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Bonns viele heiße Eisen

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Die deutsche Bundesregierung sieht mehrere Probleme auf sich zukommen, von denen das eine ein heißeres Eisen als das andere darstellt. Die Gewaltanstrengung, den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen, darf nicht darüber hinwegtäusehen, daß dies zumindest bis zum Herbst ein Ritt über den Bodensee bleibt. Bis dahin sollen Konjunkturspritzen aus dem EventuaJhaushalt die Konjunkturflaute beseitigen. Als Folge davon sollen wiederum erhöhte Steuersummen in die öffentlichen Kassen fließen, namentlich aus den Vorauszahlungen zur Umsatzsteuer. Falls diese Impulse nicht ausreichen, kann es indessen dahin kommen, daß gegen Jahresende eine neue Lücke im Bundeshaushalt entsteht, weil die Steuer-vorausschätzungen nicht eingehalten werden.

Die unübersehbare Weiterentwicklung der Wirtschaft und der Finanzen zwingt insbesondere die Bundeswehr zu neuen Überlegungen. Nach ihren Berechnungen benötigt sie für die nächsten fünf Jahre jeweils 20 Milliarden DM, die in dieser Höhe zurzeit in Frage gestellt sind. Mit dieser Jahressumme wäre die Bundeswehr in der Lage, den derzeitigen Bestand von 460.000 Mann mit modernster Ausrüstung aufrechtzuerhalten. Jedoch dürfte das ursprüngliche Ziel, den Bestand auf 508.000 Mann zu erhöhen, mit Rücksicht auf die Finanzen bereits aufgegeben sein.

Truppenabzug

Nun muß aber mit dem massiven Abzug amerikanischer und britischer Truppen in den nächsten Jahren gerechnet werden, gleichgültig, wieviel an Devisenausgleich die Bundesrepublik für die Stationierung dieser Truppen aufzubringen imstande ist. Nur 460.000 Mann deutsche Truppen plus einem symbolischen Rest alliierter Streitkräfte sind jedoch zu schwach, um einem konventionellen

Angriff aus dem Osten auf die Dauer erfolgreich widerstehen zu können, zumal da die Streitkräfte des Warschauer Paktes ständig vermehrt und modernisiert werden. Infolgedessen muß die Bundeswehr prüfen — und sie ist wohl zurzeit dabei —, ob sie nicht zu einer neuen Strategie übergehen muß, um die Verteidigung der Bundesrepublik auf ein Höchstmaß, von Effektivität zu steigern.

In diesem Zusammenhang haben die Dreiergespräche zwischen Bonn, Washington und London, die am 21. Februar wieder aufgenommen werden sollen, besondere Bedeutung. Zunächst ging es dabei vornehmlich um die deutschen Devisenleistungen. Inzwischen sind aber auf deutsches Drängen auch die strategischen Fragen einbezogen worden. Die Bundesregierung versucht, den Grundsatz durchzusetzen, daß die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet bleiben muß, unbekümmert darum, was die Bundesrepublik an Devisen für die alliierten Truppen aufzubringen veranag. Die Amerikaner sind denn auch bereit, für die deutschen Devisenzahlungen eine Pause zu gewähren — die Bonn gern auf zwei Jahre ausgedehnt haben möchte —, aber die Briten sind es nicht.

Noch schwerer wiegt für die Bundesregierung die Entscheidung, ob säe dem Nonproliferationsvertrag beitreten soll. Was dabei für die Bundesrepublik auf dem Spiel steht, ist der Öffentlichkeit und manchen Politikern noch nicht ganz ins Bewußtsein gedrungen. In Presse und Rundfunk wird das Thema jedoch mehr und mehr erörtert, freilich mit dem Nachteil, daß noch nicht einmal die Bundesregierung alle Artikel dieses Vertragsentwurfes kennt. Sie ist offiziell über die Artikel 1 und 2 unterrichtet, die sich auf die Nächtverbreitung und Nichtannahme von Atomwaffen beziehen, nicht aber über Artikel 3, der die Kontrolle behandelt.

