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Die UNO - nur eine Diplomatenmaschine

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Die UNO ist 25 Jahre alt geworden. Dies ist ein bemerkenswertes Alter für jede Institution; daß aber eine Weltetoatetiorgainisation 25 Jahre existieren konnte, ist indessen bereits erstaunlich. Und dennoch wird der Geburtstag lediglich vermerkt und eicht mit Freude und Stolz gefeiert. Die Resolutionen der Generalversammlung sind bisher kaum je auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Obwohl es an Konflikten durchaus nicht mangelt, ha« der Internationale Gerichtshof in Den Haag wenig octer nichts zu tun. Eine amerikanische Kommission, die sich mit der Problematik der Weltorganisation befaßt empfiehlt eine Stärkung des Instrumentariums zur Friedienserhaltung und die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen bei der Vermittlung in internationalen Konflikten. Kanada schlägt seinerseits vor, daß die Generalversammlung ihre Arbeitsweise und Organisation rationalisieren sollte. Es liegt im Zuge unserer Zeit, daß für die Behebung der Schwierigkeiten der UNO Reformen angeregt werden — Rezepte, die Zeit und Geld sparen helfen würden, aber gewiß die eigentliche Krankheit nicht heilen.

Warum bleiben die Resolutionen der Generalversammlung unbeachtet — wenn sie nicht direkt verletzt werden —, und warum scheint kein Bedarf nach dem weisen Urteil des Internationalen Gerichtshofes zu bestehen? Die Antwort lautet: Weil niemand den UNO-Beschlüssen durch Gewalt Achtung verschaffen kann. Diese Antwort bekommt man in der ganzen Welt zu hören; sie ist nichtsdestoweniger unlogisch. Nehmen wir einmal an, es existierte eine Streitmacht zur Durchsetzung von UNO-Beschlüssen. Wer würde ihr trauen, sie befehligen, über ihren Einsatz befinden, und wie und auf welcher Seite würde sie eingesetzt? Sollte zum Beispiel im gegenwärtigen Zeitpunkt eine irgendwo auf Spitzbergen stationierte gewaltige UNO-Streitmacht eingesetzt werden, um im Nahen Osten Ordnung zu schaffen? Eingesetzt durch wen, wo, wie und gegen wen? Diese altbekannte Fragestellung macht jede internationale Streitmacht wertlos. Wir müssen nach anderen Lösungen suchen.

Dabei muß natürlich von einer realistischeren Diagnose des Übels ausgegangen werden. Die Schwierigkeiten der UNO rühren — sowohl was ihre politische als auch was ihre rechtliche Seite anbelangt — nicht von einem Mangel an militärischen Machtmittel her, sondern vom genauen Gegenteil, einem Mangel an Autorität. Denn Autorität ist die Macht, Unterordnung ohne Gewaltanwendung zu gewinnen. Christus, Buddha, Euklid und Newton gewannen Anerkennung durch ihre Autorität. Hitler und Stalin begegneten passivem Gehorsam, den sie durch Gewalt erzwangen. Die Menschen fügen sich gern der Autorität; sie hassen es aber, sich der Gewalt zu beugen. Es gibt im übrigen keine Gewalt, die in der Lage wäre, die ganze Menschheit einem einzigen Willen zu unterwerfen. Autorität ist daher nicht nur die beste, sondern auch die einzige Kraft, die Frieden bringen kann.

Das Problem liegt nun auf der Hand: Wie kann die UNO Autorität erlangen? Wir müssen anerkennen, daß die Lösung dieses Problems äußerst schwierig ist. Christus und Buddha waren Gottgesandte oder Heilige. Euklind und Newton waren genial. Die Quelle ihrer Autorität war nicht, was sie sagten oder taten, sondern was sie waren. Was aber sind die Vereinten Nationen? Schon der Name ist bassenswert — in mehr als einer Hinsicht. Obwohl die englische Bezeichnung für den Völkerbund (League of Nations) im Gegensatz zur deutschen und französischen keine gute war, so war sie doch im Singular gehalten und daher an sich eine Quelle der Autorität. Aber in San Franzisko beharrte die Sowjetunion darauf, daß die neue Völkervereinigung einen „Mehrzahl-Namen“ erhalte. Dies an sich war genug um die Institutionen der Vereinten Nationen von Anfang an jeder Autorität zu entkleiden.

