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„Glasperle“ Neuguinea

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Emen Gürtel von Smaragden hat Eduard Douwes D e k k e r, der als niederländischer Schriftsteller und einstiger Freiheitskämpfer für Indonesien unter dem Pseudonym Multatuli allgemein bekannt wurde, den Indischen Archipel genannt. Neuguinea war an diesem juwelenbestickten Gürtel nur ein unscheinbares Angebinde, eine ganz gewöhnliche Glasperle. So wenigstens schien es der holländischen Magd, die sich die glückliche Besitzerin der kostbaren Kleinodien nennen durfte. Bis ihr der vielbegehrte Schmuck eines Tages abhanden kam und sie nur die schlichte Glasperle noch in der Hand hielt. Da erst gewann sie Freude an dem lange mißachteten Ding. Ihr wurde angst, man könne ihr auch das Letzte noch entreißen. Und dagegen widersetzte sie sich mit aller Kraft. Denn sie möchte daraus noch einmal eine schöngeschliffene Perle machen.

Neuguinea, nach Grönland die zweitgrößte Insel der Erde und die größte Insel im Stillen Ozean zwischen Asien und Australien, zählt kaum zwei Millionen Einwohner, darunter einigst s-tausend „^feiße 4und Indor europäer. Nur der westliche Teil, auch'

g!sn^tc'^?“^eae'r^nlu^5^TJndien, die andere Hälfte bekam Australien bereits 1901 von England geschenkt; eine großherzige Geste des reichen Albion, die aber die geringe ökonomische Bedeutung der Insel klar hervorhebt. Trennte man sich doch damals von seinem wertvollen Kolonialbesitz womöglich noch schwereren Herzens als heute.

Als Indonesien 1949 seine Selbständigkeit errang, blieb Neuguinea einstweilen noch unter holländischer Verwaltung. Innerhalb eines Jahres, so wurde verabredet, sollten sich die Niederlande und Indonesien über den endgültigen Status der Inselhälfte einigen. Man konnte jedoch wieder einmal keine Übereinstimmung gewinnen, die Haager Konferenz zerschlug sich, und damit geriet die Angelegenheit auf die lange Bahn. Ein niederländischer Gouverneur und ein Neuguinearat, der sich teils aus Holländern, teils aus Papuas zusammensetzte, führte die Verwaltung provisorisch weiter; diese Regierung wurde aber von Indonesien nicht anerkannt. Und mit Reden und Diskutieren, unter Drohung und Waffenrasseln, vergingen die Jahre.

Als sich in unserem Jahrhundert der weiße Mann der vergessenen Insel erinnerte und sich die ersten größeren und mit modernen technischen Mitteln niicos-rflcfri>t<>n fvnAitir\nt>n auf At>n

Weg machten, die vielen unerschlos-senen Gebiete erstmalig zu betreten gewahrte man mit Staunen, daß hiei die Zeit stillgestanden war. Im Inneren dieses Landes lebten ganze Volksstämme noch in der Steinzeit, wohnten da und dort selbst in Baumwipfeln und nährten sich von Mäusen Ratten und Raupen. Wie in den erster kolonialen Tagen, stieß man auf Menschen, die für ein paar weiße Muscheln, ein Spiegelchen, eine bunt&#171; Glasperle oder einen Hosenknopf freudig ihre Dienste anboten und Schwere! leisteten. Und noch einmal trat die Versuchung an die Weißen heran. Mar reibt sich die Augen aus, wenn mar in der Reportage einer modernen Expedition Anno 1960 liest: „Für seine Arbeit im Lager erhält ein Erwachsen&#171; pro Tag zwei Schachteln Streichholz&#171; und nach einem Monat überdies noch eine kleine eiserne Axt als Draufgabe, Lohnsteuer gibt es im Busch nicht“, fügt der witzige Berichterstatter lakonisch hinzu. Wir wollen die Verpfle-gungs- und Nachschubschwierigkeiten und den oft zwingenden Geldmangel einer Expedition keineswegs unterschätzen, meinen aber trotzdem, daß man ein derartig taktloses Spiel mit der Naivität primitiver Völker um jeden Preis vermeiden sollte. Genauso hat es ja einmal angefangen. Was daraus wurde und wie es endete, hat die westliche Welt dann zu ihrem Schaden erfahren.

Gottlob gibt es auch Seiten im Buch der Geschichte von Neuguinea, die über das Zusammentreffen von weißen und braunen Menschen Erfreulicheres berichten. Wir denken in erster Linie an die Arbeit heldenhafter, uneigennütziger Missionäre, an Pater K a inner e r zum Beispiel, dann aber s-uch an einen Mann namens Victor 1 e B r u y n, den die Amerikaner im <rieg Jungle Pimpernel nannten. Als Controllor der Verwaltung wuchs er loch über sein Amt hinaus und wurde ler vertraute Kamerad der Papuas. Die :reundschaft, die ihn mit dem Häupt-ing Soalekigi verband, den der Resident von Ambon als Gentleman >ezeichnete, gilt als ideales Beispiel :iner wahren Herzbrüderschaft zwi-chen einem weißen und einem farbi-;en Mann im tiefsten Urwald, wie vir sie sonst nur aus der Missions-leschichte kennen. Im ungezwungenen /erkehr lernte er die Papuas kennen, wie sie wirklich sind: treuherzig, gastlich, hilfreich, heiter, zum Scherzen, Lachen, Singen und Tanzen zu jeder Zeit aufgelegt. Und die Kannibalen und Kopfjäger?, wird man fragen. Nun ja, es hat sie tatsächlich gegeben, der grausame Brauch soll noch vorkommen. Wer aber wagt es, den ersten Stein zu werfen? Kampf und Krieg, Mord und Totschlag gibt es bekanntlich sogar bei hochzivilisierten Völkern. Ist der Unterschied zwischen einem Kopfjäger, der die Köpfe sein&#171; erlegten Gegner als Siegestrophäe aufbewahrt und dem Besucher stolz zeigt, und einem Jagdflieger im modernen Luftkrieg, der die Zahl seiner Abschüsse registriert und auf seine Maschine malt, im Grunde genommen, so groß?

