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Machen wir's den Schweden nach ..

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Machen wir's den Schweden nach... wählen wir einfach ab!“ ruft der siegesgewisse Kanzlerkandidat der Unions-Parteien Helmut Kohl in die Hundert- und Tausendschaften seiner Versammlungszuhörer in den letzten Tagen vor der deutschen Bundestagswahl. Worin aber sollen die deutschen Wähler den Schweden wirklich folgen? Die Sozialdemokraten nehmen in der letzten heißen Phase um das Bonner Regierungsamt den Ball der Herausforderer auf: „Ja, machen wir's den Schweden nach, das heißt aber vorerst: noch 37 Jahre erfolgreicher sozialdemokratischer Regierung!“, tönt es unter dem Jubel der Genossen auf den Wahlveranstaltungen der SPD. Während sich Polit-Profis noch über die Verglecihbarkeit der deutschen mit der schwedischen Situation streiten, steht fest: Dieser Bundestagswahlkampf legt an Härte einen Stil vor, wie ihn bisher in Österreich wohl keine der Parteien gewagt hat zu führen.

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Machen wir's den Schweden nach... wählen wir einfach ab!“ ruft der siegesgewisse Kanzlerkandidat der Unions-Parteien Helmut Kohl in die Hundert- und Tausendschaften seiner Versammlungszuhörer in den letzten Tagen vor der deutschen Bundestagswahl. Worin aber sollen die deutschen Wähler den Schweden wirklich folgen? Die Sozialdemokraten nehmen in der letzten heißen Phase um das Bonner Regierungsamt den Ball der Herausforderer auf: „Ja, machen wir's den Schweden nach, das heißt aber vorerst: noch 37 Jahre erfolgreicher sozialdemokratischer Regierung!“, tönt es unter dem Jubel der Genossen auf den Wahlveranstaltungen der SPD. Während sich Polit-Profis noch über die Verglecihbarkeit der deutschen mit der schwedischen Situation streiten, steht fest: Dieser Bundestagswahlkampf legt an Härte einen Stil vor, wie ihn bisher in Österreich wohl keine der Parteien gewagt hat zu führen.

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Die politische Szene in der Bundesrepublik vor dem 3. Oktober zeigt recht deutlich, wie sehr die Uhren in Österreich anders gehen. Das ist der erste und wohl nachhaltigste Eindruck bei einem Besuch in diesen turbulenten Tagen. Freilich ist es verständlich, daß Härte, teils Nervosität sowie den Grenzen der Überheblichkeit sich nähernde Siegesgewißheit Rhetorik und Stil dieses Wahlkampfes diktieren: Den Unionsparteien bläst, wie schon lange nicht mehr, der Wind in den Rücken. Bürgerlicher Defaitismus wurde durch die Führer von CDU und CSU durch die zwar unausgesprochene, aber stets in der Luft hängende Formel „Wir werden gewinnen, weil wir gewinnen“ aus dem Unterbewußtsein verdrängt. Die Sozialdemokraten, und an deren Leine die Freidemokraten, kämpfen mit dem Rücken zur Wand. Gut 50 Prozent ihres gesamten Werbefeldzuges müssen dafür herhalten, die Slogans von CDU/ CSU zu dementieren (CDU: Freiheit statt Sozialismus; SPD: Freiheit und Sozialismus).

Nach “den HochsommerNyochen., hatte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl einen Blitzstart hingelegt. Fast hatte es den Anschein, als habe er zu früh losgelegt. Doch bis zuletzt ist der Opposition der Stoff nicht ausgegangen, wobei allerdings zu vermerken war, daß bisweilen Qualität und Tiefgang durch aus der Waschmittelreklame entlehnte Vokabeln ersetzt wurden. In der Oppositionswerbung dominieren einerseits der weite Bereich der Wirtschaftspolitik (Arbeitslosigkeit, Investitionsunlust, Skandale) sowie anderseits die in ihren Augen völlig verfehlte Ostpolitik. Helmut Schmidt, bisweilen als „der andere Helmut“ oder der „Mann mit der Schiffermütze“ apostrophiert,beschränkt sich im wesentlichen auf die Anpreisung des „Modell Deutschland“, eines statistischen Zahlengebäudes über die Regierungsleistungen der abgelaufenen Periode. Selbst bei einer mehrtägigen Tournee durch das Ruhrgebiet mied Schmidt peinlichst das Thema Arbeitslose (derzeit gibt es rund eine Million), lediglich ein einziges Mal sprach er von Kurzarbeit.

