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Vor der Entscheidung

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Wenn es auch sicherlich die Aufgabe der Presse ist, in ihren Darstellungen der internationalen Situation sich an die Tatsachen zu halten, so bleibt ihr doch dabei noch immer ein weiter Spielraum in der Beurteilung der Fakten, die für die Aufrechterhaltung des Friedens oder die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Krieges angeführt werden können. Die „Furche“ hat immer den Standpunkt vertreten, daß es bei aller Pflicht zu wahrheitsgetreuen Informationen nicht Sache der Presse sein kann, der öffentlichen Meinung, auf die sie doch einen großen Einfluß hat, dauernd ein schwarz gefärbtes Bild dieser Aussichten zu geben, die heute die ganze abendländische Welt auf das heftigste bewegen und selbst die privaten Dispositionen des einzelnen bestimmen. Daß es nicht nur im Pflichtenkreise, sondern — bis zu einem gewissen Grade — auch im Machtbereich der Presse liegt, unabhängig von den Vorkehrungen der großen Regierungen zugunsten des Friedens zu ' wirken, -bleibt nun einmal unsere Überzeugung, und wir werden uns daher auch weiterhin an diesen hohen Dienst gebunden halten. Das heißt aber nicht, wir wollten den Kopf in den Sand stecken und nicht sehen, was mittlerweile in der . Welt vorgeht. Eine ungeschminkte Darstellung der Situation, in die wir schrittweise hineingedrängt werden, vermag vielleicht zu Besinnung und Reaktion beizutragen. Deshalb soll hier auf eine Reihe jüngster Tatsachen hingewiesen werden, die in ihrer Aufeinanderfolge und gegenseitigen Ergänzung bedeutsam sind. Wir dürfen dies tun, weil wir zu weit entfernt von dem Verdachte sind, irgend etwas unternehmen oder sagen zu wollen, das der Sache des Kommunismus dienlich sein könnte. Auch haben wir oft genug und mit allem Eifer gegen die Ubergriffe und Gewalttätigkeiten eines politischen Systems Stellung genommen, das wir aus christlicher Oberzeugung und in Verteidigung der menschlichen Würde ablehnen, als daß wir den Vorwurf einseitiger Betrachtung zu fürchten hätten. Kurz, wir glauben heute verpflichtet zu sein, eine Warnerstimme zu . erheben.

Nachdem In den letzten Wochen die amerikanischen Waffenlieferungen an die europäischen Mitgliedsstaaten des Atlantikpaktes in vollen Gang gekommen sind, werden in den nächsten zwei Monaten in der amerikanischen Zone Deutschlands Instruktionskurse über den Gebrauch und die Erhaltung der gelieferten Waffen durchgeführt werden. An diesen Kursen werden laut einer Mitteilung des in Heidelberg residierenden Generals Handy 1600 Offiziere und Mannschaftspersonen der Streitkräfte Belgiens, Dänemarks, Luxemburgs, Frankreichs, Italiens, der Niederlande und Norwegens auf Grund zweiseitiger 'Militärabkommen mit den Vereinigten , Staaten teilnehmen. Ursprünglich war beabsichtigt gewesen, zu diesem Zwecke größere amerikanische Militärmissionen in die einzelnen Staaten des Atlantikpaktes zu entsenden. Da dieser Plan aber auf gewisse nationale Empfindlichkeiten gestoßen war, wird die Schulung im Vernichtungskrieg mit den modernsten Waffen auf deutschem Gebiete stattfinden, und zwar in verschiedenen Lagern, von denen eines, wie ausdrücklich bemerkt wurde, hart an der russischen Zone Deutschlands liegen wird. Wenn es in offiziellen Auslassungen der Westmächte, wiederholt hieß, die westdeutsche Republik könne als vollwertiges Mitglied erst dann in den Europarat aufgenommen werden, wenn ihre Umwandlung zu einem demokratischen und friedlichen Staatswesen erwiesen wäre, muß der nun bevorstehende kriegerisch. Anschauungsunterricht doch wohl bis ine seltsame Erziehungsmethode bezeichnet werden.