Die unheimlichen Deutschen

Auf eine kurze Formel gebracht, lautet das Problem: Unterschreibt die Bundesregierung, dann wird die Bundesrepublik eine Macht minderen Ranges, die sich an eine Superatommacht anlehnen muß, die sodann bei jedem politischen Schritt der Bundesregierung erklären kann, daß sie ihn mit ihren Atomwaffen nicht deckt. Unterzeichnet die Bundesrepublik aber nicht, dann liefert sie reißende Ströme auf die Propagandamühlen der Sowjets, die behaupten, die unheimlichen Deutschen seien die unverbesserlichen Störer aller Bemühungen um Abrüstung und Frieden. Ein deutsches Nein würde mit großer Wahrscheinlichkeit in aller Welt ein übles Echo hervorrufen und sicher auch das deutsch-amerikanische Verhältnis schwer belasten.

Deshalb will sich die Bundesregierung bemühen — etwa beim Besuch des Außenministers Brandt in Washington —, von den Amerikanern so viel an positiver Interpretation des Vertrages zu erhalten, daß die Sicherheit Deutschlands, komme was wolle, gewährleistet erscheint. Darüber hinaus legt Bonn größten Wert darauf, nachdem es schon auf die Herstellung von ABC-Waffen verzichtet hat, wenigstens an den technologischen Erkenntnissen und Erfahrungen beteiligt zu werden, die sich aus der Fortentwicklung der Kernenergie zu militärischen Zwek-ken ergeben. Auch ist Bonn mit den potentiellen Nuklearmächten von morgen — Schweden, Indien usw. — und den übrigen beteiligten Staaten einig darin, daß der Nonprolifera-tionsvertrag Stückwerk bleibt, wenn nicht ein Abbau der nuklearen Bestände der Atomsupermächte stattfindet.

Not mit dem Notstand

Die Fülle der Probleme, die für Bonn mit dem Vertrag verbunden sind, kann nur in diesen großen Strichen umrissen werden. Das Ja oder Nein zu dem Vertrag kann zu ernsten Auseinandersetzungen in der CDU/CSU führen, wo sich die

Zahl der Befürworter und der Verneiner zurzeit ungefähr die Wage zu halten scheint. Hingegen dürfte die Mehrheit der SPD schon heute der Unterzeichnung zuneigen.

Innerpolitisch kann schließlich die geplante Notstondsgesetzgebung zu einer Zerreißprobe zwischen der SPD und den Gewerkschaften führen. Auf seinem letzten Gewerkschaftstag im vorigen Sommer in Berlin hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund trotz wachsender Widerstände erneut mit Mehrheit für eine

Ablehnung der Notstandsverfassung ausgesprochen, während die SPD dafür eintritt, vor allem, nachdem die vorjährige Faäiex-Übung wesentliche sozialdemokratische Vorbehalte behoben hat.

Die Gegnerschaft der Mehrheit der Gewerkschaften, angeführt von der IG Metall und der IG Chemie an der Spitze, ist indessen ungebrochen. Sie wird stimmungsmäßig verschärft dadurch, daß ein Teil der Gewerkschafter draußen im Lande sich von der SPD geradezu verraten fühlt, weil sich die SPD mit der jahrelang aufs erbittertste bekämpften CDU/CSU in eine Koalition begeben hat. Während die Gewerkschaften in der Lohnfrage eine gewisse Bereitschaft gezeigt haben, die Stabilisierungsanetrengungen der Großen Koalition auf wirtschaftlichem Gebiet nicht durch zu hohe Lohnforderungen zu gefährden, scheinen sie in der Frage der Notstandsgesetzgebung mehrheitlich zunächst unzugänglich zu bleiben.

Allerdings hat einer der radikalen Verneiner der Notstandsverfassung, der Vorsitzende der IG Metall, Otto Brenner, schon vor längerem erklärt, wenn die Notstandsverfassung ordnungsgemäß mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag zustandekäme, würden die Gewerkschaften diese Entscheidung respektieren. Dennoch wäre wahrscheinlich auch in diesem Fall ein ernstes Zerwürfnis zwischen SPÖ und Gewerkschaften die unvermeidliche Folge.

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