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Deutschland flaggt schwarzrot

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Bis die große Koalition sich in Bonn eingespielt hat, wird noch einige Zeit vergehen. Weder bei der CDU/CSU noch bei der SPD gibt man sich in dieser Hinsicht Illusionen hin. Es ist keine Liebesheirat, sondern das Produkt der Umstände und nüchterner Kalkulation. Weder die CDU/CSU noch die SPD vermochten im Bund mit der FDP zu koalieren, denn die Basis wäre zu schmal gewesen. Abgesehen davon trauten die großen Parteien der FDP nicht mehr zu, daß sie standhaft bis zum Ende der Legislaturperiode dürchhaiten würde.

Trotzdem behalten sich CDU/CSU und SPD alle Seitenwege offen. In Nordrhein-Westfalen koaliert die SPD mit der FDP, in Baden-Württemberg die CDU mit der FDP. Die Masse der Bonner Koalition scheint freilich die kleine Opposition der Freien Demokraten im Bundestag schier zu erdrücken. Mit diesem Zustand muß sich auch der versierte Beobachter der Bonner Szene erst vertraut machen.

Es gibt keinen „Juniorpartner“ mehr

Die Folgen aus dem Zustandekommen der großen Koalition werden von vielen im Lande noch nicht in vollem Ausmaß erkannt. Zum erstenmal seit 1930 ist die SPD in Deutschland wieder in der Regierung. Daß sie dieses Menschenalter durchgestanden hat, ist wohl eine Ihrer bedeutendsten historischen Leistungen. In der Bundesrepublik kannte man, seit sie 1949 errichtet wurde, bisher nur eine Partei, welche die Regierung trug und sie repräsentierte: die CDU, die weithin mehr oder weniger durch die Gewohnheit mit dem Staat identifiziert wurde. Im großen und ganzen war ihr Wille Gesetz. Die FDP, so oft sie mit in der Regierung saß, hatte nur begrenzten Einfluß.

Wollte man. erfahren, wohin mittel- und langfristig der Kurs gehen sollte, mußte man bei der CDU anfragen. Sie hatte ihre Leute nicht nur im Kabinett, sondern auch in zahlreichen Schlüsselstellungen sitzen. Deren Zusammenarbeit funktionierte zwar nur teilweise und schon gar nicht planmäßig. Dennoch war es gut zu wis sen, daß an dieser oder jener Stelle ein Gesinnungsfreund saß. Naturnotwendig entstanden durch die Gunst der Wähler auch politische Erbhöfe, die nun zu einem großen Teil aufgegeben werden müssen. In zahlreiche hohe Stellen der Ministe- rialbürokratie rücken jetzt Vertreter der SPD ein. Wie sie sich durchsetzen werden, ob mehr durch Ausübung der Macht oder durch Anpas sung, das wird sich zeigen. Die SPD steht jetzt vor der großen Aufgabe, zu beweisen, daß sie auch im Bund erfolgreich zu regieren vermag.

Am bedeutendsten an der Machtverteilung im Kabinett Kiesinger ist die Besetzung der beiden für die Außen- und die Deutschlandpolitik verantwortlichen Positionen durch Sozialdemokraten. Willy Brandt als Außenminister bringt den großen Vorteil mit, daß er mit den hohen Sphären der Weltpolitik vertraut ist und daß er überall die entscheidenden Persönlichkeiten aus mancher Begegnung seit langem kennt. Er ist daher besonders prädestiniert, die künftige deutsche Außenpolitik den Verbündeten der Bundesrepublik nahezubringen und mit ihnen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit anzubahnen. Brandt braucht sich nicht erst vorzustellen. Er muß nicht erst den Partnern beweisen, wer er ist und was sein Wort gilt.

Das trifft nicht allein auf die Amerikaner und die Briten zu, sondern auch auf de Gaulle. Schon vor rund zwei Jahren hat sich Brandt im Elyisöe-Palast eine Tür aufgestoßen, als er vor aller Öffentlichkeit in den Stoßseufzer ausbrach, es sei schade, daß Deutschland nicht auch einen Staatsmann wie den General habe. In den Reihen der SPD ist denn auch in den letzten Jahren die Entwicklung des deutschfranzösischen Verhältnisses mit Sorge betrachtet worden. Für die SPD hat das Zusammenspiel mit Labour nicht mehr den Vorrang wie noch in den fünfziger Jahren. Kommt hinzu das freundschaftliche persönliche Verhältnis, das Kiesinger mit Couve de Murville verbindet, so ergibt sich ein weitgespannter Aspekt, der seit. Adenauers Abgang der Bonner Politik fremd war.

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