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Bonn und die NATO-Strategie

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Wer in diesen Tagen die deutschen Zeitungen liest, erhält zwar eine Fülle von Nachrichten über die Vorgänge in der NATO vorgesetzt, aber Klarheit über die Probleme in keiner Weise. Im Gegenteil, die Verwirrung ist erheblich. Die Schuld daran liegt 'allerdings nicht in erster Linie bei der deutschen Bundesregierung, auch nicht bei der deutschen Presse. Sie ist vielmehr zu einem wesentlichen Teil in den Zwistigkeiten zu suchen, die zur Zeit die amerikanische Regierung heimsuchen. Von dort nehmen nachweisbar zahlreiche und wichtige Informationen ihren Ausgang, die aiber nicht zur Aufklärung von Tatbeständen und Absichten bestimmt sind und schon gar nicht die letztgültige Aussage der amtlichen Politik darstellen, sondern einen Teil der internen Auseinandersetzungen in Washington bilden. So ist es kein Geheimnis, daß zwischen Verteidigungsminister McNamara und Außenminister Rusk allein schon über die Methode des Vor- geheiis gegenüber den NATO-Verbündeten erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Was die Bundesrepublik Deutschland anlangt, so sind Außenminister Schröder und Verteidigungsminister von Hassel von der letzten NATO- Tagung in Paris nicht unzufrieden zurückgekehrt. Die Tagung hat nach deutscher Auffassung Übereinstimmung in zwei wichtigen Punkten ergeben: der Grundsatz der glaubhaften Abschreckung wird aufrechterhalten, und es bleibt bei der Vorwärtsstrategie, auf die deutscherseits seit langem entscheidender Wert gelegt wird. Insoweit gibt es also zwischen den Deutschen, den Amerikanern und den Briten, die ja nun in erster Linie für die künftige NATO-Strategie verantwortlich sind, zumindest in deutschen Augen keinen greifbaren Unterschied.

Realismus gewinnt Raum

Es scheint auch, daß die amtliche Banner Politik sich mit anderen amerikanischen Überlegungen ab- findeit, die nicht ganz in ihr ursprüngliches Konzept passen. Es handelt sich dabei um die Frage, ob und wieviele amerikanische oder britische Truppen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Auf diesen knappen und etwas brütalen Nenner gebracht, erscheint das Problem jedenfalls immer wieder in der Tagespresse. Für den Außenstehenden sind hiermit nicht ohne weiteres die Erklärungen in Einklang zu bringen, wonach die Kampfstärke der NATO in Europa nicht geschwächt werden soll. Bei näherem

Zusehen ergibt sich indessen, daß dies keinen Widerspruch bedeutet. Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs ergibt sich aus dem, was die Amerikaner „division slice“ nennen.

Nach dieser Theorie werden die Einheiten in Kampf-, Unter- stützungs- und Versorgungstruppen unterteilt. Die Amerikaner haben nun die Vorstellung entwickelt, daß die Uhtenstützungs- und Versorgungstruppen sich nicht notwendigerweise auf europäischem Boden befinden müssen, sondern gut und gern in den Vereinigten Staaten zum Einsatz bereitgehalten werden können. Dies würde die Devisenlast für die Stationierung der amerikanischen Truppen in Deutschland, um die zwischen Bonn und Washington leibhaft gerungen wird, um ein erhebliches herunterdrücken. Um einen Ausgleich zu schaffen, drän-

gen die Amerikaner ihre europäischen Verbündeten immer wieder, daß'diese ihre eigenen Unterstützungstruppen verstärken sollen. Die Bundesrepublik ist denn auch zu einer Verstärkung ihrer Streitkräfte bereit, und zwar bis 1970 von

450.0 auf 508.000 Mann, allerdings mit dem betonten Hinweis darauf, daß die Bundeswehr über diese Zahl hinaus auf keinen Fall vergrößert werden könne.

Hoffnung auf „Big lift“

Die Frage ist nun, wie es um die Kampfkraft der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland bestellt ist, wenn ihre Unterstützungs- und Versorgungstruppen nach den Staaten zurückkehren. Es scheint, daß die deutsche Seite der amerikanischen These im großen und ganzen zustimmt, die Kampfkraft werde dadurch nicht beeinträchtigt. Dies ist jedoch nicht im Blick auf heute und morgen gesagt, sondern im Blick auf die technische Entwicklung, wie sie sich etwa im Jahre 1970 darbieten wird. In diesem Jahre hoffen die Amerikaner in der Lage zu sein, mit neuen, übergroßen Flugzeugen die doppelte Zahl an Truppen in der Hälfte der bisher benötigten Zeit nach Europa transportieren zu können. Auf diese Möglichkeiten haben die Amerikaner schon vor längerem einmal angespielt, als sie die Operation „Big lift“ in Szene setzten. Binnen weniger Tage transportierten sie damals eine Division mit allem, was dazu gehört, von den USA nach Europa, freilich, ohne daß die deutschen Beobachter der Aktion, darunter der Verteidigungsminister, von dem Ergebnis .voll befriedigt gewesen wären.

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