Die militärische Hilfe, die Großbritannien von den Vereinigten Staaten erhält, beschränkt sich bisher auf die Luftwaffe. In diesem Falle wird nicht von einer Schulung der Royal Air Force durch amerikanische Flieger gesprochen, sondern von einer Vereinheitlichung der amerikanischen und britischen Kriegs-aviatik. Doch ist für das Training mit den neuesten Errungenschaften dieses entscheidenden Kampfmittels auch deutsches Gebiet, möglicherweise die britische Besatzungszone, in Aussicht genommen. Endgültige Bestimmungen darüber dürften erst auf der Londoner Konferenz der Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten getroffen und dann dem Rate des Nordatlantikpaktes vorgelegt werden, der am 15. Mai in der englischen Hauptstadt im Beisein der Vertreter aller zwölf Paktstaaten zu tagen beginnt.

Kurz bevor Acheson mit einem großen Stabe von Mitarbeitern nach Europa abgereist ist, hat das amerikanische Repräsentantenhaus nach einer Beratung von wenigen Stunden auf den dringenden Antrag des Staatssekretärs für die Landesverteidigung Johnson einen Ergänzungskredit von 350 Millionen Dollar zu dem bereits bewilligten Militärbudget von über 14 Milliarden beschlossen. Im abgelaufenen Jahre wurden von den Atlantikpaktstaaten insgesamt bereits 20 Milliarden 147 Millionen Dollar für militärische Zwecke ausgegeben. Staatssekretär Johnson kündigte bei der Anforderung des erwähnten Nachtragskredits weitere Erhöhungen für die nächste Zeit an, da sich die internationale Situation fortschreitend verschlechtere. Als Beweise dieser Begründung führte er an: die Explosion einer Atombombe in der Sowjetunion, die Einrichtung der kommunistischen Regierung in China, die außerordentlich ernste Lage in Südostasien, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Bulgarien, die Spannungen im Verhältnis zu andern Satellitenstaaten, die Übernahme der Kontrolle der polnischen Streitkräfte durch Rußland, die Ausdehnung der Sowjetunion zur See, den verstärkten russischen Druck auf Deutschland, den sowjetischen Angriff auf ein amerikanisches Flugzeug über dem Baltikum und die jüngste russische Note über Triest. Unter diesen bedrohlichen Umständen, erklärte Johnson, würden auch die andern Atlantikpaktstaaten gezwungen sein, ihre Verteidigungsmaßnahmen in einem entsprechenden Verhältnis jenen der Vereinigten Staaten anzupassen. Das heißt wohl, daß der amerikanische Generalstab eine militärische Gleichordnung aller Atlantikpaktstaaten als erstrebenswert hält. Das ist wohl auch der Sinn eines Vorschlags, der dahin geht, die amerikanische Waffenhilfe mit der Marshall-Hilfe zusammenzulegen und auf diese Weise den Atlantikpakt zu einer auch neutrale und außereuropäische Länder umfassenden Verteidigungsorganisation gegen den Kommunismus zu erweitern.

