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Bamberger Thesen

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Als „fraktionelle Stimme eines katholischen Politikers“ bezeichnet Bundesminister a. D. Vizebürgermeister Dr. Heinrich Drimmel selbst in einem dem Manuskript beigefügten Begleitbrief, seine vor kurzem vor katholischen Männern Deutschlands in Bamberg gehaltenen Ausführungen. Gerne stellen wir diese — um ebenfalls wieder mit Dr. Drimmels eigenen Worten zu sprechen — „Stimme von rechts her“ zur Diskussion. Wir könnten uns vorstellen, daß sie eine lebhafte Aussprache eröffnet.

Die Redaktion

Alle vier Jahre sind die stimmberechtigten Bürger der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen, den Bonner Bundestag zu wählen. Und alle vier Jahre treffen sich zuvor die katholischen Männer Deutschlands, es sind dies die Männergemeinschaften der 22 Diözesen und über 30 große Männerorganisationen, in der Stadt Bamberg zu einer staatspolitischen Tagung. In Bamberg pflegte Konrad Adenauer vor zehn-tausenden Männern aus ganz Deutschland den Umfang und die Bedeutung der Wahlentscheidung nach den ihm gemäßen Kriterien des Glaubens zu messen. Heuer lautete das Thema: Entscheide dich, entscheide mit. Heuer, am 27. Juni, sprach auf der Kundgebung am Domplatz Bundeskanzler Ludwig Erhard, der als evangelischer Christ die Nachbarschaft zu den katholischen Männern ausdrücklich und überzeugend bejahte. Konrad Adenauer fehlte; zum erstenmal. Er hatte an dem am gleichen Tag zu Ende gehenden entscheidungsschweren Wahlkampf im Saarland bis zuletzt teilgenommen. Aus Österreich hatte man Leopold Figl erwartet. An seiner Stelle sollte ich sprechen.

Auf die Christlichsozialen und auf die christlichen Demokraten in der Bundesrepublik wälzt sich am Vorabend der Wahlentscheidung 1965 der zusammengefaßte Angriff aller, die den Glauben zu neutralisieren versuchen. Die den Glauben als Kriterium politischer Entscheidungen aus dem öffentlichen Leben entfernen wollen.

Dieser Angriff wird auf einer beträchtlichen Frontbreite vorgetragen.

Die Front reicht von den sogenannten Linkskatholiken bis zu den Kommunisten, die zwar in der Bundesrepublik nicht kandidieren, die aber dafür die gezielte Agitation und Propaganda aus der Ostzone mit in Ansatz bringen. In dieser Front steht die zum Kampf um die Spitze entschlossene SPD neben jenen sogenannten Liberalen, für die immer der politische Grundsatz gilt: Pas d'ennemi ä gauche, das heißt: Kein Feind von Links. Durch ein Bündnis der Intelligenz, die angeblich nur links existieren kann, mit den Massen, für die angeblich rechts kein Platz ist, soll die Front eine massive Breite und eine stahlharte Spitze bekommen. Und deswegen ist die Front ein wahres „Spiegel“-Bild des militanten politischen Literatentums der Herren Amery, Augstein, Grass, Hochhuth, Kogon, Richter usw.

Jetzt, wo diese Front nicht mehr aus verdeckter Feuerstellung auf die CDU/CSU feuert, wird das Ziel der agitatorischen und propagandistischen Bemühungen sichtbar, mit denen man versucht, den Menschen, die rechts von links stehen,

die „unbewältigte Vergangenheit“ an den Hals zu hängen; wird es klar, daß Rolf Hochhuths Schauspiel „Der Stellvertreter“ kein literarisches Experiment gewesen ist, sondern edn politisches Attentat. Die ungezählten schweren politischen Aggressionen der Linken in der Presse, in Film, Hörfunk und Fernsehen offenbaren das letzte Ziel: Es geht nicht darum, daß ein besseres Programm für ein besseres Ziel an den Mann gebracht wird; es geht darum, dem Gegner den Stempel der Minderwertigkeit aufzudrücken; es geht darum, ihm an Stelle des Bewußtseins einer geschichtlichen Leistung das Bewußtsein einer Schuld anzuhängen; es geht darum, nachzuweisen, daß man am 19. September 1965 einen Sieg feiern wird, der nicht nur eine politische Notwendigkeit ist, sondern ein Sieg der besseren Moral; sinnfälliger ausgedrückt: ein Sieg über die schwarzen „Dreiviertelhirne“.

