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Die politische Organisation der Welt

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Die Menschheit ist heute noch keine rechtliche Einheit, kein Ganzes, sie ist ein loses Gemenge von Völkern, von Staaten. Erkennen wir endlich, daß die Weltpolitik nicht ewig aus lauter Gegensätzen bestehen kann, daß die Menschheit naturgebotene, gemein- same dringende Interessen hat? Ein erster Schritt zu ihrer Erfassung war der nach dem ersten Weltkrieg entstandene Völkerbund. Er fiel aber in seiner Durchführung sehr anders aus, als seine geistigen Väter, allen voran Präsident Wilson, ihn gedacht und gewünscht hatten. Anstatt eine offene Stelle für die friedliche Zusammenarbeit aller Völker zu sein, wurde er ein Werkzeug für die Diplomatie der führenden Großmächte. Kabinettspolitik waltete, nicht Weltpolitik. Das Genfer Gebilde war mit Geburtsfehlern belastet. Nicht durch Völkerverständigung wurde es in die Welt geschickt, sondern als ein den besiegten Ländern auferlegter Teil der Friedensverträge, an deren Spitze das Statut des Völkerbundes stand. Zugleich schloß man aber die Vertragspartner aus dem neugeschaffenen Bunde aus! Später einmal, nach verbüßter Strafe und gegen Nachweis ihrer Besserung, könnten sie etwa zugelassen werden. Anstatt den Vertragsgegner zur Weltgemeinschaft heranzuziehen, stieß man ihn hinaus. Vae victis! Ein zweiter Grundfehler des Völkerbundes war, daß für seine Beschlüsse die Einstimmigkeit vorgeschrieben war. Der kleinste Staat konnte durch Gegenstimme alles verekeln. Es gab „Mitglieder" und „Nichtmitglieder", nicht die Einigung der Menschheit, der civitas Dei des hl. Augustinus, sondern ihre Zerspaltung. Während des zweiten Weltkrieges vereinigten sich große Staatsmänner der alliierten Mächte, um ein Rechtsgebäude zu errichten, das der Welt dauernden Frieden schenken sollte. So kam in San Francisco am 6. Juni 1945 der „Pakt der Vereinigten Nationen" zustande. Ein Meisterwerk der Menschenliebe, ein ehrliches Zeugnis wahrer Friedensabsicht. Ausgearbeitet in allen Einzelheiten unter Aufrichtung von Organen und Amtsstellen, die laufend die weitgespannten Aufgaben zu besorgen haben werden. Alle homines bonae volun- tatis wandten ihre Sympathie der UN zu. Schon ist diese einige Jahre tätig, und es liegen Erfahrungen vor. Hat die neue Schöpfung die Fehler des alten Völkerbundes vermieden, wie man versprochen hatte? Haben sich neue Mängel eingeschlichen? Die Freunde dieser großartigen Welteinrichtung jeder von uns ist ihr Verehrender Freund müssen sich diese Fragen vorlegen. Auch die UN ist nur ein Verband einer geschlossenen Anzahl von Staaten, nicht das Abbild der gesamten erdenbewohnenden Menschheit. Wieder gibt es Mitglieder und Nichtmitglieder, Hereingelassene und Hinausgewiesene und Rechtsungleichheit. Nur die „Mitglieder“ haben die Vollrechte der Staatlichkeit. Der Pakt ist an der Gelegenheit vorbeigegangen, echtes internationales Recht, Weltrecht, zu schaffen, er hat nur zwischenstaatliches Recht bewirkt, das einen geschlossenen Verband von einzelstaatlichen Individuen bindet, eigentlich Vereins recht nur für die Mitglieder. Es soll nur (Art. 2, Z. 7) dafür Sorge getragen werden, daß Nichtmitgliedstaaten „gemäß den Grundsätzen dieses Paktes handeln". Man kann es verstehen, daß man im Juni 1945 das besiegte Hitlerdeutschland nicht mit allen anderen Ländern gleichstellen wollte, aber es, wie den wiedererstandenen Staat Österreich, aus der Gemeinschaft auszuschließen, das war Erneuerung alter Gegensätze. Wenn man den besiegten Staaten noch nicht voll zu vertrauen vermochte, so bot der Pakt Wege, sie im Hintergründe zu halten, indem man keinen Vertreter dieser Länder in den Sicherheitsrat und in die anderen Organe der UN wählte. Man hat die alte unselige Spaltung legitimiert. Sagt doch der Pakt wiederholt (zum Beispiel Kap. II, Art. 5), daß die Mitgliedstaaten, verglichen mit den Nichtmitgliedern, „Privilegien" haben, rechtliche Vorteile. Also Rechtsungleichheit im neuen Völkerrecht! Oberstes Gebot jeder Rechtsordnung, auch einer internationalen, muß aber sein: gleiche Grundrechte vor dem Gesetz und vor dem Richter! Es gelang auch nicht, innerhalb der Mitg1iederschaft gleiches Recht zu setzen. Man hat zwar das Gebot der Einstimmigkeit, also eines Vetorechtes jedes Staates, nicht übernommen, und es klingt parlamentarisch-demokratisch, wenn Art. 18 sagt, jeder Staat hat in der Vollversammlung eine Stimme, und wenn er vorschreibt, für bestimmte, besonders wichtige Sachen sei Zweidrittelmehrheit erforderlich. Es hat dadurch den Anschein, als wäre diese Vollversammlung das Oberhaupt der ganzen Einrichtung, besäße die plenitudo potestatis. Aber bald belehrt uns der Pakt eines anderen. In der Aufzählung der „Hauptorgane" nennt Art. 7 nach der Vollversammlung den „Sicherheitsrat". Man möchte glauben, daß dieser Rat der Vollversammlung, wenn schon nicht untergeordnet, so doch beigeordnet wäre. In Wahrheit ist er ihr übergeordnet! Schon die Aufnahme eines neuen Mitgliedes kann (Art. 4 2) nur auf Grund einer „Empfehlung“ des Sicherheitsrates erfolgen. Praktisch läßt also er zu, die Versammlung vermöchte das nicht einmal durch einstimmigen Beschluß. Auch die Ausschließung kann nur auf Empfehlung des Rates stattfinden, wenn ein Mitglied „die im Pakte vorbehaltenen Grundsätze beharrlich verletzt", ein Beweis, daß die .UN ein Staatenbund geworden ist, nicht die allen Völkern der Erde gemeinsame Arbeits- und Amtsstelle zur Verständigung der Völker und zur Behütung des Friedens, kein Weltbund zu versöhnlichem Zusammenwirken aller nach Völkerrecht anerkannten Staaten, wie Menschensinn und Naturrecht das als selbstverständlich geboten hätten. Kleine und mittlere Staaten können ausgeschlossen werden, niemals aber eine Großmacht; Art. 23 zählt diese auf: China, Frankreich, Sowjetunion, Britannien und die

