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Die Staatskunst hat das Wort

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Als Präsident Truman vor sieben Monaten den Friedensbruch der nordkoreanischen Kommunisten mit dem sofortigen Einsatz amerikanischer Streitkräfte quittierte, setzte er einen Entschluß in die Tat um, den die überwältigende Mehrheit seiner Landsleute, und mit ihr fast die gesamte zivilisierte Welt, mit Genugtuung aufnahm. Empfand man doch allgemein, daß ein Grundprinzip und damit die Existenz selbst der Vereinten Nationen auf dem Spiele stand und daß es nun galt, den Beweis dafür zu geben, daß dieser neue Bund der Völker, anders als die Genfer Liga der Zwischenkriegszeit, nicht gewillt war, das Opfer eines bewaffneten Angriffs auf den Frieden hilflos seinem Schicksal zu überlassen. Auf diesem spontanen Gefühl ungezählter Millionen nicht weniger als auf dem formellen Votum der Versammlung von Lake Success beruhte das Unternehmen, das, nach den anfänglichen Rückschlägen auf dem Schauplatz der Intervention, Zehntausende amerikanischer Soldaten und Tausende anderer Nationalität nach Korea führte und kurz vor Weihnachten den Erfolg zu zeitigen schien, der von Anfang an das einzige Ziel der Vereinten Nationen gewesen war: die Niederwerfung und Auflösung der kommunistischen Streitmacht und die Wiederherstellung der Einheit des Landes unter einer freigewählten Regierung und dem Schutz der UN, auf der Grundlage voller Eigenstaatlichkeit.

Seither ist ein Umschwung eingetreten, der dieses Ziel in eine praktisch kaum mehr wahrnehmbare Ferne rückt. Durch den massiven Vorstoß rotchinesischer Divisionen und, vielleicht mehr noch, durch eine Verkettung strategischer und taktischer Fehler, deren volle Tragweite erst später zu beurteilen sein wird, ist die Armee der Vereinten Nationen außerstand gesetzt worden, die ihr zugedachte Aufgabe noch zu erfüllen; es müßten ihr zu diesem Zwecke Verstärkungen in einem Umfang zugeteilt werden, der außerhalb jeder denkbaren Möglichkeit liegt. Wieder rückt die „Einigung“ Koreas nahe, diesmal aber nicht in Freiheit und rechtlicher Ordnung, sondern unter der schweren Hand und für die eigenen Zwecke der rotchinesischen Diktatur. Solange noch die Aussicht bestand, daß starke Einheiten der UN-Armee, gestützt auf die Flotte, eine Verteidigungsstellung um Inchon beziehen und dauernd halten würden, durfte man hoffen, von einer solchen Redoute aus das chinesische Konzept erheblich zu stören; aber davon kann jetzt, nach Aufgabe auch dieser günstigen Position, keine Rede mehr sein. Selbst wenn es den Chinesen nicht gelingen sollte, die letzten Widerstandslinien ihrer Gegner zu durchbrechen, würde ein Brückenkopf der UN-Streitkräfte im äußersten Süden des Landes, auch wenn er ein größeres Gebiet umfassen würde als der seinerzeitige Perimeter von Pusan, kaum auch nur dazu reichen, die völlige Unterwerfung des übrigen Korea unter die Herrschaft Mao Tse-tungs zu behindern.

