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Deutscher Schlüssel

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Die 7. Wahl zum Deutschen Bundestag: das ist eine Entscheidung, die in jedem Fall für Europa — und zwar auch für das östliche — Konsequenzen und teilweise paradigmatischen Charakter hat. Lange schienen die globalen Aspekte des bevorstehenden Wahlentscheids in den innenpolitischen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik durch das kleinliche Hick-hack eines harten Wahlkampfes zurückgedrängt zu sein. Die Paraphierung des Grundvertrags mit der DDR und die nunmehr 6,4pro-zentigen Preissteigerungen auf dem Hintergrund fruchtloser Bemühungen um eine Inflationstoekämpfung in den EWG-Konferenzen machen schlagartig deutlich, daß die Bundesrepublik selbst in der Wahlauseinandersetzung nicht in einen billigen Isolationismus zurückfallen kann. Der Sieg Nixons und sein Wort von der „neuen Phase des Friedens, dem die Welt entgegengeht“, erinnerte dabei ebenso an den weltpolitischen Hintergrund, vor dem die Wahl stattfindet, wie in weniger spektakulärer Weise die Aussendung der Einladungen zur Vorbereitung der Europäischen Sicherheitskonferenz durch Helsinki.

Die Wahl wird nicht zwischen „Frieden“ und „Kaltem Krieg“ beziehungsweise „Vereinnahmung durch den Sozialismus“ und „Wahrung der freiheitlichen Ordnung“ entscheiden, wie es manche Propagandisten darstellen. Aber ein Machtwechsel in Bonn würde vor allem in Fragen der Deutschland- und Ostpolitik eine Änderung bedeuten. Der Grundvertrag mit der DDR-zeigt, daß zwischen den jetzigen Regierungs- und Oppositionsparteien auf diesem Gebiet ein grundsätzlicher Dissens besteht. Die SPD-FDP-Koalition hatte ihr Ziel einer raschen Klärung des Verhältnisses zu den Staaten des Ostblocks sowie vor allem auch zum zweiten deutschen Staat konsequent verfolgt. Dabei handelte sie in Übereinstimmung mit der auf Abbau der Konfliktherde ausgerichteten Politik der Großmächte, in der einer Beseitigung des „Spannungsgebiets Deutschland“ besondere Bedeutung zukam. Duldete die CDU/CSU noch den Abschluß der Ostverträge durch Stimmenthaltung im Parlament, so ist nun beim Vertrag mit der DDR jener Punkt erreicht, an dem auch ein unausgesprochener Konsens nicht vorhanden ist. Eine Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Ohristdemokraten würde bedeuten, daß der Schlußstein an dem Werk der Ostpolitik von Brandt/Scheel nicht so schnell gesetzt werden würde. Bei den Forderungen, die von den Unionsparteien an einen solchen Vertrag gestellt werden — größere menschliche Erleichterungen, Aufhebung des Schießbefehls, klares Festhalten an der Einheit der deutschen Nation — wären solche Verhandlungen um einen Grundvertrag nicht nur langwierig, sondern wahrscheinlich auch reich an Konflikten.

Sicherlich könnte eine christdemokratische Regierung nicht so weit gehen, die Deutschlandfrage wieder zum klassischen Konfliktfall in Europa zu machen. Die Absichtserklärung der USA, keine diplomatische Vertretung in Ost-Berlin zu unterhalten, deutet allerdings darauf hin. daß eine CDU/CSU-Regierung bei neuerlichen Grundvertragsverhandlungen vom Bündnispartner USA nicht im Stich gelassen würde.

Der veränderte außenpolitische Kurs einer Regierung der CDU/CSU würde auch in der Frage der europä-

ischen Sicherheitskonferenz deutlich werden, obwohl in dieser Frage auch bei SPD/FDP die Begeisterung nicht überschäumend ist. In Unionskreisen wird aus der Abneigung gegenüber einer solchen Konferenz kein Hehl gemacht, da diese vor allem als Bühne für einen großen internationalen Auftritt der DDR gesehen wird. Als Ergebnis der Konferenz wird ein Abbau des amerikanischen Militärengagements in Europa erwartet. Dies würde nicht nur strategisch eine schwierige Stiuation schaffen, sondern auch die europäischen NATO-Staaten zu verstärkten Rüstungsanstrengungen nötigen. Angesichts ohnedies steigender Militärausgaben und der Bestrebungen um eine Reduzierung der Wehrzeit, wäre dies für die Bundesrepublik und ihre Verbündeten alles andere als wünschenswert. Da sich auch die übrigen europäischen Staaten — teilweise selbst im Ostblock — nicht gerade um die Abhaltung der Konferenz drängen, könnte eine CDU/CSU-Regierung diesen die Konferenz ablehnenden Kräften neuen Auftrieb geben.

Entschieden wird in der Bundestagswahl am 19. November nicht nur über die weitere internationale Rolle der Bundesrepublik, sondern auch darüber, ob sich der in den letzten Jahren zu beobachtende allgemeineuropäische „Trend nach links“, der 1969 mit dem Machtwechsel in Bonn einen sichtbaren Ausdruck fand, fortsetzt, oder ob bereits ein Rückschwung zugunsten der konservativen Parteien festzustellen ist. Für die Bundesrepublik bedeutet das, ob sich die Sozialdemokraten, die sich mehr als 20 Jahre lang bemühten, Regierungspartei zu werden, in dieser Rolle in den Augen der Bevölkerung bewährt haben. Es ist eine Entscheidung, die auch für andere Staaten und gerade für Österreich interessant sein wird, weil der Bundesrepublik bisher jedenfalls immer eine gewisse „Vorreiterrolle“ zukam. Vor diT rekten Parallelen muß jedoch gewarnt werden, da die in der Bundesrepublik zur Entscheidung anstehenden politischen Probleme, etwa gerade in der Außenpolitik, ganz anderer Natur sind als in den Nachbarländern. Auf der anderen Seite muß jedoch gesehen werden, daß in der Bundesrepublik ein hoher Grad der Ideologisierung erreicht ist und daß die Wahlentscheidung mehr als sonst zwischen „links“ und „rechts“, und weniger nach pragmatischen Gesichtspunkten erfolgt.

So sehr sich die Parteien in ihrer außenpolitischen und ideologischen Konzeption unterscheiden, sowenig tun sie es trotz gegenteiliger Behauptungen vorerst in der Wirtschaftspolitik. Noch sind beide Gruppen die Antwort schuldig geblieben, wie die bald die Sieben-Prozent-Grenze erreichende Geldentwertung bekämpft werden soll. Gerade in dieser Frage aber brauchte das westliche Europa entscheidende Maßnahmen der stärksten Wirtschaftsmacht des Kontinents. Die Sozialdemokraten müßten im Falle ihrer Wiederwahl den Beweis dafür antreten, daß sie bei allem Wunsch nach Reform den Blick für eine nüchterne'Wirtschaftspolitik unter Wahrung des marktwirtschaftlichen Gedankens bewahrt haben. Die Christdemokraten häHen zu zeigen, daß sie Stabilitätspolitik betreiben können, die weder die Wirtschaft erschüttert, noch den sozialen Ausgleich verhindert. Beiden Regierungen käme jedenfalls eine Schlüsselrolle für Europa zu.

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