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UNO - Ort und Standort

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Der Vorschlag, die UNO von New York weg-zuverlegen, und zwar entweder in ein neutrales Land — Österreich oder Schweiz — oder gleich in die Sowjetunion, läßt eine zweifellos nicht zweitrangige Frage aktuell werden, die bisher latent wirksam war, nämlich nach der grundsätzlichen Bedeutung des Hauptsitzes der UNO. Die Tatsache, daß der Vorschlag der Verlegung vom Ministerpräsidenten der Sowjetunion gemacht wurde, und zwar im Zusammenhang mit schweren Angriffen gegen den Generalsekretär der UNO, macht es schwer, diesen Vorschlag sachlich zu betrachten. Wir wollen dies trotzdem versuchen und dabei alles Gewicht auf die psychologischen Aspekte der Sache legen.

Die psychologische Bedeutung eines Ortes ist von sehr großem Gewicht. Denn der affektive Bacl;jround, der aus den historischen Bezügen einc> Ortes erwächst, stellt eine Art seelischer Landschaft dar, die aus dem Blickwinkel der verschiedensten Zonen und Positionen der Erde anders aussieht, anders beurteilt wird.

Wenn man in Österreich eine Tagung in Graz ansetzt, ist das etwas anderes als in Linz, Salzburg oder in Wien. Bei der Standortwahl von Institutionen sollte man sich daher sehr überlegen, welche Atmosphäre man dabei wählt, welche Affekte man aber auch bei jenen erzeugt, die man anzusprechen wünscht. Sinn und Ziel einer Institution sollten mit der Lokalität im Einklang stehen.

Wie liegt nun die Sache bei der UNO? Sie liegt im Standortbereich der größten Macht der Erde, im „westlichsten“, im „kapitalistischesten“ Land. Das bedeutet allein schon sehr viel. Die US-Amerikaner haben von der Lage des UNO-Hauptquartiers einige, jedoch sehr bescheidene Vorteile, zugleich jedoch bei einem so dynamischen und beweglichen Gegner wie Chruschtschow auch sehr beträchtliche Nachteile.

Die Vorteile für die USA liegen in der größeren Nähe (Eisenhower ist in kürzester Zeit im UNO-Hauptquartier) und auch vielleicht in einer leichteren Information über die Vorgänge in der UNO. Aber die größere Nähe wiegt bei den heutigen technischen Möglichkeiten nicht schwer. Die Nachteile beginnen sich jedoch stark auszuwirken. Die UNO, das in vielem verhätschelte Kind der USA, scheint langsam in seine Trotzperiode zu geraten. So können die USA nicht verhindern, daß die gesamte Ostprominenz einreist, große Pressekonferenzen abhält und damit^ ihrem Standpunkt einen außerordentlich großen propagandistischen Nachdruck verleiht. Auch Fidel Castro muß man hineinlassen und sich von ihm peinliche D;nee anhören. Der kommunistische Vorwurf, daß die USA die UNO wie eine Gouvernante am Gängelband führen möchte, wirkt in New York viel überzeugender, besonders auf die Vertreter junger Staaten, die voller Minderwertigkeitsgefühle nach den USA reisen.

Das Drängen der USA, New York als Sitz der UNO zu wählen, war also für sie selbst eine unglückliche Sache, äußerst nachteilig, wie sich jetzt herausstellt. Wenn die kommunistische Prominenz nunmehr weiterhin immer wieder in New York auftaucht, bedeutet dies auf die Dauer eine schwere psychologische Belastung der USA.

Man könnte nun daraufhin sagen, daß es also am besten wäre, die UNO in den Ostblock zu verlegen! Dann aber würde die UNO in jedem Ort des Ostblocks der Gefahr der Selbstzer-setzung unterliegen.

Will man demgegenüber jedoch eine Überbrückung der Gegensätze, eine fortschreitende Humanisierung des Kommunismus, den Abbau des Ost-West-Gegensatzes, dann kommt nur ein neutrales Land in Frage.

Zweifellos hat nun der Gedanke, die UNO nach Neu-Delhi zu verpflanzen, einen großen Reiz. Die psychologische Position Indiens gegen China wäre sofort wesentlich stärker, denn man kann sich wohl nicht mehr in Unrecht setzen, als den Staat, der die UNO beherbergt, anzugreifen — es sei denn, dieser Staat sei einer der bisherigen Großmächte. Gegen Indien spricht jedoch dessen wohlbegründete und gutfundierte Anwartschaft auf einen Großmachtstatus in der UNO.

