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Widerspenstiges Israel

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Einiges von der jetzt gegen Israel bestehenden Stimmung in manchen europäischen Regierungskanzleien und auch im amerikanischen State Department wurde bereits vor vier Jahren, kurz vor Beginn des Sechstagekrieges, von Präsident de Gaulle ausgedrückt. Als damals Nasser mit der Absperrung der Meeresstraße von Tiran und dem Aufmarsch der ägyptischen Armee in Sinai einen Würgegriff um Israels Kehle legte, sagte de Gaulle zu den Israelis: „Ihr dürft nicht schießen. Ihr müßt warten, bis man es euch gestattet!“ Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Israelis diesen Rat befolgt hätten.

Mit ihrer Eigensinnigkeit, sich lieber ihrer Haut zu erwehren, als sie von Dritten, und insbesondere den Großmächten, zu Markte tragen zu lassen, verstoßen die Israelis auch jetzt gegen die vorherrschende Mode. Israel befinde4- sich schon längere Zeit unter moralischem und diplomatischem Beschuß nicht nur solcher Mächte wie Frankreich, dessen eigenes Interesse zu deutlich aus jenem Verlangen hervorschimmert. So haben unlängst die übrigen fünf Staaten des Gemeinsamen Marktes auf deren Außenministerkonferenz ein von Frankreich in diesem Sinne abgefaßtes Papier unterzeichnet, und damit Frankreichs Einverständnis zu Großbritanniens Eintritt in die EWG „erweicht“. Könnte man hier noch von Interessenpolitik sprechen, so bot jedoch auch die jüngste Tagung der Sozialistischen Internationale ähnliche Neigungen dar. Eine Reihe von sozialistischen Bruder- und Regierungsparteien, insbesondere die nordischen (mit Ausnahme Dänemarks), doch auch die britische und noch andere, versuchten gleichfalls, das Schicksal Israels zu einer Art von „Zuwaage“ im derzeit vor sich gehenden Gefeilsche um eine Detente mit dem Ostblock zu machen. Es bedurfte des großen Prestiges und der moralischen Stärke Goldą Meirs, die hier zur Sprecherin aller von Übermächten bedrohten kleinen Nationen wurde, um Arges zu verhindern.

Wogegen Israel sich hier im besonderen zu wehren hat, das ist, daß seine Sicherheit, seine Grenzen und seine ganze Existenz lediglich durch Garantien dritter Mächte — und hierin insbesondere der großen Vier — gewährleistet werden sollen, und nicht durch eigene direkte Abmachungen — oder noch besser — durch einen Friedensvertrag mit den arabischen Ländern. Zuviel oder zuwenig ist auf dieser Welt in den letzten dreißig, vierzig Jahren geschehen, damit ein kleines Volk seine gesamte Existenz auf solchen Garanten basieren kann. Was konnten die Tschechoslowaken, die baltischen Staaten, ja sogar dieses Österreich sich davon kaufen, als ihre Garanten „veränderte Umstände“ geltend machten, als sie sie verkauften? Mussolini Österreich an Hitler, Daladier und Chamberlain die Tschechoslowakei an Hitler. Doch Israel selbst mußte immer wieder mit dem Blut und Leben seiner Söhne dafür bezahlen, was ihm Garanten schuldig geblieben waren: so die UNO, die den Beschluß der Teilung Palästinas faßte, und keinen Finger rührte, als sechs arabische Armeen dies 1948 zu verhindern suchten und über den jungen israelischen Staat herfielen. Die UNO

hatte damals auch die Internationalisierung des vordem von den Engländern verwalteten Jerusalem beschlossen. Sie nahm es — und leider auch der Vatikan — hin, als Jordanien und der Islam das halbe Jerusalem 19 Jahre annektiert und die Stadt gespalten hielten. 1956 zog sich Israel auf Grund einer von den USA gegebenen Garantie aus dem Sinai zurück, den es wegen ständiger Einfälle von Freischärlern aus Ägypten (dem der Sinai nie gehört hatte) besetzt hatte. Die Folge war der Aufmarsch der Ägypter.

In den zwanzig Jahren seiner staatlichen Existenz hat Israel gelernt, sich über alle Hindernisse hinwegzusetzen, sein Geschick selbst zu sichern. Es mag l^eute und Politiker in Europa geben, welchen ihre fette Ruhe, ihre zwei Autos und ihre Mätressen wichtiger sind, als gegen übermächtige Bullies aufzustehen. Und sogar in Helsinld mußte Goldą Meir einige der Delegierten daran erinnern, daß Sozialismus nicht nur Freiheit für den einzelnen, sendem auch für ein ganzes Volk bedeute, sei es auch gering an Zahl.

Die ganze Paradoxie der Lage zeigt sich zum Beispiel darin, daß die Sowjetunion — oder besser gesagt: deren Presse — den zweiundednhalb Millionen Israelis heute bereits nicht mehr wie vordem vorwirft, „ein Werkzeug in der Hand der amerikanischen Imperialisten“ zu sein, sondern es darauf abzusehen, „Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA zu stiften“. Will heißen, die Sowjetunion wirft Israel vor, daß es sich nicht den zwischen den Russen und Amerikanern zu seinen Ungunsten abgemachten Regeln unterwirft. Und auch Präsident Sadat hielt es mit seiner an die USA gerichteten Aufforderung, sie mögen die Israelis „auswringen und -pressen“ für den so entwickelten arabischen Ehrsinn leichter, eine van den Großen ausgeheckte und auch seiner eigenen Nation aufgezwungene Regelung zu befolgen, als sich mit den Israelis an einen Tisch zu setzen.

Freilich läuft das Spiel auch zwischen den Großen nicht so glatt und störungslos. So, als der amerikanische Außensekretär letzthin in den Nahen Osten reiste und den Ägyptern große Hoffnungen auf Kosten der Israelis und zugunsten einer amerikanisch inszenierten Regelung machte. Die Enttäuschung für die Amerikaner folgte auf dem Fuße, als Präsident Podgomy einherbrauste und Sadat verständlich machte, daß dies nicht mehr die Zeit für die Extratouren sei, und daß sich Ägypten an die sowjetische Spielführung zu halten habe. Wer die Geschichte der von der Sowjetunion abgeschlossenen „Freundschafts- und Beistandspakte“ — beginnend mit den 1939 mit den baltischen Staaten abgeschlossenen und zuletzt endend mit dem tschechoslowakischen 1968 — kennt, der weiß, was der mit Ägypten nun abgeschlossene bedeutet. Freilich ist Ägypten ein bischen weiter entfernt von der UdSSR als Lettland und die CSSR. Und das gibt, wenn auch nur schwache, Hoffnung, daß Ägypter und Juden sich ohne, ja gegen fremde Patronanz darauf einigen könnten, daß der gegenwärtige Zustand des Nichtaufeinanderschie- ßens mit der Zeit zu einer Art Ersatz für Frieden werden könnte.

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