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ANERKENNUNG DES FAKTISCHEN

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In neu aufflammenden Nationalitätenkonflikten taucht immer wieder die Frage auf, wann denn ein politisches Gebilde, das sich für unabhängig erklärt, auch offiziell als eigener Staat anzuerkennen ist. Österreich hält sich hier weiterhin an die gute alte Tradition, das anzuerkennen, was nicht mehr zu ignorieren ist.

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In neu aufflammenden Nationalitätenkonflikten taucht immer wieder die Frage auf, wann denn ein politisches Gebilde, das sich für unabhängig erklärt, auch offiziell als eigener Staat anzuerkennen ist. Österreich hält sich hier weiterhin an die gute alte Tradition, das anzuerkennen, was nicht mehr zu ignorieren ist.

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Die formelle Anerkennung eines Staates nimmt bei uns der Bundespräsident als Vertreter Österreichs in „einseitigen Rechtsgeschäften" nach außen vor. Dies macht er nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nur aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung. Das Anerkennungsschreiben erhält der glückliche Staatsneuling durch den Außenminister übermittelt.

Grundlagen für die Anerkennung von Staaten sind im allseits unverbindlichen Völkerrecht (siehe Seite 12 und 13) zu finden. Dort ist die klassische Definition festgehalten, daß ein Staat über ein Staatsvolk, ein festumschriebenes Staatsgebiet und über eine effektive Rechtsordnung, die nicht von einer anderen abgeleitet ist, verfügen muß. Die von Völkerrechtlern im Außenministerium vertretene Position ist, daß ein politisches Gebilde dann als Staat anzuerkennen sei, wenn alle soeben aufgezählten Kriterien erfüllt sind. Eine Anerkennung wird auch durch Aufnahme diplomatischer Beziehungen gesetzt, konsularische Beziehungen reichen aber nicht aus, Glückwunschtelegramme zur „Geburt" auch nicht. Bei akuten Konflikten, in denen eine politische Gemeinschaft ihre Unabhängigkeit noch nicht durchgesetzt hat, wie nun in Kroatien, wäre eine Anerkennung nicht möglich. Dies trifft auch auf andere aktuelle Konflikte zu.

Die Insel Bougainville kämpft seit zwei Jahren um Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea (nahe Australien). Vor kurzem rief die Revolutionäre Armee Bougainville als eine unabhängige Republik aus und setzte eine vorläufige Regierung ein. Sie dürfte den Großteil der Landes kontrollieren. Durch eine Seeblockade sind laut anglikanischem Bischof John Zale mehr als 2.000 Menschen gestorben, weil Medikamente und ärztliche Versorgung fehlen.

Die Kirchen der pazifischen Region fordern den Abzug aller Truppen und eine Abstimmung. Während über Kroatien immerhin diskutiert wird, fallen solch unwichtige Hinterhöfe unter den Tisch.

Zumindest die Grenzfrage, bei Kroatien immer wieder angeführt, ist nicht immer ein Hindernisgrund. Bei der Anerkennung der Volksrepublik China als einzigem chinesischen Staat im Jahre 1971 glaubte die Österreichische Regierung das Problem Taiwan, das verbal von der Volksrepublik China beansprucht wird, zu umschiffen, indem sie in das Anerkennungsschreiben nichts über das Staatsgebiet hineinschrieb. Taiwan hingegen ist nicht offziell anerkannt. Dies hindert Österreich aber nicht, im Wirtschafts- und Personenverkehr so zu verfahren, als sei Taiwan anerkannt. Exportgarantien durch den Staat sind ebenso möglich, wie die Einreise von Taiwanesen mit taiwa-nesischen Pässen.

„Unabhängige" Homelands

Öfter ein Hindemisgrund ist die Frage nach der effektiven und unabhängigen Staatsordnung. Einhellig wurde dieses Kriterium von der „Staatengemeinschaft" den von Südafrika in die „Unabhängigkeit" entlassenen „Homelands" abgesprochen. Die Vereinten Nationen hatten ihren Mitgliedern sogar verboten, diese von Südafrika gebildeten und weiterhin abhängigen Territorialstaaten anzuerkennen.

Andererseits wurden so manche Südseeinseln von den USA in die „Unabhängigkeit" entlassen. Die Marschallinseln sind zwar seit kurzem UNO-Mitglied, sind aber weiterhin von Geldzuweisungen der USA abhängig und amerikanische Militärstützpunkte schränken die Souveränität der Inseln, die für Atomtests der USA herhalten mußten, weiterhin ein.

Fallweise herrscht in der „Staatengemeinschaft" wenig Einstimmigkeit: Der November 1988 vom palästinensischen Nationalrat ausgerufene Palästinenserstaat in den Grenzen gemäß der UN-Teilungsresolution von 1947 wurde zwar von rund 80 Staaten anerkannt - vorwiegend arabische Staaten, Dritte-Welt-Staaten und solche aus dem damaligen Ostblock -, aber nicht von Österreich.

Außenminister Mock stritt das Vorhandensein eines eigenen Territoriums ab. Die Besetzung der von Großbritannien den Palästinensern zugedachten Gebiete durch Israel fällt in eine Zeit, als Österreich noch nicht eigenständig war. Später gab es nur noch Israel, das anerkannt wurde. Die Palästinenser haben zwar eine von der UNO anerkannte Vertretung aber ein eigener Staat oder gemeinsamer Staat mit Israel und Selbstverwaltung der Palästinenser wird ihnen nicht zugestanden.

Die österreichische Politik agiert eher langsam und riskiert nichts. Portugal hatte 1975 Osttimor über Nacht aufgegeben. Die Unabhängigkeit der zumeist katholischen Bevölkerung währte nicht lang. Eine Woche darauf überfiel Indonesien das

Land und erklärte es zu seiner 27. Provinz. Nach Berichten der Gesellschaft für bedrohte Völker wurden mittlerweile bis zu 200.000 Menschen Osttimors, ein Drittel der Bevölkerung, ermordet. Österreich hatte Osttimor nicht anerkannt, es hatte nicht lange genug existiert.

Spielraum für Doppelmoral

Nach der in der Zwischenkriegszeit aufgestellten Simpson-Doktrin dürften keine gewaltsamen Annektionen anerkannt werden. Doch auch als Tibet von China überfallen wurde, hat Österreich wenig getan. Der informell befragte Beamte im Völkerrechtsbüro des Außenministeriums war sich nicht sicher, ob durch das Nichtprotestieren die Besetzung Tibets anerkannt wurde. Zudem sei Tibet sowieso immer mit China verbunden gewesen.

Das Völkerrecht kennt keine genauen Verfahrensvorschriften und Sanktionen und läßt sehr weiten Spielraum für politische Interpretationen und für Doppelmoral.

Ein Beispiel: Australien war mit Truppen an der Befreiung des vom Irak besetzten Kuweit beteiligt. Im gleichen Zeitraum schloß es einen Vertrag mit Indonesien ab, um reiche Erdölvorkommen östlich der Küste des von Indonesien mit Militärgewall besetzten Osttimors auszubeuten.

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