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Friede und Wahrheit

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Angesichts der offenkundigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den großen Mächten, der zahlreichen Schwierigkeiten, die sich im Schöße der Außenministerkonferenzen ergaben, des Schneckenganges der Pariser Konferenz der 21 Nationen und der tiefgehenden Skepsis, mit der die Weltöffentlichkeit diese Anfänge einer allgemeinen Friedensorganisation verfolgt, war es für den Präsidenten Truman gewiß nicht leicht, in seiner Begrüßungsansprache an die Generalversammlung der Vereinten Nationen Offenheit mit Zuversicht und praktischen Gegenwartssinn mit einem warmen Bekenntnis zu ideologischen Prinzipien zu binden. Dieser schweren Aufgabe entledigte sich der Präsident mit einer geradezu ciceronianischen Redekunst, so daß Molotow, der sich auf das diplomatische Handwerk versteht, sobald Truman geschlossen hatte, ihn gleich auf das lebhafteste zu einer solchen politisch-oratorischen Meisterleistung beglückwünschte. In der Tat hat der Präsident alles angeführt, was sich zugunsten eines weltweiten Vertrauens in die Arbeiten der Vereinten Nationen unter den gegebenen Verhältnissen sagen ließ, ohne dabei von dem soliden Standpunkt eines Treuhänders mächtiger nationaler Interessen um einen Schritt abzuweichen, und zugleich nichts verschwiegen, was, wenn es unausgesprochen geblieben wäre, von den Ansagern eines dritten Krieges als Verschleierung der bestehenden Gegensätze hätte gedeutet werden können, wobei er jedoch diese Gegensätze in einem durchaus natürlichen Lichte erscheinen ließ, das sie jedes gefährlichen Charakters entkleidete. Der Rede kam ein gut gewählter Ausgangspunkt zustatten, der darin bestand, daß Truman vorweg einen Trennungsstrich zwischen den Aufgaben der Vereinten Nationen und jenen der staatlichen Diplomatien zog, die in den Besprechungen der 'Außenminister der Großen Vier und in der Pariser Konferenz der 21 Nationen vertreten sind. Diese hätten die Probleme zu regeln, die sich unmittelbar aus dem Kriege ergeben, also den Kriegszustand zu liquidieren und wieder Zustände zu schaffen, die als Frieden bezeichnet werden könnten; die Aufgabe der Vereinten Nationen sei es dagegen, die Mittel zu finden, die geeignet wären, den wiederhergestellten Frieden zu einem dauernden Zustand zu machen. Dem großen, einer ferneren Zukunft dienenden Organisationswerk der Vereinten Nationen müsse die Ordnung der aus dem Kriege resultierenden Gegenwartsprobleme vorangehen.

Diese Unterscheidung setzte den Redner in die Lage, das meiste von dem, was die “Welt bisher als ungünstige Eindrücke zu registrieren hatte, in den Bereich diplomatischer Verhandlungsschwierigkeiten zu verweisen, die nach einem so langen weltumspannenden Kriege selbstverständlich wären, die Erwartungen hingegen, welche die Menschheit den Vereinten Nationen entgegenbringen möchte, neuen internationalen Einrichtungen vorzubehalten, deren Schaffung Zeit und Geduld erfordere. Diese Darstellung wurde mit Würde und ohne Schönfärberei vorgebracht.

Im Mittelpunkt der Rede Trumans stand das rückhaltlose Bekenntnis der Vereinigten Staaten zum neuen Völkerbund. Es sind diese Sätze: „Nach dem ersten Weltkrieg lehnten es die Vereinigten Staaten ab, dem Völkerbund beizutreten, und auf der Sitzung der Völkerbundversammlung blieb unser Sitz leer. Diesmal aber sind die Vereinigten Staaten nicht nur ein Mitglied, sondern auch der Gastgeber der Vereinten Nationen. . . . Die Konferenz der Generalversammlung ist ein Symbol für das Ende der amerikanischen Isolationspolitik. Die überwältigende Mehrheit des amerikanischen Volkes unterstützt ohne Rücksicht auf seine Parteizugehörigkeit die Vereinten Nationen.“ Hierin und in der großen Rolle, welche die Sowjetunion nunmehr in dem neuen Weltparlament zu spielen berufen ist. zeigt sich die weite

Veränderung in der Struktur der Welt seit 1919.