In Anbetracht einer so enttäuschend veränderten Lage kann es nicht wundernehmen, daß tiefgehende Meinungsverschiedenheiten an die Stelle der anfänglichen Einhelligkeit im Lager der Vereinten Nationen getreten sind. Ganz abgesehen davon, daß die Völker Südostasiens und ihre Führer seit Beginn der chinesischen Aggression immer deutlicher dazu neigen, in der gewalttätigen Politik Pekings nicht so sehr ein Werk des Weltkommunismus zu erblicken als vielmehr die natürliche Reaktion eines asiatischen Brudervolkes gegen seine traditionellen „weißen“ Feinde und Bedrücker, haben sich auch in der Öffentlichkeit wie in den Staatskanzleien des Westens die Ansichten über den nun weiter zu verfolgenden Weg in mehrere Richtungen geteilt. England, auf seine asiatischen Handelsinteressen nicht weniger bedacht als auf die Stimmung in den fernöstlichen Mitgliedstaaten des Commonwealth, vertritt zwar nicht offen einen Kurs, der allzusehr an das unselige Münchener Abkommen von 1938 erinnern würde; es macht aber doch sehr deutliche Anstrengungen, um dem Gedanken einer Versöhnung Mao Tse-tungs Geltung zu verschaffen, selbst wenn der Preis, der hiefür zu bezahlen wäre, den gänzlichen Abbruch der Intervention in Korea einschließen würde. Dieser Gedanke, der schon in Frankreich, mit Rücksicht auf die Lage in Vietnam, wenig Unterstützung findet, wird nirgends schärfer abgelehnt als in den Vereinigten Staaten. Erbittert über die schweren Opfer an Blut und Gut, die das Eingreifen Rotchinas dem amerikanischen Volke als dem Hauptschildträger der Vereinten Nationen aufgebürdet hat, weist man darauf hin, daß die Annahme der chinesischen Forderungen soviel bedeuten würde wie die Prämiierung einer gelungenen Aggression, und damit einer Bankrotterklärung der Vereinten Nationen gleichkäme. Statt eine Nachgiebigkeit zu zeigen, die nur zu weiteren Anschlägen auf die Sicherheit der friedlichen Welt ermutigen würde, müsse man im Gegenteil jedes Mittel militärischer und wirtschaftlicher Macht in Anwendung bringen, um die Herren in Peking darüber zu belehren, daß, so wie jedes andere Verbrechen, auch das Verbrechen der Aggression sich nicht lohne. Insbesondere könne ein Rückzug der UN-Kräfte aus Korea überhaupt nicht ins Auge gefaßt werden, ohne das Ansehen der Vereinten Nationen aufs schwerste zu schädigen und das Andenken an die vielen zu verunehren, die dort ihr Leben ließen.

Aus solchen Gegensätzlichkeiten heraus die vernünftigste und zweckdienlichste Lösung zu finden, ist jetzt die ungemein schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe. Die Entscheidung darüber, wie sie gelöst werden soll, wird freilich nicht vom Präsidenten Truman allein abhängen, aber das Gewicht seiner Stimme wird naturgemäß der Stellung entsprechen, welche die amerikanische Union als führende Weltmacht besitzt. Nicht darum darf es sich handeln, wie da und dort vorgeschlagen wird, die ethischen Grundlagen und damit die Verpflichtungen der Vereinten Nationen einzuschränken, sondern darum handelt es sich, und das ist das Gebot der Stunde, in den Entschließungen dieser weltweiten Aktion das Wesentliche vom Unwesentlichen und das Erreichbare vom Unerreichbaren zu trennen. Ein Mord bleibt auch dann ein Mord, wenn es dem Täter gelingt, sich der gesetzlichen Ahndung mit List oder Gewalt zu entziehen, und niemand wird im Hinblick auf einen solchen Fall verlangen, daß der Mordparagraph aus dem Strafgesetz gestrichen oder der öffentliche Sicherheitsapparat aufgelöst werde. Nun liegt aber weltpolitisch der Kern des Sicherheitsproblems nicht in Asien, sondern in Europa, und nichts würde verhängnisvoller sein, als wenn sich die Vereinten Nationen dazu verleiten ließen, ihre an sich schon angespannten Kräfte in einem buchstäblich ziellosen chinesischen Abenteuer zu ersdiöpfen. Das bedeutet keineswegs eine bedingungslose Kapitulation vor den Forderungen der heute siegestrunkenen chinesischen Machthaber, wohl aber die Notwendigkeit erhöhter Bemühungen, die Regierung in Peking davon zu überzeugen, daß ihr auf lange Sicht aus einer friedlichen Verständigung mit dem Westen größere Vorteile erwachsen werden als aus einer rücksichtslosen Ausbeutung ihrer augenblicklichen militärischen Überlegenheit.

Damit solche Bemühungen zum Ziele führen, ist es allerdings unerläßlich, daß ich die Regierungen des Westens unter Beiseitelassung aller Sonderinteressen auf eine völlig klare, gemeinsame Linie einigen, und daß auch die Führer der arabischen Liga und der freien Staaten des Fernen Ostens alles vermeiden, was als eine beginnende Spaltung in der Front der Verteidiger des Friedens ausgelegt werden könnte. Denn durch nichts wurde die Hartnäckigkeit Pekings mehr gefördert, als durch die Hoffnung, den weltweiten Bund der freien Nationen zu sprengen und die UN auf den Stand einer amerikanisch-westeuropäischen Koalition heragemindert zu sehen.

Vom Präsidenten Truman wird gesagt, daß er den Begriff Furcht überhaupt nicht kenne. Die jetzige Lage, die sich in den letzten Tagen bedenklich verschärft hat, verlangt mehr als den Mut einer persönlichen Uberzeugung; sie erfordert die Beherrschung der Staatskunst in einem ungewöhnlich hohen Grade. S.

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