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Zweierlei Maß bei der UNO

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Beobachtern der Vorgänge bei der UNO fällt es auf, wenn die grundsätzliche Gleichstellung aller Mitglieder verletzt wird. Gewiß hat es manchmal befremdliche Wirkungen, wenn die Stimme eines jungen Staates, wie Maldivien oder Gabon, der weniger Einwohner hat als irgendein Wiener Gemeindebezirk, oder eines Staates, in dem noch Leibeigenschaft herrscht, ebenso ins Gewicht fällt wie etwa die Schwedens oder Hollands mit alter Kultur und internationaler Schulung. An wichtigen Stellen wird diese Gleichstellung aber wieder durchlöchert. Es gibt bei der UNO Staaten zweiter Klasse, wie zum Beispiel Portugal, Südafrika, Israel, das Freie China. Bei Wahlen werden sie zurückgesetzt, ja ausgeschlossen, weil sie sich den Bannfluch einer einflußreichen Gruppe, wie des arabischen

Blocks, der Freunde Rotchinas, des afrikanischen Bundes, zugezogen haben. Indones'-en suchte die Wahl Malaysiens in den Sicherheitsrat mit der Drohung seines Austritts zu verhindern.

Wie werden diese Mitglieder einmal gegen diese Zurücksetzung reagieren? Als der Verfasser dem holländischen Außenminister während der Neuguinea-Krise die Frage vorlegte, was Holland eigentlich von seiner Mitgliedschaft bei der UNO gehabt hätte, erhielt er die kluge, aber ausweichende Antwort: „Es ist nicht die Frage, was wir von der UNO gehabt haben, sondern was die UNO von uns gehabt hat, und da glauben wir auf nicht unbeachtliche Beiträge hinweisen zu können.“

„Was hast du davon gehabt?“

Wie sich die Stimmung seit jener

Bemerkung gewandelt hat, geht aus einem kürzlichen Interview mit“ einem führenden Mitglied der portugiesischen Delegation, das selbst aus den Uberseegebieten stammt, hervor.

FRAGE: „Was hat Portugal bisher von seiner Mitgliedschaft bei der UNO gehabt?“

ANTWORT: „Nichts! Dabei hat Portugal die Mitgliedschaft gar nicht angestrebt, sondern wollte so wie die Schweiz draußen bleiben. Die USA und Großbritannien redeten uns aber zum Beitritt zu, um die Zahl der westlich orientierten Mitglieder zu stärken. Dadurch ließen wir uns zum Beitritt bewegen, der aber lange hinausgeschoben wurde, weil die UdSSR im Sicherheitsrat, der über die Aufnahmen zu entscheiden hat, ein Veto hatte und die gleichzeitige Aufnahme ihrer Schützlinge zur Bedingung machte. Unsere Aufnahme erfolgte daher erst 1956 mit der Mongolei und anderen Staaten. Und jetzt sind wir von der Haltung der USA und UK gegen uns recht befremdet.“

FRAGE: „Wie lange gedenkt Portugal noch in der UNO zu bleiben?“

ANTWORT: „Wir sind gewiß durch die Behandlung in den Organen der UNO peinlich berührt. So hat der Sicherheitsrat Behauptungen Senegals, die wir entschieden bestritten haben und deren Beweis wir verlangten, ohne jeden Beweis als erwiesen angenommen und seine Entscheidung darauf gestützt Im Falle Goa, der eine unbestreitbare Verletzung der Satzung durch Indien darstellte, hat er versagt. Portugal hat wohl erklärt, daß es nicht der erste Staat sein wolle, der die UNO verläßt, aber wenn wir weiter an die Wand gedrückt und ungerecht behandelt werden, kann es schon zu einer Revision unserer Entschließung kommen.“

FRAGE: „Gedenkt Portugal der Einladung zur Debatte über Rhodesien zu folgen?“

ANTWORT: „Nein! Sie wurde vom Antragsteller Jordan damit begründe, daß wir und Südafrika in der Vollversammlung gegen den Sanktionsbeschluß gegen Rhodesien gestimmt hätten. Dort haben wir aber unsere Abstimmung damit begründet, daß der Sicherheitsrat die Angelegenheit an sich gezogen habe, die dadurch nach Artikel 12 der Satzung der Vollversammlung entzogen ist. Diese Abstimmung durfte daher nicht zum Anlaß einer Einladung genommen werden, die wie die Ladung eines Angeklagten klang. Überdies ist es unser Bestreben, mit allen Nachbarn ohne Rücksicht auf die Farbe in gutem Einvernehmen zu leben. Das werden wir auch auf Rhodesien anwenden. Ein Streit zwischen London und Salisbury ist, solange die Unabhängigkeit Rhodesiens nicht anerkannt ist, eine interne Angelegenheit der UK, in die sich die UNO nach Artikel 2/7 nicht einmischen darf.“

Ungleiches Maß?

Ungleiches Maß? Wurde je einer Kolonie die Selbständigkeit verweigert, weil sie keine Garantien für Leben, Freiheit, Eigentum einer kleineren oder größeren Gruppe bot? Sind diese Güter so viel weniger wichtig als das gleiche Stimmrecht ohne Rücksicht auf die primitivsten Voraussetzungen für dessen Ausübung? Niemals wurde ein wirtschaftlicher Boykott verhängt oder nach militärischem Eingreifen gerufen, nicht, als in Indien und Pakistan ein paar Millionen ermordet und ein paar Dutzend Millionen verstümmelt, beraubt, aus seit Jahrhunderten bewohnten Heimen verjagt wurden; nicht, als in Sansibar tausende Araber massakriert wurden; nicht, als ein paar Staaten sich aus blindem Haß anschickten, das Antlitz der Erde durch Kastrierung der heiligsten Flüsse zu verstümmeln; nicht, als Ghana die ärgsten Gesetze des verfemten Südafrika einführte, Ägypten den Krieg gegen einen Mitgliedstaat vorbereitete. Aber gegen das kleine Rhodesien wird der Wirtschaftsboykott aller Länder um des gleichen Stimmrechts willen erklärt, nach dem militärischen Eingreifen Englands gerufen; man nennt dessen Regierung Rebellen, obwohl gerade dadurch der Konflikt seines internationalen Charakters entkleidet und nach Artikel 2/7 der UNO entzogen wird. Wenn aber USA und Belgien Weiße vor bestialischem Meuchelmord retten oder wenn die USA in San Domingo eigene Bürger und Einheimische vor Mord und Raub schützen, kreidet man das als Verletzung des Völkerrechts an.

Lehren aus der Geschichte

Die Hälfte der Mitglieder redet wochenlang darüber, wie wichtig die Aufnahme Rotchinas ist, und dann stimmen dieselben Mitglieder dafür, diese Aufnahme als eine unwichtige Angelegenheit zu erklären, damit, wie der französische Delegierte ganz zynisch erklärte, „Rotchina so leichter in die UNO gebracht würde“. Österreich und 19 andere Mitglieder wissen nicht, ob das eine wichtige Angelegenheit ist, und enthalten sich der Stimme, um es sich mit keiner der beiden Parteien zu verderben. Von den Staatsmännern der UNO stand eben noch keiner im Amt, als der New Statesman am 14. März 1934 den ins Rheinland einmarschierenden Hitler mit den Worten begrüßte: „Man darf nicht halsstarrig sein... Die Vernunft gebietet, Deutschland unter Bedingungen in den Völkerbund zurückzurufen, die dessen Ansprüche achten und es zu einem besseren Nachbarn machen.“ Die Lehren der Geschichte sind eben dazu da, vergessen oder mißachtet zu werden...

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