Wir Europäer bedauern es, daß als Sitz des Generalsekretariates der Vereinten Nationen nicht eine europäische Stadt bestimmt wurde. Mit der Wahl eines europäischen Sitzes wäre, so hätte man meinen sollen, der Tatsache Rechnung getragen worden, daß die Neuordnung Europas — trotz der Einbuße, die das politische Gewicht dieses Kontinents inzwischen erfahren hat — noch immer die vordringlichste Aufgabe des neuerstandenen Völkerbundes auch nach den diplomatischen Friedensschlüssen sein wird. Zudem haben die Argumente, die nach dem ersten Weltkrieg für einen kleinen neutralen Staat als Gastland der Liga sprachen, heute kaum an Geltung verloren, wenn nicht gewonnen. Eine vor einiger Zeit aufgetauchte Meldung, daß die russische Regierung für eine Rückkehr nach Genf eintrete, ist ohne Bestätigung geblieben, und es scheint, daß sich auch in Moskau die Auffassung durchgesetzt hat, die das dauernde Interesse der Vereinigten Staaten an der neuen Weltinstitution am besten durch ein amerikanisches Standquartier ihrer Büros garantiert sieht

Gegen Ende seiner Begrüßungsansprache sagte der Präsident: „Die Geschichte hat uns zu einer der mächtigsten Nationen der Erde gemacht. Sie hat uns daher eine besondere Verpflichtung auferlegt, unsere Macht zu erhalten und sie in der heutigen

Welt richtig zur Anwendung zu bringen. Das amerikanisdie Volk ist sich dieser besonderen Verpflichtung bewußt. Wir werden unsere besten Kräfte in den Dienst ihrer Erfüllung stellen.“ Legt man in die Waagschale dieser Erklärung: die ungeheure Rüstung der Vereinigten Staaten, die gewaltigste, über die jemals ein Staat dieser Erde verfügt hat, die entschiedene Absage Trumans an jede künftige Isolationspolitik unter Berufung auf die Übereinstimmung beider Parteien und die Einrichtung des Generalsekretariates der Vereinten Nationen in Flushing Meadows — dann drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß der Fall eintreten könnte, der die Regierung der Vereinigten Staaten veranlassen würde, die Verteidigung der Prinzipien zu übernehmen, die der Charta der Vereinten Nationen zugrunde liegen.

Was diese Prinzipien betrifft, sagte Truman, daß das Streben nach einem dauerhaften Frieden auf den vier Freiheiten beruhe, der Redefreiheit, der Religionsfreiheit, der Freiheit von Not und der Freiheit von Furcht. Die Satzung des früheren Völkerbundes ging von dem Gedanken aus, daß der Friede auf der allgemeinen Abrüstung beruhe. Vom praktischen Standpunkt liegt es näher, die Mittel des Krieges abzuschaffen, dem Theoretiker mag es richtiger erscheinen, die Ursachen des Krieges zu beseitigen. Die Durchführung jener vier Freiheiten ist aber ein unendlich langer Prozeß, die Abrüstung wäre, wenn man sich darauf zu einigen vermöchte, dagegen ein kurzer. Die Sowjetunion, von der sich sagen läßt, daß sie die Politik des Nächstliegenden verfolgt, hat denn audi bereits in Flushing Meadows durch den Mund Molo-tows die allgemeine Herabsetzung der Fü-stungen beantragt. Außerdem das Verbot des Atomkrieges, nicht die internationale Kontrolle der Atomenergie, die Truman in seiner Rede als eine der wichtigsten Aufgaben der Vereinten Nationen bezeichnet hat. Die Überraschung, die der russische Vorschlag besonders in England hervorgerufen hat, muß verwundern, denn die Abrüstung war einst das Um und Auf der Genfer Liga britischer Patronanz. Allerdings bringt der Gegenstand eine unendliche Reihe von Enttäuschungen in Erinnerung. Aber die Skepsis, die der erste Völkerbund zurückgelassen hat, wird schwerlich dadurch zerstreut, daß man den dringlichsten internationalen Problemen ausweicht, die jener zwar ohne Erfolg, aber immerhin mit ansehnlichem Mut zu lösen versucht hat.

General Smuts hat in einer Rundfunkrede am 29. September mit dem aufgeschlossenen Geiste und dem Weitblick, die ihn auszeichnen, über das Thema einer Weltfriedensordnung gesprochen und dabei die Atmosphäre, in der heute die Vereinten Nationen ihre Arbeiten beginnen, dem Rausch von Illusionen gegenübergestellt, der 1919 die Eröffnung des Völkerbundes umgab. Der jedem Beurteiler zunächst in die Augen springende Fortschritt besteht in der Teilnahme der Vereinigten Staaten und Rußlands. Damals war die Universalität eine Fiktion, heute ist sie so gut wie eine Tatsache. Schon in den ersten Debatten des Genfer Völkerbundrates — die Konstruktion einer Vollversammlung und eines engeren Rates der Vereinten Nationen sowie die Unterscheidung zwisdien ständigen und auf Zeit gewählten Mitgliedern des Sicherheitsrates ist dem alten Völkerbunde nachgebildet — haben sich die britischen Vertreter energisch gegen den Begriff eines Superstaates verwahrt, während jetzt der südafrikanische Premierminister in der erwähnten Rundfunkansprache die Möglichkeit zugab, daß es im Laufe der weiteren Entwicklung der Vereinten Nationen zur Bildung einer Weltregierung kommen könnte, der sich die nationalen Regierungen unterordnen müßten. Dagegen ist festzustellen, daß die internationale Lage heute unendlich größere Gefahren in sich birgt als nach dem ersten Weltkrieg. Das Gefühl der allgemeinen Unsicherheit bestimmt die drei Weltmächte, in schwersten Rüstungen zu verharren, wogegen nach dem ersten Weltkrieg die Siegermächte ihren militärischen Apparat verhältnismäßig rasch auf Friedensstärke herabsetzten. Schließlich stand damals, 1919, der Glaube an die Wunderkraft des Völkerbundes noch in unbereifter Blüte, heute muß man jene, die an den nahen Anbruch eines Zeitalters der Gerechtigkeit und des ungetrübten Friedens glauben, mit der Laterne suchen.

