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Dämmerung am East River

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Zwei neue Flecken, Goa und Ka-tanga, sind auf das nicht mehr gauz blanke Schild der Vereinten Nationen gespritzt worden. Ihre chemdsche Untersuchung wird einige unerkannte Bestandteile zutage fördern. Vorher sei aber ein Wort der Diagnose über die Krankheit, an der die UN noch mehr als der Völkerbund leiden, gestattet. Sie leiden am Krebs der Prinzipienlosigkeit und Unaufrichtigkeit oder, um es etwas rücksichtsvoller auszudrücken, wie es hier schon vor acht Jahren geschehen ist1), am doppelten Maß. Um dem Motto zu dienen: „Wo es einen Schwächeren gibt, immer auf der Seite des Stärkeren“, wurden die UN nicht ins Leben gerufen. Dafür hat schon Machiavelli bessere Rezepte geschrieben.

Es soll aber nicht vergessen werden, daß drei Blätter auf der Welt, dde „Neue Zürcher Zeitung“ in Zürich, die „Prensa“ in Buenos Aires und die „Furche“ in Wien2) schon vor Jahren die Krankheitssymptome aufgezeigt haben, als noch allgemein von den Flitterwochen der UN mit dem Friedensschutz geschwärmt wurde, obwohl die Anzeichen der Scheidung sich schon abzeichneten.

Eine neue Rassendiskrimination

Dank der Inflation durch eine Menge neuer kleiner Staaten und dem „doppelten Maß“ nach Anzahl der Anhänger, der Quantitätstheorie ohne Rücksicht auf dde Qualität der Ziele, hat sich bei den UN eine neue Rassendiskrimination entwickelt: gegen die Weißen. Was sie tun, ist zumindest verdächtig, außer wenn sie rot sind. Was ein farbiger Staat tut, ist recht, auch wenn seine Rechtfertigung noch so fadenscheinig ist.

Wer die Politik der neuen Führer Indiens nicht nach deren schönen Worten und Ratschlägen für andere, sondern nach deren Taten beurteilte, mußte schon lange an ihrer Friedensliebe zweifeln, die sie nur einseitig, gegen Stärkere, betätigten. Haidarabad wurde mit denselben Methoden ejj obert, die Hitler auf die Tschechoslowakei anwandte; Kaschmir wurde gegen den Willen seines Volkes, der plötzlich als unmaßgeblich bezeichnet wurde, wie eine Kolonie besetzt*); die Eroberung Goas wurde mit denselben Phrasen beschönigt, die Goebbels für die Besetzung Danzigs und Memels verwendete: Knechtung und Volksgenossen durch eine fremde Macht, Unruhen, Provokation. Heldenmut hat nicht gerade dazu gehört, die indische Armee, die stärkste im ganzen nichtroten Asien, gegen Goa statt gegen das einfallende Rotchina einzusetzen.

Hintergründe von Goa ...

Hinter der Eroberung Goas stand aber, wenig erkannt, mehr als der bloße imperialistische Wunsch nach Abrundung des Territoriums. Goa spielte in Indien, mit Abstand, eine ähnliche Rolle wie West-Berlin in Ostdeutschland. Nicht als Hafen für Flüchtlinge, aber als Schaukasten einer höheren Kultur. In Indien gab es zwei solcher Schaukästen: die Parsi im Nordwesten und das katholische Goa. Wohl war nur ein Drittel der Bevölkerung Goas katholisch, aber gerade der maßgebendste Teil, und das strahlte auf die anderen zwei Drittel aus. Auch in der Kultur kommt es nicht auf die Zahl, sondern auf die Intensität an. Der katholische Einfluß, vor allem im Unterricht und in der Gesundheitspflege, steht in Indien wie in den meisten farbigen Ländern, ganz außer Verhältnis zur Zahl. Obwohl Indien nur 2,3 Prozent Christen hat, ist ein ungleich größerer Prozentsatz seiner Gebildeten, gewiß mehr als ein Viertel, in christlichen, vornehmlich katholischen Schulen erzogen.

Dieser Einfluß ist den herrschenden Gruppen nicht gerade erwünscht. Sie würden viel lieber das Geld, das für die Missionsschulen aufgewendet wird, Für die Finanzierung nationaler Schulen bekommen. Es sei nicht in die

*) „Doppeltes Maß bei den UN“, „Furche“. 17. Jänner 1953.

*) „Eigene oder fremde Unterdrückung“, „Furche“. 2. August 1952.

3) „Asiens Elsaß-Lothringen“, 30. November 1957.

*) „Eroberung durch Erpressung“, 4. Jänner 1958; „Aus der Steinzeit ins Flugzeug“, 4. Juni 1960.

Untersuchung eingetreten, ob der Unterricht dadurch gehoben würde. Die politische Atmosphäre ist der Missionstätigkeit nicht gerade förderlich. Damit soll nicht gesagt sein, daß religiöse Intoleranz bei den Führern so ausgeprägt sei wie bei beträchtlichen Gruppen der indischen Völker. Bei der Vielfalt der Religionen, die sich in den Mantel des Hinduismus hüllen, ungleich verschiedener voneinander als Hussiten von Jesuiten, von der blutdürstigen Kali-Sekte bis zu den Jainas, die nur durch Tücher atmen, um nur ja kein Tierchen durch Einatmen zu töten, wäre Intoleranz oben schlecht am Platze. Man ist sogar zu tolerant gegen die neuen Religionen des Kommunismus und nationalistischen Sozialismus, deren fanatische Anhänger die alten Religionen auch in Indien, und nicht nur in Indien, immer mehr zurückdrängen.

