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Die Reserven der CDU

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Das entscheidende Problem, vor dem die künftige Regierung steht, sind die Finanzen und die Wirtschaftslage. Es liegt eine besondere Tragik darin, daß die Finanzlage der Bundesrepublik ausgerechnet während der Kanzlerschaft Erhards, der das Wirtschaftswunder geschaffen hatte, an galoppierender Schwindsucht zu leiden anfing. Nach dem Austritt der FDP aus der Bundesregierung hat es eine lebhafte Auseinandersetzung darüber gegeben, ob Bundesfinanzminister Dahlgrün (FDP) das Bundeskabinett über die tatsächlichen Verhältnisse rechtzeitig zutreffend und erschöpfend unterrichtet hat. Die Kontroverse kennzeichnet die verworrenen, der führenden und durchgreifenden Hand entbehrenden Verhältnisse innerhalb der Bundesregierung. Aber wie immer es gewesen sein mag: inzwischen hat sich die CDU/CSU mit den erschreckenden Fakten vertraut gemacht und diese auch der SPD offenbart. Dies hat Herbert Wehner zu der Bemerkung veranlaßt, am Beginn der neuen Regierung müsse eine gewissenhafte Bestandsaufnahme stehen. Wahrscheinlich muß dabei von einem Haushaltsdefizit von acht bis zehn Milliarden D-Mark ausgegangen werden, das selbst bei rigorosen Streichungen ohne Steuererhöhungen schwerlich zu decken ist.

Bevor sich CDU/CSU und SPD in eine gemeinsame Regierung begeben, müssen sie sich auch noch über das Mitbestimmungsrecht einigen, das die SPD auf weitere Wirtschaftszweige ausgedehnt wissen will. Was die Deutschland-, die Außen- und die Verteidigungspolitik angeht, so stehen beide Parteien unter einem unentrinnbaren Zwang. Die Bewegungsfreiheit der deutschen Politik ist so gering, daß sich viele Vorstellungen, sobald sie mit den Gegebenheiten konfrontiert werden, als illusionär erweisen: Zum Beispiel eine Öffnung nach Osten steht, wie man sie auch anzugehen versucht, schnell hoffnungslos vor dem Pro blem der Wiedervereinigung, zu dem Staatspräsident Podgorny soeben in Wien deutliche Worte gesagt hat. Ebenso steht der Gedanke an ein näheres Heranrücken an Frankreich, ohne daß Bonn es mit den USA verdirbt, sofort vor der Frage, ob de Gaulle für Bonn überhaupt zu sprechen sein wird, wenn es nicht entschlossen und vorbehaltlos auf seinen Kurs geht, vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten.

Ohne Tabus

Eine neue Regierung in Bonn muß daher ein Programm aufstellen, das mit manchem Tabu aufräumt und versucht, die innen- wie die außenpolitischen Verhältnisse unter ganz neuen Gesichtspunkten anzuvisieren. Diese Überlegung ist in allen drei Parteien anzutreffen und hat daher in den Koalitionsverhandlungen zu mancher überraschend erscheinenden Übereinstimmung geführt. In der Öffentlichkeit wächst dazu die Meinung, daß für die Lösung der bevorstehenden Aufgaben eine möglichst stabile Regierung vonnöten wäre. Deshalb hatte schon vor den Bayernwahlen der Gedanke an die Große Koalition auch bei denen an Schrecken verloren, die seit Jahr und Tag die Koalition der Unionsparteien mit der FDP für der Weisheit letzten Schluß gehalten hatten. In der CDU/CSU hatte schon seit Wochen eine zunehmende Verärgerung über die FDP um sich gegriffen, bis hin zu dem Gedanken, die SPD möge es einmal mit der FDP probieren, sie werde bald davon „geheilt“ sein. Aber bei allen diesen Überlegungen dürfte mancher in der CDU/CSU außer acht gelassen haben, daß die SPD nach dem Zerfall der kleinen Koalition an den langen Hebel zu sitzen kam und davon ausgiebigsten Gebrauch machen könnte. Ihre Bedingungen sind hart, sowohl in den Verhandlungen mit der CDU/ CSU wie mit der FDP.

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