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Hambros Utopia

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Manche haben es beinahe als Wunder empfunden, daß der Vorsitz der Vollversammlung der UNO einer Persönlichkeit wie dem norwegischen Professor Hambro anvertraut wurde. Er hat schon bei der Gründung der UNO in San Franzisko mitgewirkt und deren Entwicklung seither ständig beobachten können. Dennoch hat nichts seine unvermeidliche Enttäuschung widergespiegelt, als er seit seinem Amtsantritt mehr Optimismus zum Ausdruck brachte, als der derzeitige Zustand der UNO rechtfertigt.

Auf die Frage eines Korrespondenten bei einer Pressekonferenz, ob er von der Vollversammlung „konstruktive Schritte für eine internationale Zusammenarbeit gegen Flugzeugentführer“ erwarte,

äußerte er sich wohl — ebenso wie es U Thant getan hat — sehr nachdrücklich gegen diese Art „internationaler Piraterie und gegen die Gefangennahme von Geiseln als einer schweren Verletzung von Menschenrechten“, deren Bekämpfung ungemein wichtig sei. Als er aber ergänzend gefragt wurde, „ob er nicht befürchte, daß gewisse Mitglieder, unter dem Schirm eines ständigen Mitgliedes, diese Erörterungen sabotieren würden“, antwortete er ein bißchen naiv: „Ich verstehe diese Frage nicht ganz. Kein Land, klein oder groß, kann die Vollversammlung an der Erörterung einer wichtigen Frage hindern. Es gibt kein Veto in der Vollversammlung, weder bei der Aufnahme eines Gegenstandes in die Tagesordnung noch bei deren Erörterung.“

Das ist theoretisch richtig, praktisch aber unzutreffend. Offenbar sieht das Getriebe der UNO von oben anders aus als von unten. Hambro hat wohl noch nie die Stimmenbörse gesehen, die sich im Delegiertensalon und den Nebenräumen der UNO entfaltet, oft wichtiger als die offiziellen Sitzungen, diese oft um Stunden verzögernd. Er weiß nichts davon, wie schon jetzt an die hundert Emissäre der arabischen Länder einzeln und in Gruppen vor allem die zahlreichen Vertreter der afrikanischen Länder bearbeiten, ihnen Stimmentausch für oft recht UNO-widrige Anliegen versprechen, wenn sie nur in allen nah-östlichen Fragen blind mit ihnen stimmen. Dazu gehört auch, den Mantel solidarischer Nächstenliebe über das Verbrechen der Luftpiraterie zu breiten. Hambro weiß also auch nichts von den Anstrengungen, die Romulo namens der Philippinen machen muß, um einen Block der pazifischen Staaten Japan, Taiwan,

Malaysia, Thailand, Australien und Neuseeland ZTisarnmenzuhringen, welcher den arabischen Anstrengungen entgegenwirken soll. Schließlich spricht sich Hambro, wie üblich, für unbedingte Entkolonialisierung, ohne deren typisch nachteilige Folgen für diskriminierte Minderheiten aller Farben auch nur zu streifen, und für absolute Universalität der UNO aus, die alle Staaten einschließlich Rotchinas umfassen sollte. Auf die Frage, ob sich das auch auf Staaten beziehe, welche die Bestimmungen des Artikel 4 nicht erfüllen, meint er: „Es ist offenbar, daß eine Nation, die von vornherein erklärt: ,Ich bin nicht friedliebend, ich will nicht die Verpflichtungen der Satzung auf mich nehmen', sich nicht um die Aufnahme bewerben wird und nicht aufgenommen werden wird.“

Das aber kommt der Heuchelei nahe. Der neue UNO-Vorsitzende müßte wissen, daß mindestens ein Viertel der Mitglieder und eine Mehrheit der Bewerber nicht „friedliebend“ sind und die Bestimmungen der Satzung ständig verletzen, wenn sie das auch bei der Aufnahme heuchlerisch verleugnen und wenn auch die UNO beide Augen zudrückt. Nicht die Erfüllung des Artikel 4, sondern ein Kuhhandel im Sicherheitsrat bestimmt die Aufnahmen. Durch papierene Erklärungen — Rotchina hat übrigens eine solche ausdrücklich abgelehnt — darf man sich nicht über das Wesen und den Willen eines Staates irreführen lassen.

So nützt es nicht, den Mantel des Optimismus über die schwärenden Wunden der UNO zu breiten. Das befleckt nur den Mantel, ohne die Wunden zu heilen.

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