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Der Genfer Völkerbund

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Die Satzung des Genfer Völkerbundes trat nach dem ersten Weltkrieg zugleich mit den Friedensverträgen am 10. Jänner 1920 ins Leben. Sie war hauptsächlich das Werk Th. Woodrow Wilsons, der eine Jahrtausende alte Idee — vor 6000 Jahren gingen mesopotamische Stadtstaaten daran, einen Völkerbund zu gründen — erneuerte, um in Zukunft Kriege unmöglich zu machen. Wilson selbst war zwar kein absoluter Kriegsgegner, denn er trat 1917 in den ersten Weltkrieg ein und rechtfertigte seine Kriegsbejahung in Versailles .1919 mit den Worten: „Die Tatsache, daß die Grundsätze des Rechtes und der Gerechtigkeit, die zuerst Lloyd George und dann ich vorgelegt haben, als eine tief-

gründ ge Auslegung des Krieges betrachtet worden sind, veranlaßte andere Völker, dem Kriege beizutreten.“ Wilson schwebte aber ein allerletzter Krieg vor, der mit dem Kriege den Krieg ausrottet und,dann sollten nur mehr arbitrage-securite-desarmement den Frieden aufrechterhalten.

Der Genfer Völkerbund oblag seinen Aufgaben, brs er mit Rücksicht auf die Weltlage 1939 vertagt werden mußt. Arn 8. April 1946 trat er zur letzten — 21„ — Vollversammlung zusammen und am 18. April hat er bekanntlich mit allen Stimmen von 34 anwesenden Staatenvertretern seine Auflösung und den Übergang seines Rea'bjsitzes und seiner Privilegien an die UNO beschlossen. Der Völkerbund

gehört somit der Geschichte an, Es ist der Zeitpunkt gekommen„ die Bilanz seiner Tätigkeit zu ziehen.

Es Vir ein Verhängnis, daß -der Völkerbund von Haus aus ein Rumpfparlament der Staaten blieb, denn, der Kongreß der USA lehnte die Völkerbundsatzung ab, die UdSSR, trat erst 1934 bei, Japan und Italien trat 1933, beziehungsweise 1935 aus, Deutschland war nur 1926 bis. 1933 Mitglied, auch Brasilien trat dauernd und Spanien vorübergehend aus 1920 zählte der Völkerbund 31 Mitglieder, im: Jahre 1936 waren es zwar schon 58 — trotzdem blieb er unvollständig, weil gerade die Großmächte nie vollzählig vertreten waren. Diesem Hauptmängel gesellten sich noch andere Mängel zu: die Satzung zielte auf die Erhaltung des Status quo 192C und ließ schon in Hinblick auf ihre formelle Verquickung mit den Friedensverträgen eine zweckmäßige Abänderung mancher bestehender Starrheiten nicht sobald erwarten; alle Verfahren waren sehr zeitraubend und schwerfällig, während Konflikte doch eine rasche und schlagartige Beilegung verlangen; der Bund hatte weder eine Exekutivgewalt noch eine allgemein verbindliche Schiedsgerichtsbarkeit und ließ seinen Mitgliedern eine zu weitgehende Eigenwilligkeit; ohne über genügende Macht jeder Art zu verfügen, wagte sich der Völkerbund an die schwierigsten Probleme heran.

Sieht man von den wenig zahlreichen Erfolgen' in bedeutungsloseren Einzelfällen (zum Beispiel albanisch-jügoslawiscHer Streit 1921 oder Saarabstimmung 1935).ab, muß man sagen, daß die Völkerbundtät.igkeft in den großen Entscheidungsfragen eine ununterbrochene' Reihe von Niederlagen bedeutete: Ein ganzes Dutzend von Kriegen — darunter zwei. Weltkriege — wurden während seines Bestandes geführt; der Versuch eines S an ktionskrieges scheiterte im* Falle Italiens 1935/36 und . versetzte dem' Völkerbund 1 einen vernichtenden Schlag; alle Bemühungen um die Abrüstung verliefen 1925 bis 1934 vollkommen ergebnislos; das Streben nach Ausschaltung de? Krieges führte nur dazu, daß der „Verteidigungskrieg“ — also doch der Krieg — erst recht, und zwar ausdrücklich und international anerkannt und zugelassen wurde; die Weltwirtschaf tskon-f e r e n z und die Verhandlungen über die Minderheitenfragen -zeitigten- keine Ergebnisse.

Es n-iuß auffallen, daß gerade die Hauptaufgabe des Völkerbundes die, Kriegsver-hinderung, -. ungelöst blieb. , Weder der Artikel 8 der Satzung, der sich zur allgemeinen Abrüstung „auf das Mindestmaß“ bekannte, noch der Kriegsächtungspakt K 111 o g g s vom Jahre 1928, der den Krieg „als Werkzeug nationaler Politik““ ausschloß, noch lie Londoner Konvention vetm Jahre 1933 über die Definition des Angreifers vermochten die Staaten davon abzuhalten, immer wieder zu den Waffen zu greifen, sei es Japan gegen China, Italien gegen Abessinien; Paraguay gegen Bolivien, Spanien oder noch anderswo. Diese Tatsache allein mußte genügen, um mit der Zeit das Vertrauen zu Genf zu untergraben und den Glauben an die Möglichkeit eines dauernden Friedens immer mehr und mehr zu schwächen. ;