Ähnlich wie bei den Unionsparteien, wo Franz Josef Strauss (SPD-Propaganda: „Idi Alpin“) ein breites, von Kohl nicht erreichtes Wählerspektrum abzudecken hat, zieht auch Schmidt nicht allein durch die deutschen Lande: Willy Brandt ist als Wahlkampflokomotive im Einsatz. Ihm gehört die Liebe der Jusos, ihm gehört überhaupt die Liebe der gesamten Partei, ihm gehört also auch das Sagen in der SPD. Von Brandt, der insgesamt 115 Wahleinsätze — Schmidt 75 — absolviert, heißt es, er kehre heute wieder zu den radikaleren Tagen seiner Jugend zurück. Fast hat man den Eindruck, dieser Ruck nach links lasse den allen Meister bisweilen die Kontrolle übeijj die eigen^ fhßtööÖ^Br^lanz ent-jj gleiten. Zwischenrufern in Regensburg donnerte er vom Rednerpult entgegen: „Das deutsche Volk weiß, daß ihr hier das Analphabetentum vertretet.“

Aber nicht nur der bei Kognak und Wein im holzgetäfelten Salonwagen der Bundesbahn durch den Wahlkampf rollende „Friedensnobelpreisträger“ („Bundeskanzler a.D.“ würde sich bei den Begrüßungen nicht so gut anhören) ist kräftig in der Aussage: Helmut Schmidt (CDU: „Ein Bundeskanzler mit begrenztem Auftrag“, „Aushängeschild der Brandt-Wehner-Partei“) ist auch nicht gerade zimperlich, was den Anspruch auf Wahrheit betrifft: „Es genügt in der Demokratie nicht, wenn man hier oben recht hat“ — dabei tippt er sich an die Stirn — „man muß auch eine Mehrheit haben!“ Der Slogan der CDU „Freiheit statt Sozialismus“ liegt dem Kanzler unentwegt im Magen, reizt seine schlagfertige Zunge: „Wir sind ebenso legitimiert, von Freiheit zu reden, vor Gott und vor der Geschichte“, ruft er in Augsburg wütend ins Publikum.

Spätestens seit der Palme-Niederlage in Schweden leuchtet in Schmidt (ZEIT-Interview: „Ich habe nichts gegen den Titel ,Macher'“) ständig ein kleines Warnlämpchen. Es. nährt auch in ihm die Überzeugung,' daß der herkömmliche Sozialstaat an seine finanziellen Grenzen und in ordnungspolitische Schwierigkeiten stößt, daß eine Unmenge unbeantworteter Fragen der technischen Zivilisation von vielen Wählern seiner Regierung zum Lösen aufgegeben wird, daß auch die Bürokratie in ihre Schranken gewiesen werden sollte. In all diesen Punkten mußte Schmidt jedenfalls ein wenig von der oppositionellen Kritik für seine Programme und Aussagen umformulieren. So erklärt Schmidt heute, in vielen Gesellschaften sei der naive Glaube an die Heilswirkung eines omnipotenten Staates zurückgegangen. Ebenso versichert Schmidt, durch die CDU-Argumentation, der Staatsanteil am Bruttonationalpro-dukt habe sich in den letzten Jahren von 37 auf 48 Prozent erhöht, in die Defensive gedrängt, er sei nicht der Meinung, daß man die Steuerquote in Deutschland noch steigern dürfe. Auch die CDU-Angriffe auf die Ostpolitik sieht sich Schmidt gezwungen zu parieren. In den letzten Tagen spricht er von neuen Gesprächen mit der Sowjetunion, die nicht nur möglich, sondern auch nötig seien.