Als der Weltkrieg auch auf Asien übergriff, die japanischen Armeen die ostindischen Inseln überschwemmten und auch einige Stellen an der Küste von Neuguinea besetzt wurden, entschloß sich Jungle Pimpernel, die Insel nicht zu verlassen, sondern den Krieg auf eigene Faust fortzuführen. Und es gelang ihm, von der Außenwelt isoliert, mit sieben beherzten Landsleuten und im Bund mit den befreundeten Papuas, sich und die holländische Fahne während des Krieges im zentralen Bergland zu behaupten.

Wir Holländer begrüßen es sehr, daß die Vereinten Nationen bei ihren Beratungen über Neuguinea Männer wie Dr. de Bruyn zu Rate ziehen, denn nur, wer die dortigen Verhältnisse kennt und die Papuas achtet und liebt, sollte mitentscheiden dürfen, wie ihre Zukunft gestaltet werden soll.

Neuguinea, bisher lediglich ein Dorado für Forscher und abenteuerlustige Tramps, muß geholfen werden. Hier liegt für Berufene eine große

Aufgabe, und diese Aufgabe machen sich nun schon seit mehr als zehn Jahren zwei Mächte streitig. Indonesien begründet seine Ansprüche auf die Tatsache, daß Westpapua als ehemalige niederländische Kolonie geschichtlich mit dem Indischen Archipel verbunden ist. Geologisch und hinsichtlich Flora und Fauna gehört die Insel, das hat die Wissenschaft festgestellt, keineswegs zu Indonesien, sondern zu Australien, von dem es nur durch einen untiefen Meeresarm getrennt ist. Logischerweise müßte Sukarno eher Anspruch auf Britisch-Nordborneo und Portugiesisch-Ost-timor erheben, was ihm aber die politische Weisheit vorläufig noch verbietet.

Das eigentliche Motiv für seine starre Haltung dürfte vielmehr sein Mißtrauen sein und die Furcht, die Niederlande könnten Westpapua als Brückenkopf und Sprungbrett zur Wiedereroberung der verlorenen Kolonien benutzen wollen. Daran denkt natürlich kein vernünftiger Holländer. Sukarno duldet die ehemaligen „Ausbeuter“ einfach nicht mehr in seiner Mähe.

„Die Lage ist hoffnungslos, wenn such nicht eben sorgenerregend“, pflegten unerschütterliche Tramps mit. ;inem Anflug von Galgenhumor in nißlichen Situationen aus Neuguinea lach Hause zu berichten. Hoffentlich ist das auch diesmal der Fall. Die Kunst der Diplomatie besteht im Kompromiß, hat Franz Werfel einmal s-esagt. Der Plan des Amerikaners Junker zielt in diese Richtung. Die Niederlande werden einen zweiten

Krieg gegen Indonesien mit allen Mitteln vermeiden, nachdem sie den ersten (die famose „Polizeiaktion“) zwar gewonnen hatten, den Frieden dann aber auf Wunsch der Großmächte verlorengeben mußten. Sie sehen übrigens ein, daß Westpapua nur in guter Nachbarschaft mit Indonesien leben, wachsen und gedeihen kann.

Hier sollten die Vereinten Nationen eingreifen. Das weite, leere Land braucht Menschen, Männer, idealistisch eingestellte Intellektuelle, und nicht weniger Arbeiter, die diesem ungesunden tropischen Klima gewachsen sind. Wir möchten in diesem Zusammenhang auf eine beachtliche Suggestion unseres Jungle Pimpernel hinweisen, der auch andere Sachverständige schon Beifall schenkten. Er bezeichnete die Japaner als die idealen, geradezu vorbestimmten Siedler für dieses Land, da sie vielleicht die einzigen sind, die, physisch und psychisch hart, widerstandsfähig, energisch und fleißig, wie sie sind, die Voraussetzungen erfüllen, bei diesem Klima das Außerordentliche zu leisten und hier zu gedeihen.

In einem hat Sukarno jedenfalls recht: Das Problem sollte baldigst gelöst werden. Die zögernde Haltung der niederländischen Regierung geht nicht nur den Indonesiern und dem niederländischen Volk allmählich auf die Nerven, sie befremdet und entfremdet vielleicht auch die wenigen Führer der Papuas, die überhaupt verstehen, was vorgeht. Einer dieser angehenden Politiker aus dem Guinearat meinte, und seine Meinung trifft gewiß zu: „Die Menschen des Westens benehmen sich wie ein Hugzeug, das sich immerfort im Kreis dreht und anscheinend nicht im klaren darüber ist, wo es landen soll.“

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