Christen sind heutzutage dämlich

Hans Werner Richter, der den Almanach für die linksintellektuellen Literaten geschrieben hat, möchte der schlecht beratenen CDU/ CSU gut raten: Wenn diese der parlamentarischen Demokratie überhaupt noch einen Dienst erweisen können und wollen, dann sollten sie sich freiwillig in die „Opposition hineinwählen lassen“; Herr Richter macht die CDU/CSU geradezu dafür verantwortlich, daß heuer die SPD an die Regierung kommt, und zwar mit einer absoluten Majorität.

Denn: Das müßten schließlich auch die christlichen Wähler einsehen. Diese Bundestagswahl 1965 ist kein weltanschauliches Bekenntnis, sondern eine „notwendige Ablösung“. Der Christ, der diesmal SPD wählt, identifiziert sich gar nicht mit der SPD. Er schickt nur die SPD auf einen „Prüfstand“, damit er sich nachher ein neues, ein besseres politisches Urteil bilden kann als jenes, das ihn bisher veranlaßt hat, seine Stimme nicht der politischen Linken zu geben.

Schließlich und endlich, so sagen die ideologischen Schnellfeuergeschütze der Linken, eine „Wahl mit einem weltanschaulichen Bekenntnis zu verbinden“, das wäre doch ein „Relikt der Vergangenheit“. Und überhaupt: Was ist denn eine „wirklich christliche Regierung“? Darüber gibt der Hörspielautor Richard Hey Auskunft. Eine christliche Regierung ist, so meint Herr Hey, etwas „ebenso Fürchterliches“ wie eine unchristliche Regierung. Hitler und Stalin hätten in der Gegenwart solche unchristliche Regierungen geleitet; für die fürchterlichen christlichen Regierungen in der Gegenwart gehen Herrn Hey die Beispiele ab. Aber vielleicht kommt in der Gegenwart noch einmal ein Philipp von Spanien oder ein Calvin und erschlägt, schindet und verbrennt die Menschen. Vielleicht werden nicht alle Deutschen an diese maßlose Gefährlichkeit der christlichen Politiker glauben; vielleicht werden sie eher vermuten, daß bisherige christliche Staatsmänner dumm und unfähig sind. Das von einem Politiker anzunehmen, ist man doch im allgemeinen eher bereit. Wenn man etwa urteilt: anständig aber unfähig, dann hört sich das an wie ehedem: arm aber anständig.

Die „anständigen Leute“

Und anständige Leute gab es unter den Christen immer. Zum Beispiel die Reichskanzler Caprivi und Hohenlohe, die kamen, als Bismarck ging. Und Ludwig Erhard, der nach Konrad Adenauer Bundeskanzler wurde. Alles anständige Leute, aber „keine Politiker“; wie es sich bewiesen hat und heute wieder beweist. Wenn man als linksorientierter Literat seine Abrechnungen mit einem der zahlungskräftigen Hausverlage der politischen Linken in Ordnung ■ halten kann, dann darf man es sich schon herausnehmen, ein derartiges Urteil über die staats-münnische Leistung Ludwig Erhards so richtig in den Griff zu nehmen.

Wie müßte aber in diesem Wahljahr 1965 neben solchen „unmöglichen Politikern“ das Modell eines

„möglichen Politikers“ der Linken aussehen?

Das Politikermodell „SPD 1965/1969“

Ein solcher Politiker müßte ein soigniertes Hochschulstudium hinter sich gebracht haben: Philosophie, Sozialwissenschaften, Geschichte und (leider auch) Psychologie. Zu einer solchen politischen Laufbahn gehört — laut Jürgen Becker —, daß bei der Verfassung der Doktorarbeit die Lust, Bücher zu schreiben, ausrinnt und das Ideal der Dozentur fadenscheinig wird. Es genügt, daß man für den Rest des Lebens sagen kann: Politik ist nicht mehr als ein notwendiges Übel. Ich sollte ja bei Professor XY Dozent werden.

Natürlich schreibt das SPD-Modell 1965/1969 in Kolumnen, „vor allem in

einer Illustrierten“. Da die Illus' aus Deutschland Deutschland doch so herrlich weit gebracht haben, wäre es doch ein Jammer, wenn in diesen Edelprodukten deutscher Geistigkeit das Produkt dieses neuen Politikermodells fehlen würde.