Die Eifersucht von Großmächten auf kleine Staaten pflegt nicht bedeutend zu sein, da das Überlegenheitsbewußtsein dadurch nicht unterminiert würde.

Nun sollte — und das spricht auch sachlich gegen Indien, aber auch gegen die neutralitätserfahrene Schweiz — die UNO möglichst an der verhärteten Grenze der Einflußsphären, am Eisernen Vorhang, liegen. Denn dadurch würde sich ein psychologischer Schwerpunkt bilden, der notwendigerweise internationalen Anstand und Toleranz ausstrahlen müßte, wenigstens in formalen Dingen.

Bevor wir hier auf Wien nähet eingehen, wäre noch über Berlin zu reden. Eine Freistadt Berlin mit UNO-Hauptquartier wäre von vielerlei Belästigungen sicher. Eine Enklave hinter dem Eisernen Vorhang stellt jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach für den Osten eine (einstweilen?) noch zu große Belastung dar. UNO-Diplomaten aus der ganzen Welt an den Grenzen Berlins mit Formalitäten zu ärgern, ist schlecht möglich. Daß Berlin zu einem Revolutionsherd wird, ist für beide Seiten sehr gefährlich.

Wenn man einen Punkt knapp vor, jedoch nicht hinter dem Eisernen Vorhang wählt, etwa Wien, ist die Chance zu einer Lockerung des Vorhanges groß. Das bedeutete konkret, daß in Wien, an einem Kreuzungspunkt zwischen Ost und West, Nord und Süd, die Situation wohl die günstigste wäre. Nicht vergessen werden soll, daß Österreich keine Vergangenheit als Kolonialmacht besitzt.

Beide Seiten hätten relativ freie Hand. Es würde sich aber um Wien eine Zone mit erhöhter Friedensverpflichtung bilden. Die formalen Hindernisse des Kontaktes müßten verringert werden. Konkret sollte ein UNO-Diplo-mat über die ungarische Grenze ohne große Schwierigkeiten gelangen können (Dauervisum und so weiter).

Nicht nur der Eiserne Vorhang würde durchlässiger, auch die Angst, etwa der Tschechen vor einer deutschen Revanche, müßte sich im Nahhorizont der UNO verringern. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Chruschtschow all das bedachte, als er Wien erwähnte. Ob er zum Beispiel daran dachte, daß der ungarische Aufstand ein anderes Ende gehabt hätte, wenn die UNO ihren Sitz in Wien gehabt hätte? — Eine kaum auszudenkende Situation. Aber vielleicht hätten die ungarischen Revolutionäre auch nicht die moskautreuen Söldner einfach aufgeknüpft, denn das erschwerte natürlich eine friedliche Reaktion Moskaus.

Man wird sich an das Denken in psychologischen Kategorien im politischen Raum gewöhnen müssen. Es wäre gut, hier eine größere Arbeit über dieses keineswegs belanglose Problem zu beginnen.

Wenn man uns hier vorwirft, daß wir zu sehr in eigener Sache sprechen, so ist dieser Vorwurf nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn wie sollte es einen Österreicher nicht faszinieren, in seinem Raum die UNO zu beherbergen? Es wäre unredlich, nicht einzubekennen, daß wir hier eine Chance einer „aktiven Neutralität“ sehen, eine großartige Gelegenheit, unsere übernationale Vergangenheit wieder fruchtbar werden zu lassen. Nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile wären für Österreich bedeutend — eine einseitige Überfremdung durch Kapital wäre unmöglich —, unsere Neutralität wäre in einer Weise garantiert, wie man es sich nicht besser wünschen könnte. Weiter könnte der Provin-zialisierung des geistigen Horizonts Österreichs, wie er sich auf allen kulturellen Gebieten zeigt, wirkungsvoll begegnet werden. Das Aufbrechen eines globalen Horizonts wäre die Folge.

Man dürfte uns nur dann vorwerfen, daß unser Denken von Eigensucht bestimmt ist, wenn eine Verlegung der UNO nach Österreich uns zwar Vorteile, dem Ziel der UNO jedoch Nachteile brächte. Wir glauben jedoch, daß dem nicht so ist, daß im Gegenteil hier der UNO ein guter Dienst erwiesen würde, denn ihre Friedensmission würde erleichtert. Daß dabei den USA wie auch den Sowjets keine Nachteile erwüchsen, dürfte aus dem bisläng Gesagten wohl eindeutig hervorgehen.

Jedenfalls ist der Vorschlag, von dem üblichen polemischen Beiwerk befreit, der Überlegung wert.

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