6697843-1963_15_07.jpg
Digital In Arbeit

„Privatinitiative“ in Ägypten

Werbung
Werbung
Werbung

Die Affäre Pilz-Krug-Kleinwächter, die in den letzten Wochen viel Staub in der Weltpresse aufwirbelte, erhielt nach Festnahme eines Israeli (Josef Ben Gal) und eines österreichischen Staatsbürgers (Dr. Otto Joklik) in der Schweiz eine politische Wendung, die f'Vi heute fast schon nichts mehr mit den beiden Inhaftierten zu tun hat.

Bereits vor anderthalb Jahren begann die israelische Regierung ihre inoffiziellen Bemühungen, die Bonner Regierung zu veranlassen, westdeutsche Atom- und Raketenspezialisten aus Ägypten zurückzurufen. Die israelische Regierung basierte diese Forderung auf der Tatsache, daß es sich um 200 bis 300 deutsche Wissenschaftler und Techniker handelt, die in Ägypten an der Entwicklung von bakteriologischen Waffen, Boden-zu-Boden-Raketen, Flakraketen und Antitankraketen sowie insbesondere an Raketen mit Atombombenladung arbeiten. Nachdem all diese inoffiziellen Kontakte nutzlos waren, beschloß die israelische Regierung, den Schweizer Vorfall dazu zu benutzen, um die Welt vor der Gefahr dieser deutschen Wissenschaftler zu warnen.

Gerstenmaiers Versprechen

Als vor einigen Monaten der Präsident des deutschen Bundestages, Doktor Gerstenmaier, Israel bereiste, versprach er Israels Staatsoberhaupt Ben Gurion, alles zu unternehmen, um seine Regierung in dieser Angelegenheit zu beeinflussen. Doch anscheinend waren auch seine Bemühungen nutzlos verlaufen. In den verschiedenen israelischen Kontakten wurde betont, daß es sich hier nicht nur um etwas Ähnliches wie die russischen Waffenlieferungen an Ägypten handelt, sondern daß die Waffen, die mit Hilfe der deutschen Spezialisten entwickelt werden, es be-

B laqrtmd IM •ii't il'jr-jwirken könnten, daß Israel innerhalb von einigen Minuten gänzlich dem Erdboden gleichgemacht und seine gesamte Bevölkerung ausgelöscht werden könnte.

Nach jahrelangen inneren Zwistig-keiten auf anderen Gebieten gelang es dem israelischen Parlament (Knesseth), sich in dieser Angelegenheit binnen kurzer Zeit zu einigen und einen gemeinsamen Appell an die Deutsche Bundesrepublik zu adressieren, die deutschen Wissenschaftler zu veranlassen, die obengenannte Tätigkeit aufzugeben.

Politische Beobachter behaupten, daß hinter den deutschen Wissenschaftlern militärische Kreise der Bundesrepublik stehen, die diese Wissenschaftler veranlassen, in Ägypten für die Bundeswehr d i e Waffen zu entwickeln, die der Bundeswehr untersagt sind, auf deutschem Grund und Boden selbst zu entwickeln oder zu produzieren. Man bezog sich darauf, daß schon nach dem ersten Weltkrieg deutsche Wissenschaftler und Waffenproduzenten ähnliche Versuche in der Sowjetunion anstellten, weil nach dem Vertrag von Versailles die Waffenproduktion und Herstellung besonderer Waffen in Deutschland selbst verboten war.

Woher kommt das Geld?

Trotz der riesigen Entwicklung, an der sich Ägypten in den letzten Jahren erfreute, ist auch heute Ägyptens Wirtschaft noch nicht fähig, das Lebensniveau der 30 Millionen Ägypter zu heben. Ein großer Teil des ägyptischen Staatsbudgets sind Zuschüsse aus der russischen und in letzter Zeit besonders aus der amerikanischen Staatskasse. Ein großer Teil dieser Summen wird direkt an die deutschen Spezialisten gezahlt, die für einen Arbeitsaufenthalt von sechs bis acht Wochen oft die bedeutende Summe von 400.000 bis 600.000 DM erhalten. Ägyptens Staatsoberhaupt, Gamal Abdel Nasser, erklärte diese hohen Summen damit, daß es sich nicht nur um Bezahlung für einen Arbeitsaufenthalt handelt, sondern daß diese Wissenschaftler nach

Ägypten Patente, Formeln und Resultate jahrelanger wissenschaftlicher Arbeiten an deutschen Laboratorien mitbringen und an ägyptische Wissenschaftler weiterleiten.

In der inoffiziellen Antwort, die israelische Kreise erhielten, betonten die deutschen Vertreter, daß die obengenannten Wissenschaftler aus Privatinitiative handelten und dies einen schwerwiegenden Faktor im Kalten Krieg im Mittleren Osten darstelle. Diese deutschen Unterhändler behaupten, daß der Westen nichts unversucht läßt, den russischen Einfluß im Mittleren Osten zum Stillstand zu bringen.

Die arabischen Armeen, insbesondere die irakischen, syrischen und ägyptischen, wurden in den letzten Jahren hauptsächlich mit russischen

Waffen beliefert. Es handelt sich meist um veraltete Modelle, die die Russen an ihre Satelliten und „befreundeten Nationen“ lieferten, da sie diese Waffen selbst bereits aus ihren Armeen herausgezogen hatten.