Helmut Kohl, der „Schwarze Riese aus Mainz“ oder, laut SPD, der „Provinzpolitiker ohne Erfahrung“, führt einen geschickten, nicht nur auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf. Sein Wahlkampf hat eine breite Basis, Strauss, Biedenkopf, Barzel, Dregger und Carstens sind die tragenden Säulen. Trotzdem aber ist der Kampf des Herausforderers ein lupenreiner Kanzlerwahlkampf. „Kanzler für Deutschland“ lautet eine der Hauptparolen der CDU, mit der sie Kohl als neuen Regierungschef offeriert. Fast möchte man glauben, für die CDU/CSU sei das Rennen schon gelaufen, so siegesgewiß gibt sich alles. Doch die Überzeugung der Parteiführung, deren Wahlkampflinie Ex-ORF-„General“ Gerd Bacher einen ganz entscheidenden Stempel aufgedrückt hat, ist: Wer aus der Opposition heraus nicht von vornherein aggressiv ist, wer nicht permanent angreift und nicht die Überzeugung, gewinnen zu können, stärkt, der ist von Anbeginn weg nur der zweite Sieger. Und so tritt Helmut Kohl, ständig von seiner aparten Gattin Hannelore begleitet, ungeniert aufs Gefühlspedal.

Peinlichst unterscheidet Kohl zwischen den Sozialisten und den Sozialdemokraten. Letztere, und das lasse sich nicht leugnen, „haben auch große Leute für unsere Heimat hervorgebracht“. Damit schlägt Kohl auch stets^ eine Brücke zu Konrad Adenauer, den Kanzler der großen Leistungen für den Wiederaufbau Deutschlands. Spontanen Applaus verdient sich der Herausforderer, wenn er auf das kommunistische Deutschland jenseits der Zonengrenze zu sprechen kommt: „Wir wollen beiden Teilen unsere Volkes ein Ja sagen zur Freiheit und zur Selbstbestimmung; das ist nicht kalter Krieg.“ Wer mit den Kommunisten spricht, fährt er fort, der müsse wissen, was er will. „Wir wollen Geben und Nehmen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander stellen.“ Und später: „Es ist nicht besser geworden, der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze muß fallen. Das ist nur noch moderne Barbarei!“ Bei Wahlkundgebungen der Bundestagswahl 1972 hatte der damalige Kanzler Willy Brandt Hoffnungen in der gleichen Richtung genährt, ohne sie jemals erfüllen zu können.

Mit seiner vom Wahlkampf bereits etwas ramponierten Stimme bringt Kohl stets auch eine Reihe konkreter Forderungspunkte: Die Steuer-und Belastungsschraube darf nicht noch weiter angezogen werden („Leistung muß vom Staat wieder herausgefordert werden“), Verteidigung der Freiheit, Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation und Sicherung der Renten („Das ist eine Frage der Moral.“). Breiten Raum widmet die CDU auf ihren Versammlungen klarerweise der Beschäftigungslage. Mit einer Million Arbeitslosen liegt die Bundesrepublik als seinerzeitiges Wirtschafts-wunderland an der Spitze der europäischen Staaten. Kohl und seine Opposition wollen aus diesen Arbeitslosenunterstützungsbeziehern wieder Arbeitnehmer machen, die Steuern zahlen können. Das Image, das sich Kohl zurechtgezimmert hat, kommt auch zum Ausdruck, wenn man registriert, welche Begriffe in seinen Reden immer wieder auftauchen: Solidarität, Sparsamkeit, Treue, Fleiß, sogar Pünktlichkeit und sehr viel Patriotismus. Alles in allem ist das Oppositionskonzept ein „Deutschland-Konzept“, bei dem am Ende jeder Veranstaltung auch das von allen Versammlungsteilnehmern gemeinsam gesungene Deutschlandlied nicht fehlen darf.

