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Zwischen Kriegsächtung und Wettrüsten
Es gehört ein anerkennenswertes Maß von Unverdrossenheit dazu, sich in diesen Zeitläuften um eine Charta der Menschenrechte zu bemühen. Dies war die Aufgabe einer Kommission des Wirtschafts-und Sozialrates der Vereinten Nationen, die Ende Juli in Genf tagte. Es lag ihr der Entwurf einer Satzung vor, den der britische Vertreter als ein untaugliches Instrument für den hohen Zweck bezeichnete, dem er zu dienen hätte. Nach seiner und anderer Delegierter Ansicht enthielt er weniger, als in den meisten abendländischen Konstitutionen hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte ohnehin statuiert ist. Auch zeigte der Entwurf eine übertriebene Vorsicht, bei den nationalen Gesetzgebungen nicht anzustoßen sowie die unterschiedlichen Grundsätze der öffentlichen Sicherheit nidht zu verletzen. Kurz, das Ganze stellte &ich als ein unzulänglicher Versuch heraus, die der Kommission übertragene Aufgabe mit den unaufhörlich fortschreitenden Ansprüchen der Staatsgewalt in Einklang zu bringen. Die demokratische Welt kämpft heute mit der Idee der persönlichen Freiheit gegen die totalitär regierte Welt, die für ein soziales Sicherheitssystem kämpft. Der ohne Rücksicht auf individuelle Ansichten und ethische Bedenken organisierte Massenfanatismus verschafft der totalitären Welt in diesem Kampfe Vorteile, denen gegenüber es für die freie Welt immer schwieriger wird, im vollen Umfang Menschenrechte aufrechtzuerhalten, unter denen das Recht auf das eigene Leben und das Recht der Verweigerung des Kriegsdienstes aus moralischen Gründen zweifelsohne an oberster Stelle stehen. Die Bonner Verfassung zählt unter den individuellen Grundrechten auch die Verweigerung des Militärdienstes auf. Der öffentliche Geist in den freien, hochentwickelten Ländern des Westens wird sich, darüber besteht kein Zweifel, bis hart an die äußerste Gefahr jeder Zwangsrekrutierung widersetzen.
Es muß zugegeben werden, daß der Wind, der vom koreanischen Kriegsschauplatz herüberweht, der Ausarbeitung einer Satzung menschlicher Freiheiten nicht günstig ist. Die Gefahren, denen sich die westliche Welt ausgesetzt fühlt, veranlassen militärische Vorbereitungen, die auf die Dauer ohne Ausübung eines gewissen Zwanges schwerlich den notwendigen Umfang erreichen können. Die jüngst im britischen Unterhaus abgeführte Debatte über die Landesverteidigung zeigte die Spannungen auf, die heute zwischen dem Friedensbedürfnis einer machtgesättigten und zu politischer Toleranz gereiften Nation und den durch auswärtige Vorgänge erzwungenen Pflichten einer Regierung bestehen, der die Sicherheit des von ihr verwalteten Gemeinwesens anvertraut ist. In seiner Erwiderung auf die ernsten Warnungen Churchills wegen der Rückständigkeit der militärischen Bereitschaft Großbritanniens wog Landesverteidigungsminister S h i n w e 11 vorsichtig die widerstreitenden Kräfte ab, zwischen denen auch in einem so kritischen Zeitpunkt wie dem gegenwärtigen sich die Regierungsmaßnahmen zu einer rasch mobilisierbaren Landesverteidigung halten müssen. Die Völker des Abendlandes, vor allem die friedliebenden Nationen Westeuropas, lehnen kriegerische Lösungen gewiß so lange ab, als ihr natürlicher Verteidigungstrieb nicht durch einen unmittelbaren und un-provozierten Angriff geweckt wird; aber der komplizierte Apparat des modernen technischen Krieges kann im Augenblick einer Aggression nicht improvisiert werden. Dazu kommt, daß das neue Soldatenhandwerk eine intensive, mit Gefahren verbundene Schulung erfordert und daß die Anwendung gewisser moderner Waffen gegenüber der zivilen Bevölkerung die Unterdrückung moralischer Bedenken voraussetzt. Ob diese Unterdrückung durch militärische Befehle geheischt werden kann, ist eine Frage, die gerade in den letzten Wochen in der englischen und amerikanischen Presse vielfach diskutiert worden ist.