USA. Verletzt eine dieser fünf Mächte ihre Grundpflichten aus dem Pakte noch so schwer und beharrlich, so verbleibt sie in der: UN, denn ihr Ausschluß kann nur auf Grund eines Vorschlages des Sicherheitsrates erfolgen. Sie gibt ihre Stimme gegen ihren Ausschluß ab, verhindert dadurch die Ausschließung, sie kann also treiben, was sie will. Ein Gegenbild: Jede Großmacht kann durch ihre Gegenstimme — sogar durch Stimmenthaltung! — die Aufnahme eines Staates, dessen politische Sittenreinheit alle anerkennen, verhindern. Es ist klar: der Sicherheitsrat wurde ein Werkzeug der Eigenpölitik jeder Großmacht, die ihre engnationale Politik über den Einigungs- und Weltgedanken stellt. Nur der Rat kann „Entscheidungen" fällen, nicht die Vollversammlung, die auf „Empfehlungen“ beschränkt ist die „erörtern“ darf, „beraten", nicht „entscheiden" (Art. 10, 11). Sie ist von der Wahrnehmung auch dringender, den Frieden bedrohender Angelegenheiten ausgeschlossen, solange sich der Rat damit „befaßt“ (Art 12). Ihm, nicht der Vollversammlung, steht die „Rechtshoheit" zu (Art. 53). Sagt doch Art. 22: Die Mitglieder der UN „kommen überein, die Entscheidungen des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen". Was ist gegenüber dieser Machtfülle die Vollversammlung? Sie kann dem Rate nichts auftragen, nur ihm „empfehlen“. Zwar muß der Rat der Versammlung Berichte erstatten, die von ihr „geprüft“ werden, sie darf darüber reden, doch nichts ändern. Der Rat ist nicht ein Organ, er ist der S o u v e it ä n der ganzen Einrichtung,