Dennoch hat die Rede Trumans an Elan nichts vermissen lassen, aber dieser Elan richtete sich nicht an die innere Bereitschaft der Menschen, sidi dem Vorwärtsdrängen der Dämonen entgegenzuwerfen, sondern bezog seine Berechtigung von einer Reihe hödist realer Einrichtungen des neuen Völkerbundes, von der künftigen Wirksamkeit des Wirtsdiafts- und Sozialrates, seiner Ausschüsse und Sonderorganisationen auf den verschiedensten Gebieten, so denen des Erziehungs-, Ernährungs-, Währungs-, Kredits- und Gesundheitswesens. Truman appellierte nicht, wie die Staatsmänner, die vor 27 Jahren die Grundsteine zur Genfer Liga legten, an einen neuen Geist, der die Mensdiheit von den ererbten Begriffen der Gewalt, des Herrsdiaftsredites und der wirtschaftlichen Übermacht endlidi befreien und ein Reidi der Gerechtigkeit, des gegenseitigen Vertrauens und eines tätigen Christentums sdiaffen würde, sondern er verwies die Völker auf eine bestimmte Anzahl vorbereiteter Wege, auf denen man voraussichtlich bei gutem Willen aller schrittweise aus den Wirnissen der Gegenwart in ei'“e bessere Zukunft und e:ne Welt größerer S““l erheit zu gela'neen alle Aussicht hätte. Und Immer wieder sicherte er dabei die vorbehaltlose Unterstützung der Vereinigten Staaten zu,

JSe entschlossen wären, „geduldig und mit allen Mitteln, die sich mit ihrer Selbstachtung und Sicherheit vereinbaren lassen, für den Frieden zu arbeiten“.

So hat Präsident Truman über die Aufgaben der Vereinten Nationen mit der Beredsamkeit eines Cicero und über die Politik seines Landes mit nüchterner Offenheit gesprochen, und viele werden ihm Dank wissen wie einem vorsichtigen und gewissenhaften Arzte. Aber das Wort, das die Geltung der Wahrheit besitzt und den einzigen Weg zeigt, auf dem es für die Menschheit noch Rettung und neuen Aufstieg gibt, hat einige Wochen vorher aus seiner Altersweisheit heraus General Smuts gesprochen, der alle Wandlungen eines halben Jahrhunderts als Soldat und Staatsmann mitgemacht hat: „A peaceful world - Order could only be safelv based on a new sprit.“ „Eine friedvolle Welt kann sicher nur auf einem neuen Geist begründet werden.“ Die Wahrheit ist, daß es zweierlei Politik gibt: sein Pulver im trockenen halten oder sein Pulver in den Fluß werfen, damit min eines Tages nicht zur Verantwortung gezogen werde. Die eine Politik trägt den Namen Byrnes, die andere den Namen Wallace. Die Wahrheit ist, daß eine gequälte, angsterfüllte Menschheit seit achtzehn Monaten auf eine neue Botschaft wartet und daß der kleine Vorbehalt von der „Sicherheit“ und der „Selbstachtung“ der eigenen Nation zu den ältesten Formeln einer Politik gehört, die schon unendliches Elend über die Erde gebracht hat. Die Wahrheit ist, daß die Furcht vor einem neuen Kriege an den Seelen der Völker zehrt, den Haushalt der Staaten und Familien zerrüttet, Habgier und Gewalttätigkeit ms Unkraut schießen läßt und die Landstraßen mit hungernden Flüchtlingen erfüllt, und daß um den Preis der Schätze dieser Erde Rüstungen bereitgehalten werden, wie sie die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat und in fieberhafter Hast nach Vernichtungswaffen unvorstellbaren Grauens geforscht wird. Die Wahrheit ist, daß es nur der Einigkeitund des Entschlusses weniger Mächtigerbedürfte, damit die apokalyptischen Rüstungen der großen Reiche niedergerissen und aller menschlicher Verstand und Fleiß, alle Arbeitskraft der Völker, alles Gold und aller Reichtum des Bodens auf friedliche Werke verwendet werden, und daß von einer Bereitschaft zu dieser Umkehr bis zur Stunde kein Hauch zu verspüren ist.

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