Sosehr man selbstverständlich die ungemessenen Anstrengungen der Vereinigten Staaten zur Verteidigung des christlichen Abendlandes anerkennen muß, so rücken die zu diesem Zwecke ins Werk gesetzten militärischen Vorbereitungen heute unsern Wohn- und Arbeitsstätten ' so bedenklich nahe, daß' der Europäer die letzten Konsequenzen einer Entwicklung erfaßt, die am kritischesten Punkte fehlliefe. Allzu häufige Äußerungen hoher amerikanischer und englischer Militärs über das Problem, ob die Elbe oder der Rhein verteidigt werden soll und kann, sind in letzter Zeit bekanntgeworden, als daß man sich nicht in Europa darauf vorbereiten müßte, in den ersten Wochen eines neuen Krieges von den Streitkräften aus dem Osten überflutet zu werden. Einzelne Versidierungen des Sinnes, dank der neuesten militärischen Maßnahmen würden die russischen Streitkräfte voraussichtlich aufgehalten werden können, ehe sie den Kanal erreicht hätten, bestätigen nur die Aussicht, daß Europa neuerdings zum Schauplatz des grausamsten Krieges erkoren ist. Der Wunsch der amerikanischen Regierung, heraufziehende Schrecken nach Möglichkeit von ihrem eigenen Territorium fernzuhalten, ist begreiflich und entspricht ihrer Pflicht. Aber zu gleicher Zeit muß gesagt werden, daß wenig in Europa von der Verteidigung der uns verheißenen Freiheit und der Güter abendländischer Geistigkeit erwartet werden kann, wenn nichts Entscheidendes geschieht, den Lauf der Dinge zu ändern, an dessen Ende auf ein halbes Jahrhundert die Verwüstung Europas, wenn nicht Schlimmeres steht. Da aggressive Absichten des Ostens in dieser oder jener Form zutage liegen, wird zugunsten der Atlantikpakltaktik das alte Wort der kriegsgewohnten Römer angeführt, die beste Verteidigung des Friedens sei die Vorbereitung des Krieges. Allein dieses Prinzip trifft nur auf eine einzige Weltmacht zu, der wesentlich unterlegene Randvölker gegenüberstehen, nicht aber auf einen Herr-schaftskonflikt zwischen zwei gleich starken Militärmächten. Die von den Vereinigten Staaten seit drei Jahren der kommunistischen Expansion gegenüber verfolgte Politik des „Containment“, der Eindämmung, hat, das muß trotz dem Fehlschlag in Ostasien festgestellt werden, bisher manche Erfolge gezeitigt. Aber ihre Fortsetzung wird eine friedliche Wirkung nur so lange ausüben, als die oberste Politik des

„c o n t a f n m e n t“ in den Hinden der Staatsmänner verbleibt und nicht gänzlich in die der Generalstäbe abgleitet. Der kluge französische Ministerpräsident versucht jetjt dies dadurch zu erreichen, daß er die Einsetzung eines „hohen AÜantik-ralcs für den Frieden“ vorschlägt.

Wenn man es recht bedenkt, laufen dieser Bidaultsche Gedanke, der früher erwähnte Plan einer Zusammenlegung der Waffenhilfe mit der Marshall-Hilfe und alle ähnlichen Projekte einer weltweiten Ausgestaltung des Atlantikpaktsystems darauf hinaus, eine Art Völkerbund mit Ausschluß des koniiniormtreuen Ostblocks zu schaffen. Dies würde das Ende der Vereinten Nationen, die Spaltung der Welt in zwei feindliche Einflußsphären und die fortschreitende Verschärfung des Kalten Krieges bedeuten. Während die Vertreter der drei westlichen Großmächte im Begriffe sind, zugunsten dieser Entwicklung entscheidende, vielleicht nicht wieder gutzumachende Beschlüsse zu fassen, unternimmt es in gehorsamer Wahrung seiner Pflicht der Generalsekretär der Vereinten Nationen, einem so fatalen Gang der Dinge mit einem Besuche in Moskau Einhalt zu gebieten. Bei einem Empfange der Presse in Paris erklärte T r y g v e L i e zu seinem Entschluß, sich am 10. Mai nach der russischen Hauptstadt zu begeben:

.Wir befinden uns an einem Scheideweg. Als die Organisation der Vereinten Nationen in San Franzisko gegründet wurde, bestand die Absicht, die ganze Welt zusammenzufassen. Gegenwärtig spricht man aber von einer endgültigen Spaltung der Welt in zwei Lager. Dieser Weg kann nur die bestehenden Gegensätze verstärken, den Rüstungswettlauf beschleunigen und die? Kriegswirtschaft zu einem Normalzustand machen, so daß die Armen und Hungrigen zu Armut und Hunger verurteilt bleiben. Er kann nur zu einer Kriegspropaganda führen, die mit ihrer Hysterie neue Abgründe des intellektuellen und moralischen Niedergangs eröffnet und die Chancen für ein Abkommen über die Kontrolle der Atomenergie zunichte macht. Dieser Weg kann früher oder später nur zu einem Ergebnis führen: zu einem dritten Weltkrieg.“

Mit diesen Worten ist die Entscheidung, vor der die Welt heute steht, klar umrissen: Vereinte Nationen oder atlantischer Völkerbund, Abbau oder Verschärfung des Kalten Krieges, Verhandlungen über eine Beschränkung der Rüstungen oder die Bestätigung der letzten Schlußfolgerungen des Generalsekretärs des Bundes der Vereinten Nationen.

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