selbst eher gehemmt und gelähmt durch die Norm, zu einem Beschlüsse bedürfe es der bejahenden Zustimmung jeder der fünf Großmächte! Man könnte versucht sein, an den hitlerdeutschen Reichstag zu denken, der zwei Reden anhören, aufstehen und ja sagen, das Horst-Wessel-Lied singen und dann heimfahren durfte. Zum Glück stimmt dieser Vergleich nicht ganz, denn die Vollversammlung hat immerhin auch einen eigenen Wirkungskreis, wie denn neben ihr und dem Sicherheitsrat noch. andere „Hauptorgane" (Art. 7: Wirtschafts- und Sozialrat, Treuhandrat,. Internationaler Gerichtshof, Sekretariat) weltwichtige Angelegenheiten zugewiesen haben. . In den politischen Belangen ist jedoch der Rat das tatsächlich regierende Oberhaupt. In „Verfahrens"angelegenheiten beschließt er (Art. 27 2) mit einer Mehrheit von mindestens 7 der 11 Ratsmitglieder bei gleichem Gewicht aller Stimmen. „In allen anderen Angelegenheiten" — also in den hochpolitischen, — ist solche Mehrheit nur dann beschlußfähig, wenn unter den bejahenden Stimmen „alle ständigen Mitglieder" — die fünf Großmächte — enthalten sind. Aus dieser gewundenen Bestimmung erwuchs ein Veto recht, durch das jede Großmacht den Rat lahmlegen kann; schon Stimmenthaltung genügt dazu! • In der Tat ist solches Veto schon oft ausgesprochen worden; auch als die Aufnahme von’Österreich beschlossen werden sollte.

Überschauen wir das Ganze, so zeigt sich, daß ein edler, großer Gedanke eine unvoll-kommen? Ausführung gefunden hat. Die UN ist auf das Entgegenkommen jeder einzelnen Großmacht angewiesen, alle anderen Staaten, wenn auch unter sich einstimmig, sind deren Willen unterworfen. Der Geist christlich empfundener Völkerbrüderschaft blieb außen, die Welt wurde gespalten, da sie sich danach sehnt, verbunden zu werden. Art. 53 spricht von Maßnahmen „gegen irgendwelche feindliche Staaten“, und Abs. 2 „definiert“ den Begriff „feindlicher Staat“ dahin: „jeder

Staat, der im zweiten Weltkrieg Feind irgendeines Signatarstaates dieses Paktes war“. Österreich führte nicht Krieg, gehört also nicht zu den „feindlichen Staaten“ des Art. 53. Ist es ein Friedensbund, wenn eine

Anzahl von Staaten förmlich zu Feinden ernannt wird? Darf es in dem von der leidenden Menschheit erhofften Bilde des Weltfriedens amtlich abgestempelte „Feinde“ geben? Die nicht Feinde, sondern Mitarbeiter zu sein berufen wären! Man sagt, jedes Menschenwerk habe Fehler. Aber jedes ehrlich und ernst gemeinte Menschenwerk strebt nach Beseitigung der im ersten Anlauf eingedrungenen Mängel, nach Reinigung und Vervollkommnung seines grundlegenden Lebensgesetzes. Die aus der Einrichtung der UN hervorleuchtende Weisheit ihrer Schöpfung wird auf die Dauer nicht der Schlauheit unterliegen, die ihre Verkörperung in den Bestimmungen über den Sicherheitsrat gefunden hat. Wer allmenschlich, weltbürgerlich denkt, wird sich der Hoffnung hingeben, daß die Union der Nationen sich zu dem kameradschaf’t liehen Bunde aller Staaten fortbilden werde, aller Völker, keines ausgeschlossen. Dieses Ziel wird nicht erreicht werden, solange der Grundvertrag „Feindstaaten" kennt und solange er Mitglieder und N i c h t m i t g 1 i e d e r unterscheidet. Es kann erreicht werden, wenn der Weltbund UN allen auf der Erde lebenden Menschen und ihrem Lande offensteht, wenn überall im Pakt an Stelle des Wortes „Mitglieder“ zu lesen sein wirdt „als selbständig anerkannte Staaten".

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