... und Katanga

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4hoWcHw^Tidnngs-' ufid Kulturzentrum auszuschalten, war bei der Eroberung Goas gewiß nur sekundär maßgebend, vielleicht sogar weniger als das Augenmerk auf dessen Bodenschätze. Aber die religiösen und finanziellen Hintergründe des Überfalls sind nicht zu übersehen. Sie waren jedenfalls weniger ausschlaggebend als beim Kampf gegen Katanga, in den sich die Vereinten Nationen hineinmanövrieren ließen. Um ein Wort zu untermauern, das ich von Stevenson selbst über die Ignoranz, mit der die Katangafrage behandelt wird, hörte, sei darauf hingewiesen, daß Katanga immer als ein Bestandteil des Kongos behandelt wird, der sich vom Mutterland loslösen will. Selbst wenn dies so wäre, ließe sich dagegen nach den Theorien der UN nichts einwenden. Die sanktionieren selbstverständlich die Loslösung Irlands von England oder Syriens von Ägypten oder Malis von Senegal, obwohl die Unterschiede der Bevölkerung unendlich kleiner sind als die zwischen Katanga und den zehn anderen Nationen des Kongos.

Dagegen sei darauf hingewiesen, daß die Bildung des Kongos ein Privatunternehmen des Königs Leopold von Belgien war, der ein Territorium mit zehn ganz “verschiedenen Negernatio-nen und 200 Sprachen, das nie eine Einheit gebildet hatte, als seinen persönlichen Besitz vereinigte und erst später dem belgischen Staat abtrat. Als gegen Ende der achtziger Jahre Cecil Rhodes immer mehr nach Norden bis nach Nordrhodesien vordrang, das geographisch mit Katanga viel mehr zusammenhängt als der Kongo, wurde 1891 ein „Söldner“ — so nennt man das jetzt, damals hieß es „Forscher* — in der Person des Captains Stairns zu einer Expedition entsandt, die Katanga in Besitz nahm. Dessen heilige, untrennbare Verbindung mit dem Kongo ist also nur 70 Jahre alt und rein zufällig durch keinen natürlichen Zusammenhang bestimmt.

Allerdings ist Katanga reicher als der Kongo. Nicht durch das eigene Verdienst seiner Bevölkerung, das seine Bodenschätze nie hätte heben können, sondern durch die Pionierarbeit einer belgischen Gesellschaft, die neben ihrer industriellen Tätigkeit eine wertvolle und kostspielige Kulturarbeit leistete.

Dieses reichere Gebiet soll nun in den Kongo einbezogen werden, um die noch wenig gefärbte Regierung Leo-poldvilles und die rote Stanleyvilles zu finanzieren, und die Vereinten Nationen leihen diesem Ziel ihre Waffengewalt. Mit demselben Recht hätte Mussolini verlangen können, daß die reichere Schweiz in das damals arme Italien aufgehe; oder müßte Schweden mit seinen Erzgruben und seiner Industrie das ärmere Norwegen finanzieren oder Jugoslawien das Banat an das arme Albanien abtreten.

Diese Paradigmata sänd so ausführlich behandelt, um den Vorwurf der Prinzipienlosigkeit zu begründen, der nicht ohne Beweise erhoben werden darf. Er könnte durch manches Beispiel aus der Vergangenheit erhärtet werden und wird — diese traurige Prophezeiung sei trotz der Scheu, in die Zukunft zu blicken, gestattet — durch weitere Versuche verstärkt werden. Kuwait, Britisch-Honduras, Hol-ländisch-Neuguinea werden Schauplätze von Versuchen sein, die Lage mit der von der Satzung der UN so verpönten Waffengewalt zu korrigieren und sie von verschiedenen Mitgliedern durchlöchern zu lassen. Java, das schon die Kolonien Sumatra, Cele-bes, Ambonia mit Waffen einverleibt hat*), will eine weitere Kolonie erobern, zu deren Verwaltung es nicht die geringste Eignung besitzt; Kassem möchte die reiche Kolonie Kuwait ausbeuten, so wie es Ägypten mit Syrien versucht hat, und wie es Sowjetrußland mit seinen europäischen und asiatischen Satelliten, China mit Tibet und anderen südlichen Gebieten tut. Und alle Neokolonialisten werden sich gegenseitig Beifall klatschen und Ausreden liefern.

Prinzipienlosigkeit hat die Mauern am East River schon so weit unterwühlt, daß die primitivste Logik nichts mehr gilt. Nach der Satzung können „wichtige Angelegenheiten“ von der Generalversammlung nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Um diese Bestimmung zu umgehen und die Satzung zu fälschen, haben immerhin 34 Staaten dafür gestimmt — nicht, ob man Rotchina aufnehmen soll, sondern daß diese Aufnahme keine wichtige Angelegenheit sei —. um sie mit einfacher Mehrheit durchdrücken zu können. Darunter waren gerade jene Staaten, welche diese Aufnahme stets als so wichtig hinstellten. Österreich hat sich der Stimme enthalten und so bei dieser Komödie nicht mitgetan. Und als man der zahmen Warnung an Indonesien, den Selbstbestdmmungsantrag Hollands für Neuguinea nicht mit Waffen zu durchkreuzen, den selbstverständlichen Satz vorbauen sollte: „Die Endlösung einer Kolonialfrage ist, im Einklang mit der Satzung, auf dem Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker aufzubauen“, haben ihn 53 Staaten, die sonst diesen Grundsatz mit Überzeugung vertreten, zu Fall gebracht, um Indonesien nicht weh zu tun.

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