Die Wahl am 3. Oktober wird in erster Linie ein Kampf der Giganten. Es wird vielfach erwartet, daß sich der seit vielen Jahren andauernde Polarisierungsprozeß in die zwei großen Parteiblöcke fortsetzt. Bei den letzten Bundestagswahlen konnte die FDP mit 8,4 Prozent der Stimmen insbesondere unter den Beamten und Angestellten einen guten Erfolg landen. Für diese These spricht auch, daß die FDP keinen offensiven, sondern einen eher lauwarmen und wenig einfallsreichen Wahlkampf führt. Sie beschränkt sich im wesentlichen auf die Präsentation ihrer vier Minister und deren Arbeit. Das Verhalten gegenüber der FDP ist einer der wenigen wunden Punkte im bisher ohne Pannen abgespulten Werbekonzept der Unionsparteien: Weite Teile der CSU und auch der CDU (insbesondere Hessens) sind der Ansicht, man hätte die FDP von Anfang an gemeinsam mit der SPD unter Beschuß nehmen müssen; man hätte die FDP viel stärker als den handlungsunfähigen Juniorpartner der SPD herausstreichen müssen.

So aber wird die FDP von CDU/ CSU nahezu ignoriert. Gibt es vage Hoffnungen, daß die FDP vielleicht doch einmal mit den Unionsparteien koalieren könnte? Hoffnungen wahrscheinlich, die trotz Niedersachsen und Saarland für die nächste Zukunft eher unwahrscheinlich anmuten. Zu sehr, so hört man von Insidern, hat sich die Basis der Partei linksliberalem Gedankengut verschrieben, wenngleich auch die Parteispitzen selbst eher noch für einen gemeinsamen Weg mit CDU/CSU zu haben wären.

Die große Bombe, die in den letzten Tagen vor der Wahl, immer noch von den Parteien befürchtet oder erhofft wird, dürfte auch diesmal ausbleiben. Letzte Anstrengungen der Regierungskoalition, sich vor den Vereinten Nationen im Rahmen der Terror-Bekämpfung zu profilieren, dürften ebenso nicht mehr ins Bewußtsein der Wähler eindringen, wie das verzweifelte Bemühen der SPD, noch rasch vor der Wahl bei Lockheed gegen den CSU-Chef Strauss belastendes Material locker zu machen, kaum von Erfolg gekrönt sein wird.

Nach allen vorliegenden Wahlprognosen ist mit einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen zu rechnen. Opposition wie Regierungsparteien könnten die Mehrheit schaffen. Wenngleich , manche , Prpgnoseij der Bonner Koalition einen kleinen Vorsprung atje^tieren^y^r^windgt^gclj, wieder jede Wahlausgangs-Prophe-tie im diffusen Licht, zumal bei jeder Umfrage mit einer Fehlerquote von zwei Prozent auf und ab zu rechnen ist. Ubereinstimmend sagen alle Umfragen nur aus, daß die Wähler vor dieser Bundestagswahl in weitaus geringerem Maße unentschlossen sind als bei der letzten Wahl.

Die Bundestagswahl vom November 1972 brachte der SPD das beste Wahlergebnis seit ihrer Gründung vor mehr als hundert Jahren. Mit 45,9 Prozent der Wählerstimmen wurde die SPD zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik zur stärksten Partei im Bundestag. Die Unionsparteien brachten es auf nur 44,8 Prozent.

Nach einem unbarmherzigen Wahlkampf, einer „Olympiade der Beschimpfungen“, ist es am 3. Oktober wieder soweit: Niemand anderer als der Wähler hat das Wort. Er wird mit seinem Kreuz die Weichen für Deutschland stellen und damit das Europa von Morgen mitgestalten.

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