Der Völkerbund hat jedoch auch seine Haben-Seite. Genf bildete viele Jahre hindurch den internationalen Treffpunkt der Weltpolitik und entwickelte im Zuge, seiner zahllosen Konferenzen eine: brauchbare Form der .Verhandlungstechnik für gemeinsame Erörterungen- von Weltfragen. Der Völkerbund war der erste durchgearbeitete Organisationsversuch für .ein Völkerparlament und hat in dieser Beziehung Richtunggebendes geleistet. Auf manchen nicht ausgesprochen politischen Gebieten, wie in Handel und Verkehr, im Gesundheitswesen und in der Sozialpolitik* im Wirtschaftlichen und im Finanziellen, in der Staatenstatistik ' wurde' Grundlegendes geschaffen, ' Man wird in Österreich nicht vergessen, daß es der Völkerbund war, bei dem Bundeskanzler Dr. •Seipel. im Jahre 1922, als Österreich vor der Katastrophe stand, Verständnis und rettende Hi-fe durch die Milliardenan|eihe des Völkerbundes

fand.

Viele Versuche freilich versandeten und es blieben von ihnen bloß die' gedruckten Bericht übrig. , Diese werden immerhin jedem, der von neuem die Lösung bisher gescheiterter Probleme in Angriff nimmt, zeigen, wie man es ein zweitesmal , nicht mehr machen, darf. . -. „ ' •

So ist also der Genfer Volkerbund nach rund einem Vierteljahrhundert seines Bestandes aus dem Index der Zeitpolitik gestrichen. Allzuleicht ist man geneigt, ihm eine schlechte Nachrede zu widmen. Wir stehen am Ausgange eines dreißigjährigen schweren Krieges — denn von 1914 bis 1945 donnerten die Geschütze in allen Erdteilen ohne Unterlaß. Eine Epoche der größten Kriegsintensität fiel sonderbarer Weise zusammen mit dem unbeirrten Bestreben des Völkerbundes, der Menschheit den endgültigen Frieden zu bescheren. Dieses Zusammenfallen ganz entgegengesetzter Tatsachen müßte ohne Zweifel eine Entmutigung im Gedanken an die Möglichkeit praktischer Kriegsverhütung und ein Mißtrauen in den Wert einer umfassenden Staatenorganisation nach sich ziehen. Nach dreißig Jahren Krieg und Bürgerkrieg in aller Welt, nach Jahrzehnten von Not und Entbehrung, von unermeßlichen Opfern aller Art, nach ebensolanger Zerreißung aller verbindenden Elemente zwischen den Einzelmenschen sogut wie zwischen den Staaten, nach grenzenloser Verarmung und allgemeinster Ver-

bitterung kann aber unmöglich der Frieden auf der ganzen Linie und über Nacht eintreten. Nur eine sehr steile und sehr hohe JTreppe führt zum dauernden Frieden und 'Rde Einzelstufe muß hart erkämpft werden. Die mit 24. Oktober 1945 Wirklichkeit gewordene Charta der Nationen löst jetzt die Völkerbundsatzung ab. Auch die Charta ist von einem Amerikaner, von C o r d e 11 H u 11, dem „Vater der Vereinten Nationen“, aus der Taufe gehoben — es ist zu hoffen, daß der zweite amerikanische Versuch mehr Erfolg bringen werde Wenn die Weltsicherheitsorganisation in verblüffend rascher Weise sich arbeitsfähig konstituieren konnte, so war dies aber nur möglich, weil sie durch den Genfer Völkerbund den Weg vorbereitet fand: ideell, organisatorisch und technisch. In einem infolge der bewegten letzten Jahre bisher noch wenig beachteten Buche von Oskar Bant „Der Krieg um Genf“ sagte der Verfasser 1936 angesichts des mühsamen Ringens de? Völkerbundes mit den Problemen des italienisch-abessi-nischen Krieges:~„A ber selbst wenn die Unzulänglichkeit der

Maschinerie Eunäehst aber die

Idee triumphieren sollte, die sie entstehen ließ — das Ergebnis wird nicht der Tod der Idee, sondern die Schaffung einer vollkommeneren Organisation s e i n.“

Diese vollkommenere Organisation steht als die UNO bereits vor der Welt und daß sie sich im Wesen als Fortsetzung des Genfer Völkerbundes darstellt, das bekräftigen auch die letzten Reden arr Auflösungstage des Völkerbundes.

In der Geschichte kommt es letzten Endes immer nur darauf an, aus erkannten Fehlern etwas zu lernen. Zieht man aus den Mißerfolgen des Genfer Völkerbundes, die richtigen Lehren — und diese liegen sonnenklar vor uns ausgebreitet —, dann wird dieser so übermäßig vom Mißgeschick verfolgte Völkerbund ungeachtet seiner vielen Schwächen und Mängel dennoch als eine der wichtigsten Stationen auf dem dornigen Pfade der Völkerversöhnung in unserer Erinnerung fortleben. So gesehen war der Völkerbund kein Fehlschlag.

So liegt aller wirklich weltgeschichtlichen Bedeutung immer ein religiöser Kern zugrunde, und immer müssen wir uns gegenwärtig halten, auch wo es nicht besonders ausgesprochen wird, daß dieses Element dabei das eigentlich Treibende und Entscheidende ist.

Oberst des Generalstabes Graf York (f Peking 1900, Weltgeschichte in Umrissen“)

Zum Lichte des Verstandes können wir immer gelangen, aber die Fülle des Herzens kann uns niemand

9eben- Goethe

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