Die Ächtung des Krieges durch den Briand-Kellogg-Pakt ist bei Abschluß des letzten Krieges durdi die Charta der Vereinten Nationen in anderer Form erneuert worden. Wenn der Krieg als geächtet gilt, müssen die grausamsten Mittel des Krieges als die am meisten geächteten angesehen werden. Den ethischen Anschauungen, aus denen der Krieg geächtet ist, widerspricht es also auf jeden Fall, einem kriegerischen Angriff mit grausameren Waffen entgegenzutreten, als es die Umstände erfordern. AJ.s anläßlich der nordkorea.ii sehen Aggression ganz vereinzelt der Ruf nach Anwendung der Atombombe ertönte, wurde die Frage aufgeworfen, warum der Einsatz der Atomwaffe zum Zwecke der Zurückweisung eines so vermessenen Angriffes unmoralischer sein sollte als der Angriff selbst. Die Antwort darauf ist sehr einfach: weil die Atomwaffe nicht die für die Aggression Verantwortlichen, sondern Unschuldige trifft. Es darf keine „Substitution“ für die Kriegsschuld geben. Das käme einem Geiselmassaker gleich. Das zu verhindern, ist doch wohl das Geringste, was von einer „Humanisierung“ des Krieges gefordert werden kann, wenn man sich dieses Wortes in einem solchen Zusammenhang noch bedienen darf.
Der nordkoreanische Angriff war ein eklatanter Bruch jener neuen Ächtung des Krieges, die durch die Charta der Vereinten Nationen ausgesprochen wurde. Seine Zurückweisung im Auftrage des Sicherheitsrates darf daher den Charakter einer Exekution des Urteils einer Weltregierung beanspruchen, wenn auch diese Weltregierung infolge des westöstlichen Konflikts und der Abwesenheit Rußlands bei den Beschlüssen des Sicherheitsrates von Ende Juni nur als suppo-niert angesehen werden kann. Das Verbleiben Rußlands in den Vereinten Nationen auch nach der Verurteilung des nordkoreanischen Angriffs ist für das Prinzip der Kriegsächtung ein ebenso ermutigender Faktor wie die nunmehrige Führung des Vorsitzes im Sicherheitsrat durch den russischen Vertreter, was auch immer dabei die taktischen Motive der Moskauer Regierung sein mögen. Man muß m i t fanatischer Unyerdrossenheit der Ächtung des Krieges als eines neues Recht schaffenden Mittels festhalten, da ohne sie auch allen Mensdienrechten der Boden entzogen wird und sich jegliche Grundsätze, für welche die westliche Welt heute kämpft, sehr bald in der Realität der Ereignisse- als unhaltbare Fiktionen erweisen müßten. Das düstere Bild, das Churchill von dem Mißverhältnis der militärischen Kräfte in Europa entworfen hat — zwölf westliche Divisionen gegen mehr als 80 östliche —, hinderte das britische Unterhaus nicht, seine Session vor den Sommerferien mit einer Debatte über die Schaffung einer Weltregierung abzuschließen. ; An dieser Debatte beteiligten sich neben Mitgliedern der Labour Party auch konservative Abgeordnete mit einem Freimut, dem jede Rücksicht auf die gegenwärtige internationale Situation fernlag. ;'
Schon einige Wochen vorher hat es im englischen Oberhaus eine kurze Debatte ähnlich ideologischer Art gegeben, in der einige der Peers um Verständnis für die Auffassung warben, daß die moralische Krise, unter der heute die menschliche Zivilisation zu zerbrechen droht, nicht durch einen Krieg, sondern nur durch eine überstaatliche und jeder Machtsphäre entrückte Aussprache zwischen den führenden Geistern der Welt gelöst werden könnte. Der Anreger dieser Debatte, Lord D a r n 1 e y, ging dabei von dem Gedanken aus, daß es aus der heutigen Krise keinen andern Weg der Rettung gebe als den, das westliche und das östliche Denken wieder in Zusammenhang zu bringen. Im übrigen führte Darnley aus, dem der greise, hochangesehene Viscount Cecil und die Lords Mountevans und Winster lebhaft zustimmten: die Menschheit sei nun an einer Wegkreuzung angelangt, an der sie sich entscheiden müsse, ob sie in dem Versuche fortfahren wolle, ihre Ideaje durch Kriege und Blutvergießen zu erreichen, was sicherlich mit ihrem Untergange enden müßte, oder ob sie ihre Ideale durch neue Methoden zu erreichen versuchen solle“.
Hinter der politisch-dialektischen Arena von Lake Success erhebt sich diese fatale Entscheidung.
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