Leben „der Realität zu widerstehen und in ihrem Bereich am Fortschritt zu arbeiten“. Resignierend fragt Augstein am Ende, was bei der Stundentenrevolte herausgekommen sei und meint schließlich: „Ob die Universität erneuert oder erledigt worden ist, läßt sich noch nicht sagen. Eines läßt sich sagen: Klirrende Fensterscheiben bewirken nur noch, daß die Bürger sich an klirrende Fensterscheiben gewöhnen. Erwachsensein gilt nicht mehr als Geburtsfehler. Thomas von der Vring, wenn er etwas taugt, wird mit eigenen Händen Professoren aus der Erde kratzen, die anderer Meinung sind als er selbst.“

,,Revolution“ und „wissenschaftlich“ sind Hauptbegriffe jungsozialistischer Hochschulpolitik. Obwohl Von der Vring in seiner Bewerbungsschrift, die er als „wissenschaftlich formuliertes Papier für Wissenschaftler“ bezeichnete, als Ziel seiner Universität deutlich die Erhellung des „Zusammenhanges zwischen Kritik und Revolution“ anpeilte und er danach im „Spiegel“-Gespräch diese Revolution im Kampf „um das Bewußtsein der Massen, um wenigstens 51 Prozent“ erblickt, hat er in dem gleichen Gespräch wohl — im Sinne einer Verschleierung — auf eine (Suggestiv-) Frage des Interviewers „eingeräumt“, daß es sich (angeblich) dabei de facto um eine „Evolution“ handle. Gefragt, ob er also Anhänger der parlamentarischen Demokratie sei, antwortete er: „In dieser Zeit hat es einen guten Grund, daß wir ein parlamentarisches System haben. Dieses System ist natürlich variationsfähig ...“ Damit verschleierte er, daß er die parlamentarische Demokratie nur auf 2^1t bejaht. Dann aber kam heraus, daß seine Revolution auf dem Weg über den Kampf um mindestens 51 Prozent der Wählerstimmen vor sich gehen solle. Schweden sei „diesen Weg gegangen“. In Deutschland aber werde „ein riesiger Kampf entbrennen. Die SPD wird um diesen Kampf nicht herumkommen — kein Kampf mit Kanonen, vielmehr ein Kampf um das Bewußtsein der Massen, um wenigstens 51 Prozent“. Was aber dann? fragt der bescheidene „bürgerliche“ Leser. Unausgesprochen räkelt sich hinter den Worten des Jungsozialisten Von der Vring die undemokratische Gewalt einer Minderheit

Wie verfahren aber die Situation andernorts ist, zeigt das „Sozialistische Arbeitskollektiv“ am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Sein Studienzweck liegt „im proletarischen Kampf“; den Genossen ist es „klar, daß wir Agitation entfachen“. Bleibt nur die Hoffnung, daß sie „lernen“, wie Augstein von Von der Vring hofft Vor allem, weil sie älter werden! Aber wie viele Kontinuitäten werden inzwischen zerrissen worden sein, weil die Forderung nach schöpferischer Evolution von den Manipulanten und ihren knieweichen behördlichen Helfern mißachtet wurde? Ist es nicht absurd und kennzeichnet es nicht die Verwirrung der Geister, wenn heute gegen jene unerleuchteten Freiheits-Schreier, hinter denen eine Kollek-tiv-„Ordnung“ der Gewalt lauert, sich an jener Stätte, wo sie zuerst und am lautesten schrien (Dutschke und Teufel), an der Freien Universität Berlin, über 200 Professoren zu einer „Notgemeinschaft für eine freie Universität“ zusaxnmengeschlossen haben? In Bonn bildeten über 200 Professoren einen Kampfbund „Freiheit der Wissenschaft“. Jüngst hat sich diesem Bund auch — und dies ist symptomatisch — einer der außenpolitischen Berater Willy Brandts, Professor Richard Löwenthal, angeschlossen. Er glaubt, daß eine „rote (marxistische) Universität“ droht, und zwar durch die Existenz aktivistischer studentischer Gruppierungen die sich als Feinde unseres demokratischen Staates fühlen und die Hochschule bewußt benutzen wollen, um Positionen von Einfluß in der Gesellschaft zu erlangen und diese demokratische Ordnung zu untergraben. Zum zweiten dadurch, daß mißverständlich konzipierte Hochschulgesetze diesen Gruppen ihre Arbeit erleichtern“.

Es ist kein Zufall, daß der bedeutende Soziologe der Universität Münster, Helmut Schelsky, in seiner Analyse „Abschied von der Hochschulpolitik“ (Bertelsmann-Universitätsverlag, 1969) bereits in den Kapiteltiteln einen Katalog allgemeinen Versagens aufstellt und dann auch nachweist: Er beginnt mit der „Rolle der ideologischen Strukturschwierigkeiten der Hochschule“ und geht über zur „Universität im Fadenkreuz des Versagens“ und erläutert: „Das Versagen der Professoren — Das Versagen der Studenten und Assistenten — Das Versagen der Behörden — Das Versagen der Politiker und der Öffentlichkeit.“ Daraus wird klar: im wesentlichen handelt es sich um ein Versagen der Väter mannigfachster Art! Man sage nicht, daß dies nicht auch für Österreich seine Gültigkeit habe.

Wenn in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem in von der SPD regierten Ländern, Universitätsgesetze gelten oder ausgearbeitet werden, die statt Professoren-Prä-ponderanz eine abgestufte Mitbestimmung von Professoren, Assistenten und Studenten vorsehen, so ist das theoretisch wohl auch für uns diskutabel. Die Schwierigkeiten ergeben sich erst bei der Erarbeitung und Erprobung einer funktionsfähigen Struktur, eines „System of checks and balances“, das zwar die Ordinarienherrschaft auf das Maß zurückführt, zugleich aber sicherstellt, daß nicht eintritt, was Richard Löwenthal mit Recht befürchtet: ein Leistungsverfall in Forschung und Lehre. Denn in den „demokratisierten“ Universitäten werden Prüfungsordnungen von denen mitbestimmt, die selbst diese Prüfungen noch nicht bestanden haben. Die Personalauswahl erfolgt zunehmend unter dem Druck ideologischer Bewegungen. Die Lehrpläne werden nicht nach dem bestimmt, was die Gesellschaft von ihren künftigen Lehrern, Richtern, Beamten und Journalisten an Kenntnissen erwarten muß, sondern nach dem, was radikalisierten Studenten und Assistenten in die Richtung paßt.

Es ist zu hoffen, daß man in Österreich aus dem Irrweg anderer lernt. Wir könnten ihn uns bei einigem Hausverstand ersparen.

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