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Zurück nach Evian

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In der UNO wurde kürzlich eine Asylkonvention beschlossen, zwar einstimmig, aber mit der Mentalreservation gar vieler, zu vieler ihrer Mitglieder, sie nur dann anzuwenden, wenn es ihnen paßt. Das rufen zwei kürzlich erschiene Bücher zum Bewußtsein, eines die Kehrseite des anderen, die nicht nur an gerne Vergessenes erinnern, sondern auch die Gegenwart beleuchtet. Denn vom Kongreß von Evian 1938 bis zur UNO 1967 zieht sich eine Kette, die nicht zerrissen ist.

Das englische Buch David Porters „Die Verschwörung von Mitschuld und Gleichgültigkeit“ schildert den Kongreß von Evian vor 30 Jahren, in dem so viel geschah, daß das Gedächtnis gelitten hat. Damals handelte es sich darum, die zwei Millionen Mitteleuropas zu retten, die

Hitler damals noch nicht umbringen, sondern nur loswerden wollte, denen er sogar ihre Vermögen von 25 Milliarden Dollar in Raten nachzusenden versprach. Es war das beste Geschält, das die Länder von Kanada bis Chile, von England bis Neuseeland machen kannten und das sie voll Hartherzigkeit für menschliche Leiden und Unverstand für wirtschaftliche Werte verschmähten. Wenn die in Evian versammelten Regierungen je ein halbes Prozent ihrer Bevölkerungen an Flüchtlingen aufgenommen hätten — ohne Visa, ohne Leumundszeugnisse, ohne Geld, wie es die Sklavenkommissionen von 1890 und 1926 vorschrieben, die sie nämlich alle unterschrieben hatten —, so hätte es nicht den Gruppenmord der zentraleuropäischen Juden gegeben.

Schließlich handelt es sich um eine moral-hygienische Gefahr. Es kann leicht Vorkommen, daß man ahnungslos eine Hand drückt, die einem kleinen Kind vor den Augen der Mutter den Kopf an einem Baum zerschmettert hat; daß man freundlich in ein Auge blickt, das dabei lachend zugesehen hat

Im Auslande haben diese Männer so viele Helfer, kleine Schützer, hochgestellte Gönner, daß man sie nur durch Überraschung fassen kann. Dem ordentlichen Rechtsgang entschlüpfen sie wie einem brüchigen Netz. In dem einen Lande fühlt man zu menschlich, um sie nach Jahrzehnten büßen zu lassen, im anderen fühlt man zu unmenschlich, um sie für etwa büßen zu lassen, was man selbst gern täte — und wohl auch gelegentlich, am Beispiel gemessen nur stümperhaft, tut. Auf dieser Erde gibt es viel mehr Verzeihei und Freunde für Verbrecher als für deren Opfer.

Wie einst im Mal...

Vielleicht wird das einmal unserer Zeit als Schandmal angerechnet werden. Auch, von Menschen auf Staaten projiziert, der UNO. Mit welcher Gleichgültigkeit hat sie im Mai die ausdrückliche, eindringliche Absicht der bis zu den Zähnen gerüsteten 80 Millionen, die zwei Millionen umzubringen oder ins Meer zu treiben, hingenommen! Als die Meerenge gesperrt, die dünne Schutzlinie der UNO-Truppen weggejagt, 90.000 Krieger und 900 Tanks an die Südgrenze des kleinen Landes geschickt und aus der dreifachen Maginot- Linie an der Nordgrenze auf dessen Schulen und Äcker geschossen wurde, zwang das drohende Veto der UdSSR dem Sicherheitsrat Untätigkeit auf, „weil keine Kriegsgefahr bestehe“.

Als aber das Wunder gelang, den würgenden Ring zu zersprengen, dichtete der Sowjetdelegierte die Abwehr in Aggression um, obwohl Ägypten noch am 25. Mai verkündet hatte, daß die Sperre der Tirana- Durchfahrt „den Zweck habe, Israel zum Kampf zu zwingen. Denn ob es jetzt kämpft oder nicht kämpft, ist sein Untergang besiegelt“. Dennoch ging die Fälschung von Mund zu Mund der Delegierten, die nach der Satzung die Pflicht hätten, jedes Mitglied gegen „Gewalt und Gewaltdrohung“ zu schützen. „Kriegerische Eroberungen können nicht anerkannt werden", hallt es seit Juni in den Sälen und Gängen der UNO, aber niemand, auch nicht der Generalsekretär, hat Im Mai diesen Grundsatz den Arabern enthüllt, sie gewarnt, daß sie ihre Soldaten und die ihnen anvertrauten Waffen sparen könnten, denn wenn sie wirklich, wie sie verkündeten, in einer Woche vor oder in Tel Aviv und Haifa stünden, müßten sie ja doch nach diesem Grundsatz die eroberten Gebiet« wieder räumen.

Wer hätte gewagt, das von siegreichen Arabern zu verlangen oder gar durchzusetzen?

Es hat sich nicht viel in der Mentalität von Evian geändert, aber der Kreis der Evianisten hat sich vergrößert. Nur das Opfer halt sich geändert. Es besitzt, was als lästig empfunden wird, Kraft, Mut und Waffen.

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