Noch schlimmer ist, daß der Name eine eigentliche Lüge darstellt. Aus diesem Grund wurde er auch gewählt — wie „Volksdemokratie“, „demokratischer Zentralismus“, „Föderation der Sowjetrepubliken“, „Oberster Sowjet“ und fast jeder Ausdruck des kommunistischen Vokabulars. Diese Namen sind verbale Etiketten, die auf dem sowjetischen Prinzip beruhen, daß kein Wort oder kein Satz das zu bedeuten braucht, oder auch umgekehrt. Die Vereinten Nationen heißen so, weil ihre Uneinigkeit unheilbar, tief und beständig ist. Wollen wir verstehen, was er seinem Inhalt nach sein sollte wie tief und wie beständig diese Uneinigkeit ist, so müssen wir uns zwei Tatsachen vergegenwärtigen, die so bekannt sind, daß die meisten Leute sie vergessen haben. Die Sowjetunion, eine der Gründernationen mit Vetorecht, war seinerzeit wegen der Aggression gegen Finnland aus dem Völkerbund ausgeschlossen worden. Während der Debatte über den Text der UNO-Charta hat das Schicksal der Führer des polnischen Widerstandes gegen die Nazis einen Vertrauensbruch an den Tag gebracht, wie man ihn sich auch bei Stalin und Molotow zynischer nicht denken kann. Stalin war entschlossen, in Polen eine ihm gefügige Regierung aufzustellen, Es gab indessen eine polnische Exilregierung in London, deren Truppen für die Alliierten und damit natürlich auch für die Sowjetunion gekämpft hatten. Stalin stellte seinerseits in Lublin eine „polnische Regierung“ auf. Die britische Regierung verlangte darauf, daß Führer des polnischen Widerstandes in die Lubliner Regierung aufgenommen würden, womit sich Stalin einverstanden erklärte. Unter einer von Stalins Mann In Polen, Oberst Iwanow, unterzeichneten Zusicherung des freien Geleits kam eine auf Grund eines Vorschlages von Anthony Eden an Molotow zusammengestellte Gruppe von Führern des polnischen Widerstandes aus Ihren Verstecken, um in Lublin Minister zu werden. Die polnischen Politiker bestiegen ein Flugzeug, das sie nach Angaben ihrer sowjetischen Begleiter zu einem Gespräch mit Marschall Schukow nach Berlin bringen sollte. Sie verschwanden zunächst spurlos; während einer Woche war nichts von ihnen zu hören, bis dann, in San Franzisko während der Diskussion über die UNO-Charta, Molotow Eden erklärte, sie befänden sich im Moskauer Lubjanka-Gefängnis. Die britische Regierung war nicht in der Lage, etwas zu unternehmen Diese makabre Episode haltet bis zum heutigen Tage mit großer Hartnäk-kigkeit am „Image“ der UNO. „Alte Geschichten“; „die Welt muß weiterschreiten“; „Deutschland war nationalsozialistisch“. Ja, gewiß. Aber nehmen wir doch davon Kenntnis, daß das Naziregima gestürzt wurde und daß wir seit Hitler Adenauer, Erhard, Kiesinger und Brandt gesehen haben. Aber das Rußland, welches die UNO-Charta unterzeichnet hat, war dasjenige Stalins und Molotows, und sein Regime ist dasselbe geblieben. Chruschtschow nahm Budapest, Breschnew nahm Prag, genauso wie Stalin die baltischen Staaten, Polen, und all die sogenannten Satelliten nahm. Die Folgerungen läßt sich nicht umgehen: Die UNO kann nicht hoffen, jemals die Zustimmung der Welt zu gewinnen, weil der Teil der Welt, der Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit wünscht, Rußland nie wird vertrauen können — solange dieses Land unter einem Diktaturregime lebt, das sich über alle moralischen Grundsätze hinwegsetzt. Wir müssen daher unsere Ansprüche herabschrauben und zur Kenntnis nehmen, daß die UNO uns keine Ära des wirklichen Weltfriedens bringen wird. Wir müssen die Weltorganisation nur in ihrer Eigenschaft ala eine Art diplomatischer Maschinerle studieren. Sie kann nicht mehr sein als ein Apparat zur Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten, wobei die am wenigsten schlechte Lösung anzustreben ist. So gesehen, ist die UNO ein Gebäude, dem ein Stockwerk fehlt. Die Generalversammlung ist zu groß und zu vielschichtig. Resolutionen sind oft

das Ergebnis äußerster Konfusion und Demagogie. Das häufig vorgeschlagene Heilmittel, den Großmächten mehr Kompetenzen zuzuteilen, verspricht überhaupt keine Wirkung im Sinne einer Besserung. Remedur geschaffen werden könnte einzig durch die Errichtung eines „kontinentalen Stockwerks“, das in der Maschinerie der Organisation zwischen die mehr als 100 Nationen an der Basis und die zentralen Gebilde an der Spitze geschaltet werden sollte.

Solche kontinentale Gruppierungen könnten, obwohl man sich auch andere Möglichkeiten vorstellen kann, wie folgt umschrieben werden: USA, Sowjetunion, das Braune Asien, das Gelbe Asien, Europa, der Islam, Afrika südlich der Sahara, das Britische Commonwealth und Lateinamerika. Einzelne Staaten könnten zu mehr als einem „Kontinent“ gehören. So könnte zum Beispiel Puerto Rico zu den USA und Lateinamerika, Indien zum Braunen Asien und zum Britischen Commonwealth gehören. Jeder der genannten „Kontinente“ könnte seine eigene UNO mit Sicherheitsrat, Generalversammlung und internationalem Gericht bilden. Das gewaltige Weltparlament in New York müßte abgeschafft werden. Der Haager Gerichtshof müßte als Berufungsinstanz für die kontinentalen Gerichtshöfe bestehen bleiben. Die kontinentalen Föderationen könnten je einen Vertreter in einen zu bildenden Weltrat delegieren. Dieses System wäre wirksamer als die ungeschlachte Organisation am East River. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Schaffung von Kontinentaleinheiten wäre die Bildung eines Vereinten Europa von Portugal und Irland bis an die sowjetische Grenze. Hier würde die Sowjetunion den Weg versperren. Dies zeigt einmal mehr, wo das Hindernis zum Frieden liegt

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