An dieser Stelle hört man ^zuweilen einen Zwischenruf: Aber wie ist das Konzept dieses neuen Politikermodells?

Politische Luxusverwahrlosung

Das „Modell eines möglichen Politikers“ hat natürlich ein Konzept. Kein neues Konzept. Denn: Wer redet hier von einem neuen Konzept? Ein anderes Konzept muß her, eines, das anders ist als jenes, nach dem Konrad Adenauer und Ludwig Erhard das deutsche Volk von der Gefahr des Abgrundes weggeführt haben, an dem es 1945 gestanden hat. Anders also. Wie anders?

Die Länder, in denen gegenwärtig das Wunder des Wohlstandes blüht,

erleben eine Art politischer Luxusverwahrlosung. Es geht in diesen Ländern zu wie in einer Ehe, in der es die Ehegatten ein wenig rasch zu Besitz, Genuß und Luxus gebracht haben. Solche Ehegatten können sich oft beim besten Willen nicht mehr zu konsumieren leisten, weil sie silberne Nockerl nicht essen können. Aber etwas anderes müßte man einmal probieren. Auch in der Ehe. Ein neues Modell des Partners. Und sei es nur für eine Saison und auf die Gefahr des kommenden Katzenjammers.

„It's time for a change.“ Es ist Zeit für eine Abwechslung, für die Ablösung der Regierung und der Regierungspartei. Die CDU/CSU herunter und die SPD hinauf auf den „Prüfstand der politischen Bewährung“. Wie lange soll eine solche Bewährung der Linken an der Macht dauern? Na — sagen wir 30 oder 40 Jahre, so lange zum Beispiel, wie die Linke in den skandinavischen Staaten bereits an der Macht ist. Nachher — verehrter deutscher christlicher Wähler vom Jahre 1965, kannst du dir wieder eine neue Vorstellung vom Modell eines möglichen Politikers und einer möglichen Regierungspartei machen.

Auf der Reise nach Österreich

Auf der Heimreise von Bamberg nach Österreich habe ich über all das nachgedacht.

In meinem Ohr war wieder die krächzende Leutnantsstimme, mit der Rudolf Augstein beim SYMPOSIUM 600 seinen geistigen Einzug in die Geschichte der Alma mater Rudolphina angemeldet hat.

Die Kavalkade der „linkskatholischen“ Literaten, Soziologen, Geschichtswissenschaftler und verhinderter Privatdozenten aller Fächer, die im Gegensatz zu Ernst Karl Winter nur links gestanden haben, zog an mir vorüber.

Pressestimmen werden laut. Unliberal, wie sie nur ein Wilhelm Röpke in ihrer libertinistischen Scheinheiligkeit entlarven kann. Pas d'ennemi ä gauche. Kein Feind

von links. Nach rechts hin müßt ihr angreifen. Nach links hin genügt appeasement angesichts des Linksextremismus.

Und dazu der Stehsatz: Keine längst überholten, unmodernen und daher schon rückschrittlichen Dogmen in der Politik. Gefordert sind „sachliche“ Lösungen. Und wer liefert die Maßstäbe dafür? Die sind doch bekannt: Demokratie, Humanismus, Toleranz, Internationalismus usw. usw, Wendet erst einmal diese Methode des politischen Handelns an; die Sachinhalte werden wir euch schon aufzeigen.

Und vor allem: Laßt den Glauben weg. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann der Glaube doch nicht länger Maßstab politischer Entscheidungen in der

Öffentlichkeit sein. Was wir brauchen, das ist ein „neutralisierter Glaube“, „entideologisierte Parteien“ und eine „verfachlichte Politik“. Alles andere — laßt weg und üoer den Rest der Zerwürfnisse wird man sich rasch einig werden.

Ja — und die Linke? Die gibt es doch nicht treugläubiger Christ. Links stehen nur Menschen, die wollen, daß die Schwachen nicht schwach, die Mittellosen nicht arm

und die ins Unrecht Gesetzten nicht rechtlos bleiben. Gehörst du, Christ, nicht zu diesen, die also Gutes wollen; und warum bleibst du länger bei denen, die es wollen, daß andere schwach, mittellos und ins Unrecht gesetzt sind?

Auch in Österreich ist das Spiel für 1966 ausgegeben. Für eine Nationalratswahl. Und wer wird ausspielen?

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