6742649-1966_48_01.jpg
Digital In Arbeit

UNO und Völkerbund

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frage, ob die UNO die Rechtsnachfolgerin des einstigen „Völkerbundes“ sei, hat durch die „Kündigung“ des Mandates Südafrikas über Südwestafrika durch die UNO brennende Bedeutung gewonnen. Innerhalb der UNO wird sie natürlich stürmisch bejaht. Hält das aber sachlicher Prüfung stand?

Am 8. April 1946, nach Gründung der UNO, faßte die Vollversammlung des Völkerbundes, beschickt von 34 Staaten, den Beschluß, sich aufzulösen. In diesem Beschluß findet sich kein Wort von einer Übertragung von Rechten oder Funktionen an die UNO. Er wird nur damit begründet, daß die UNO „für Zwecke gleicher Art wie der Völkerbund“ gegründet wurde und daß alle Staaten ihr „unter den von ihrer Satzung vorgeschriebenen Bedingungen“ beitreten könnten. Treffen diese Voraussetzungen auf die UNO, nicht wie sie beabsichtigt war, sondern wie sie geworden ist, zu?

Überdies hat sich die UNO in ihrem Beschluß vom

12. Februar 1946 Vorbehalten, zu entscheiden, welche Funktionen des Völkerbundes sie übernehmen oder ablehnen werde.

Es trifft nicht zu, daß die Zwecke des Völkerbundes und der UNO die gleichen sind! Der Völkerbund hatte nach seiner Gründungsurkunde vom 14. Februar 1919 den Zweck:

„die internationale Zusammenarbeit zu fördern und den internationalen Frieden und die Sicherheit durch die Verpflichtung zu sichern, keinen Krieg zu führen; offene, gerechte und ehrenvolle Beziehungen zwischen den Staaten zu schaffen; das Verständnis des Völkerrechtes als die wirkliche Regelung der Beziehungen zwischen den Regierungen, und die Beobachtung einer gerechten und gewissenhaften Achtung aller Vertragsverpflichtungen in den Beziehungen organisierter Völker zu fördern.“

Das mag auf dem Papier den Zielen der UNO gleich sehen. Es gibt aber Gebiete, auf denen die Ziele des Völkerbundes und die der UNO diametral entgegengesetzt sind. Das ist vor allem das Kolonialwesen. Art. XIX der Völkerbundverfassung sanktioniert den Kolonialismus mit dem Grundsatz:

„Die Wohlfahrt und die Entwicklung (der Kolonialvölker) stellt eine heilige Verpflichtung der Zivilisation dar... Die beste Methode für die praktische Durchführung ist die Übertragung der Vormundschaft für solche Völker an die entwickelten Staaten.“ Für S. W. A. ist sogar hinzugefügt: „daß es als integrierender Bestandteil des Mandatstaates unter dessen Gesetzen verwaltet werde,

unter den erwähnten Sicherungen im Interesse der eingeborenen Bevölkerung.“

Das sind nicht „Zwecke gleicher Art“ wie die der UNO, die in unzähligen Entschließungen erklärt hat und es auch durchzuführen sucht, daß den eben erwähnten Völkern „sofortige, unbedingte Unabhängigkeit zu verleihen ist, auch wenn sie dazu weder wirtschaftlich noch kulturell reif sind“, und daß das, wie im Falle Rhodesiens, mit Gewalt durchzusetzen ist, die in der Völkerbundsatzung strenge verpönt ist.

Angefangen hat es mit der Entschließung vom 14. Dezember 1960:

„In den Mandats- und nicht selbstverwalteten Gebieten sind unverzüglich Schritte einzuleiten ... um den Völkern dieser Gebiete alle Macht ohne irgendwelche Bedingungen zu übertragen. Ungenügende Vorbereitung auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Bildungsgebiete dürfen keinen Vorwand für die Verzögerung der Unabhängigkeit bilden.“

Wer die meisten dieser Gebiete kennt, kann beurteilen, welche sinnlosen Gefahren in diesem Grundsatz stecken. Wer die UNO kennt, versteht, welch gefährlicher Sinn hinter ihm steckt. Der große Block der zurückgebliebenen Länder ruft nach Bundesgenossen, je mehr, desto besser! Je weniger sie für die Unabhängigkeit reif sind, desto besser! Um so leichter wird es sein, sie für bedenkliche Beschlüsse als Stimmgenossen zu gewinnen. Tatsächlich hat schon jetzt der Block der sogenannten „Entwicklungsländer“ mit dem Sowjetblock: zusammen die Mehrheit der Vollversammlung, die mit jedem weiteren „ungenügend vorbereiteten“ Mitglied wächst, und beherrscht durch das Veto seines Protektors, der UdSSR, auch den Sicherheitsrat, wie sich eben im syrisch-israelischen Konflikt gezeigt hat.

Nicht nur im Ziel und im Wesen, auch in den Methoden sind grundlegende Unterschiede zwischen UNO und Völkerbund festzustellen. Änderungen an einem Mandat konnten im Völkerbund nur im gegenseitigen Einverständnis erfolgen; die Mandatsmacht hatte ein Vetorecht. Art. 80 der UNO-Satzung verspricht zwar die Aufrechterhaltung der Mandartsbestimmungen, aber die UNO ist sichtlich entschlossen, diese — wie so viele Bestimmungen ihrer Satzung — zu mißachten, sonst gäbe es ja keinen Konflikt mit Südafrika.

Man mag sagen, daß die Zeiten sich seit 1919 und selbst seit 1946 geändert haben; man kann sogar über die Übereinstimmung der Resolutionen der UNO mit ihrer Satzung sehr verschiedener Meinung sein; man kann die Hauptursache des Niederganges der UNO in der Verletzung ihres Art. 4 suchen, der die Mitgliedschaft nur friedliebenden Staaten, welche die Satzung beobachten, gestattet; aber man kann mit keiner geistigen Akrobatik vertreten, daß die Zwecke des Völkerbundes und die der UNO, wie sie geworden ist, auf dem Gebiete des Mandatswesens die gleiohen seien.

Daher ist die UNO weder formell noch materiell ein Rechtsnachfolger des Völkerbundes. Sie kann also auch keine Rechte aus einer Rechtsnachfolge ableiten, die nicht besteht. Die „Kündigung des Mandates“ ist die Kündigung eines Hausherrn, dem das vermietete Haus, das überdies unter Mieterschutz steht, gar nicht gehört

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung