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Abschied von den Papuas

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Fallschirmspringer aus Amerika und Europa, die sich an den Weltmeisterschaften in ihren „Disziplinen“ beteiligten, besuchten in New York den Sitz der Vereinten Nationen an dem Tag, als die Niederlande und Indonesien Übereinstimmung erzielten über die Zukunft Neuguineas. Es zeigte sich, daß die wackeren Männer keine Ahnung hatten von den Vorgängen, weder von den Plänkeleien in Neuguinea noch von den diesbezüglichen Streitereien und schwierigen Verhandlungen im Sicherheitsrat. Sie bezogen die Geschäftigkeit der Journalisten und Kameraleute vielmehr auf die Großtaten der russischen Kosmonauten, von denen alle Welt eben redete. Neuguinea war für sie nur ein Name, die Raumfahrt aber ein sensationelles, weltbewegendes Ereignis.

Tatsächlich drängten die Nachrichten über die kreisenden Weltraumschiffe die spärlichen Meldungen von dem Neuguinea-Vertrag weit in den Hintergrund. Und das hat gewiß einen tieferen Sinn und ist aufschlußreich für die Interessen des Menschen unserer Zeit.

Nach langwierigen Differenzen führten Blitzverhandlungen von Generalsekretär U Thant zu unverhofft schnellem Erfolg. Die Wünsche Sukarnos gingen dabei weitgehend in Erfüllung, die Papuas selbst wurden nicht viel gefragt. Wir erwähnen nur einige der 29 Punkte des Vertrags.

Die Niederlande werden am 1. Oktober die Gewalt über Neuguinea an die UNO und die Untea (United Nattens Temporary Executive Authority)abtreten. Letztere wird am 1. Mai 1963 zugunsten Indonesiens zurücktreten. Nach und nach werden die UNO-Truppen von indonesischen Streitkräften abgelöst. Bereits am 31. Dezember wird die indonesische Fahne endgültig in Neuguinea gehißt, erst im Jahre 1969 werden die Papuas mittels eines Referendums von ihrem internen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen können.

Das Ganze läuft somit auf einen eindeutigen Sieg Indonesiens und die vollständige holländische Kapitulation hinaus. Unter Zwang und militärischen Drohungen haben die Niederlande das Abkommen unterschrieben. Noch während der Verhandlungen landeten indonesische Fallschirmjäger in Neuguinea. Damit war die Lage aussichtslos geworden. Holland stand ohne einen Bundesgenossen allein auf weiter Flur.

Es hat wenig Sinn, nachträglich darüber zu streiten, wie und durch wessen Schuld die Niederlande sich in diese mißliche Zwangslage haben hineinmanövrieren lassen. Von dem Minister des Auswärtigen, Luns, heißt es, er rede besser als er zuhöre, und so haben er und seine Regierung wohl völlig überhört, was die Stunde geschlagen hatte. Bittere Vorwürfe an den verbündeten Partner Amerika wurden laut. Man sollte aber weder Amerika noch die UNO des Verrats bezichtigen. Auch sie handelten gewissermaßen unter Druck: Jedes weitere Zögern hätte Indonesien nur in die Arme des Kommunismus getrieben. Übrigens wäre ein selbständiger Papua-Staat, falls er in den ersten Dezennien überhaupt schon möglich wäre, keineswegs lebensfähig. Die niederländische Regierung hätte diesen Gedanken nicht fördern sollen.

Ein erster Schritt zur Verbesserung der verfahrenen Beziehungen zwischen Indonesien und den Niederlanden ist indessen bereits getan. Ab 18. August ruhen die Waffen. Die offiziellen diplomatischen Beziehungen werden bald wiederhergestellt sein und Handelsrelationen folgen. Das schwerste Hindernis bei den kommenden Abwicklungen und Auseinandersetzungen ist das gegenseitige Mißtrauen. Der eine zweifelt schon von vornherein an den ehrlichen Absichten des anderen betreffs einer bona fide Befolgung der vereinbarten Spielregeln. Hier drohen gewiß noch nicht vorauszusehende Gefahren.

Indonesien hat sich zu seinen anderen mannigfachen Aufgaben noch eine neue ungeheure Last aufgebürdet. Seine künftigen Pflichten, was die Entwicklung des Landes und die Bildung des Volkes anbelangt, sind in dem Abkommen nur kurz angedeutet. Der junge indonesische Staat wird die Hilfe der Vereinten Nationen nicht entbehren können.

Die letzten holländischen Soldaten werden bereits vor Weihnachten in ihr Vaterland zurückkehren. Ihnen bleibt die Erinnerung an ein weites Land mit freundlichen, primitiven braunen Menschen und an die einsamen Gräber einiger Kameraden, die für eine umstrittene Angelegenheit ihr junges Leben opfern mußten.

Die Mehrzahl der 700.000 Papuas wird, von den Vorgängen unberührt, sich keinerlei Änderung ihres politischen Status bewußt und jeder Neujsj rung abhold, in den Wäldern der Insel weiterhin Freiheit und Selbstbestimmung üben nach uraltem Brauch. Nur in den Küstengebieten wird Indonesien vorläufig seinen Einfluß geltend machen können. Einige Tausend Einheimische, die sich mit den neuen Verhältnissen nicht abfinden wollen, werden wohl nach Australisch-Ostguinea auswandern, wenige Hunderte nach Holland übersiedeln, wo sie, wie ihre Vorgänger aus Indonesien, im rauhen Klima fröstelnd verkümmern und sich immerfort nach der warmen Tropensonne sehnen, bis sie eines Tages in ihre Heimat zurückkehren werden.

Im Gebäude der Vereinten Nationen in New York, in dem Saal, wo das Abkommen unterzeichnet wurde, befindet sich ein großes Gemälde, das einen Mann zeigt, der aus dunklem Hintergrund (der finsteren Vergangenheit) stolz herüberschreitet in den hellichten, sonnigen Tag (unser „aufgeklärtes“ Jahrhundert). Hoffen wir, daß dieses ermutigende Bild auch für die Papuas in Neuguinea seine erfreuliche Gültigkeit haben möge ...

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