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Die Stunde der UNO

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Scharmant, daß der Herr Generalsekretär des Völkerbundes es in seiner Gastloge im Palais de Chaillot dem Gesandten Österreichs ermöglichte, neben dem Vertreter Monacos der Eröffnungssitzung der Pariser Tagung der UNO beizu wohnen. Denn Österreich, dieser kleine Staat, war zwar der erste und lange Zeit der einzige, der in voller Erkenntnis der weltbedrohenden Gefahr sich gegen die Hitlermacht erhob und in diesem Ringen Blut und Gut lange vor Ausbruch des Weltkrieges opferte, aber es hat noch keinen Sitz unter den „Vereinten Nationen“, ohne seine Schuld also eine Exemplifikation, daß der Titel der großen Völkerversammlung noch seiner Erfüllung bedarf. Würde sich Österreich einer so akademischen Distanz von den großen Weltereignissen erfreuen können wie die malerische befürstete Umgebung der Spielbank von Monte Carlo an dem blauen Strande des Ligurischen Meeres, so würde es sich wahrscheinlich gerne auf die Dauer mit dem Sitze in einer Gastloge neben Monaco zufrieden geben, unbeteiligter Zuschauer in einem Lichtspieltheater, auf dessen Leinwand sehr erstaunliche und weniger erbauliche Dinge sich begeben. Doch es ist nicht so. Österreich ist nicht Monaco und es sollte selbst in dieser vergeßlichen und der Lehre der Geschichte so unzugänglichen Welt nicht der Erinnerung bedürfen, daß sich an dem .österreichischen auch Schicksale der anderen entscheiden. Nicht nur auf diese Stellung begründet sich der Anspruch Österreichs, auf der diesmaligen Tagung der UNO auch die Aufnahme in den Ring der Vereinten Nationen zu erhalten, sondern mit ebensoviel Fug auf den Beitrag, den unsejj Staat in diesen stürmischen Nachkriegsjahren als eines der wenigen gegen innere Krisen behüteten Länder mit einer soliden, dem Frieden dienlichen Ordnung für Europa leistete. Keine staatsrechtliche Tartüfferie ist imstande, eine Legitimation für einen Ausschluß Österreichs aus der Gemeinschaft vor- zutäuschen, in deren Handlungen es um den Frieden und vielleicht um das Letzte aller Völker geht.

Der tschechische Außenminister wandte sich jüngst vor dem Plenum des Völkerbundes gegen die Kennzeichnung der bestehenden gefährlichen Gegensätze mit der Formel Öst-West; nicht entlang einer geographischen Trennungslinie verlaufe die Scheidung, sondern längs der Grenze, welche die wahrhaft friedliebenden Völker von jenen trennt, die „imperialistisch-egoistische Ziele“ verfolgen. Ist es so, dann gehört das österreichische Volk unzweideutig zur ersten Gruppe. Aber gibt es überhaupt ein Volk nicht eine Koterie, eine Interessengruppe gibt es irgendwo ein Volk, das den Frieden nicht wollte, nicht mit allen Kräften, die ihm frei verfügbar sind, den Frieden erstrebte? Vielleicht gibt es in der öffentlichen Meinung verschiedene Wärmegrade der Zuversicht für die Erhaltung des Friedens, nirgends aber kann man heute davon reden, daß sich darin ein geminderter ernster Wille zum Frieden, ein verblassendes Verantwortungsbewußtsein des Volkes oder ein blindes Hineintreibenlassen in ein unabwendbares Schicksal äußere. Derjenige würde ein Verbrechen gegen die Wahrheit begehen, der das amerikanische oder das russische Volk des Willens zum Kriege beschuldigen wollte, weil Staatsmänner oder militärische Führer die Formen alter disziplinierter Diplomatie verlassen, schon seit Wochen miteinander Fraktur reden und anstatt schweigend auf dem Schachbrett unter dem brausenden Getöse ungeheurer Fliegergeschwader oder mit polizeilichen Rankünen gegeneinander spielen. Man kann nicht sagen: Auch frühere Kriege wurden nie von den Völkern gewollt. Das trifft nicht für die großen Verteidigungskriege zt , und nicht einmal für alle Angriffs kriege, man braucht nur an die Balkankriege dieses Jahrhunderts zu denken, Emanationen eines geschlossenen nationalen Willens. Aber von allen den Triebkräften der Selbsterhaltung, des Freiheitsstrebens und der aufgestachelten Leidenschaften ist in der Gegenwart keine wirksam. Denn die Menschheit hat zwei Kriege knapp hinter sich. Alle Erdteile haben ihre Schrecken verspürt. Es gibt keine kriegerische Romantik mehr, die uns als Knaben große Schlachten mit Bleisoldaten dirigieren ließ. Mögen UNO und ihr Sicherheitsrat noch so problematische Institutionen geworden sein, eine UNO gibt es, die unzweifelhaft echt ist, die Vereinigung aller Völker in dem Willen nach Frieden. Ansonst wäre es nach allem schon Geschehenen bereits zum Zusammenstöße gekommen, und aus demselben Grunde werden jene, die wirkliche Staatsmänner sind, im Bewußtsein des unermeßlichen Preises, um den es geht, auch weiterhin für den Frieden kämpfen.

Man spricht von Kriegshetzern. Aus der wuchtigen Rede vor dem politischen Ausschuß der Vereinten Nationen, mit der als Einleitung zu der Pariser Tagung der Delegierte Wyschinski zu seinem alten Berufe als öffentlicher Ankläger zurückkehrte, blitzten Florettstiche gegen eine Reihe Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der USA, die bezichtigt wurden, daß sie zum Kriege treiben. Es ist schwer, das Gewicht dieser Anschuldigungen abzuwägen. Aber nicht schwer ist es, Herrn Wyschinski auf jene düsteren Asphodelos- wiesen zu führen, auf denen die wirkliche lebensgefährliche Kriegstreiberei gedeiht: das sind jene immer größer werdenden Räume, in denen Menschenmassen den Glauben an Recht, Ordnung und vernünftige Lebensform verloren haben und, an ihrer und ihres Landes Zukunft verzweifelnd, im Frieden keine Chance und in einem Krieg noch die letzte Aussicht sehen, in der sie vielleicht etwas zu gewinnen, aber nichts mehr zu verlieren haben. Aus diesen geistigen Revieren und ihren zunehmenden Emigrationen verbreiten sich jene Stimmungen, die aus dem interessierten Unglauben an den Frieden einem Kriege Vorarbeiten. Das Partisanen- tum des letzten Krieges ist das Modell viel größerer Bewegungen, die, in verschiedenen Ländern sich verratend, nur auf die Gelegenheit des Losschlagens warten. Solange in dem heftigen Hin und Her der internationalen Auseinandersetzungen die Drohung an das Gegenüber als Argument dient, und schrille Polemiken das Ziel der Konferenzen und zwischenstaatlichen Verhandlungen verfehlen, werden diese Untergrundströmungen wachsen und sich vorbereiten. Eine staatsmännische Politik, die den Frieden will, wird zum Maßhalten zurückkehren müssen.

Wird von Kriegshetzern gesprochen, so darf man ihre gefährlichste Spezies nicht vergessen, die nur zu oft in kritischen Zeiten aufgetaucht ist: Menschen in Führerstellungen, die innere Schwierigkeiten und hoffnungslos verfahrene Lagen der äußeren Politik nur noch im Getümmel kriegerischer Umwälzungen meistern zu können hoffen, und deshalb sich in Abenteuer stürzen, deren Ende sie weniger fürchten als die Schwierigkeiten friedlicher Lösungen, um die sie sich ohne Rechthaberei und Hochmut und mit nüchternem Wirklichkeitssinn bemühen müßten.

Gibt es diese gefährliche Spezies, unter denen, die gegenwärtig die Pandor'abüchse in Händen haben, aus der alle Schredcen und Heimsuchungen sich über die ganze Welt ergießen, sobald ihr Deckel gehoben wird? Ernsthaft und ohne Schöntuerei gesprochen: Man kann und darf es nicht glauben, solange nicht das Gegenteil erwiesen und dargetan ist, daß der einmütige Friedenswille aller Völker nichts gilt, sondern nur das agnis einiger’ weniger, die alles, aber auch alles auf eine Karte setzen.

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