Nun wollte der Westen, so behaupteten die deutschen inoffiziellen Kreise, den Ägyptern eben etwas „Besseres“ bieten, damit sie auf weitere russische Waffenlieferungen verzichten.

Als Rußland sah, daß es langsam aus seinen Positionen verdrängt wird, verlangte es eine atomare Neutralisierung des Mittleren Ostens. Dieser Forderung wurde von westlicher Seite bisher wenig Gehör gegeben. Doch änderte sich dieser Tage die Situation, als Präsident Kennedy erklärte, daß die USA nichts unversucht lassen wird, den Besitz“ von Atomwaffen in den Händen kleiner Staaten zu vereiteln. Ägypten ist zwar noch nicht im Besitz atomarer

Waffen, doch — wie gesagt — wird daran heftig gearbeitet.

Auch Israel, das bisher nicht wagte, atomare Neutralisierung des Mittleren Ostens zu verlangen, änderte nun seinen politischen Kurs. Denn erst mit Unterstützung der beiden Weltblocks könnte solch eine Forderung Gehör finden und effektiv werden.

Doch das Problem hat auch seine moralischen Aspekte. Diese deutschen Wissenschaftler in Ägypten arbeiten nicht an irgendeiner Rüstungsindustrie, sondern arbeiten in der Rüstungsindustrie eines Landes, das keine Gelegenheit versäumt, zu erklären, daß sein Hauptziel die Vernichtung Israels ist. Erst dieser Tage schrieb Abraham Katz, der Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Konzentrationslager-Insassen, die durch das Lagerleben zu Invaliden wurden, einen persönlichen Brief an einen alten Lagerkameraden, Konrad Adenauer. Beide verbrachten eine geraume Zeit zusammen. im Lager Buchenwald. Er schrieb unter anderem: „Auch heute, 20 Jahre nach dem großen Schlachten, können wir die Erinnerung an die fürchterliche Todesindustrie, die unsere Frauen und Mütter zu Seife verarbeitete und uns wenige Überlebende geistig und körperlich stark mitnahm, nicht vergessen... Im Jahre 1963 stehen wir wieder vor dem fürchterlichen Erlebnis, daß deutsche Techniker und Wissenschaftler ihr außergewöhnliches Können dazu gebrauchen, um bessere und effektivere Vernichtungsmittel herzustellen zu einer Massenvernichtung des jüdischen Volkes in Israel.“

Heftige Reaktionen

Was israelischen, gut informierten Kreisen schon anderthalb Jahre bekannt war, erfuhr Israels Bevölkerung erst jetzt durch den israelischen Appell an Deutschland. Man beschuldigt heute Ministerpräsident Ben Gurion, der schon seit Jahren behauptet, das heutige Deutschland sei ein anderes als das Hitler-Deutschland, der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die offiziellen, nichtssagenden Erklärungen des deutschen Außenministeriums erweckten nicht nur die gesamte israelische Presse zu heftigsten Reaktionen, sondern insbesondere ehemalige KZler betonen, daß Deutschlands Diplomatie es immer fertigbrachte, schlimme Taten mit schönen Worten zu übertünchen.

Gesetztere Kreise in Israel versuchen, diese Volkswut einzudämmen und wollen auch heute noch weiter darauf aufmerksam machen, daß es einen Unterschied gibt zwischen den alten deutschen Nationalsozialisten und der heutigen deutschen Jugend. Sie betonen, daß kein Grund zu einer Verallgemeinerung vorliegt. Doch die allgemeine Reaktion machte in Israel starken antideutschen Gefühlen Platz. Nur eine sofortige Zurückberufung der deutschen Spezialisten aus Ägypten, die an der Herstellung und Entwicklung von Waffen arbeiten, die gegen Israel gemünzt sind, kann diese antideutsche Stimmung eindämmen.

Diese Stimmung geht bereits so weit, daß die extreme Rechtspartei, Cheruth, die die zweitgrößte Partei Israels ist, einen völligen Boykott gegen Deutschland fordert. Diese Partei schlägt Einstellung jeder offiziellen und inoffiziellen Kontakte vor. Sie verlangt ferner das Verbot des Austausches von Freundschaftsdelegationen zwischen deutschen und israelischen Städten, wie sie bereits durchgeführt wurden. Einreiseverbot für deutsche Staatsbürger nach Israel, Ausreiseverbot israelischer Staatsbürger nach Deutschland sowie Boykott aller deutscher Waren.

Ben Gurion schwieg wimston ml •“•“ nitioW v,u.

Im Gegensatz zu alldem enthielt sich bis heute der greise Ministerpräsident Ben Gurion des Wortes. Er war nicht bereit, seinen Urlaub zu verkürzen, um an der obengenannten Parlamentsresolution gegen Deutschland teilzunehmen. Er widersetzte sich der scharfen Politik des Außenministeriums, weil er der Ansicht ist, daß sein Freund Konrad Adenauer persönlich sich für Israels Sache einsetzen und beweisen wird, daß die 200 deutschen Spezialisten in Ägypten nicht das neue Deutschland sind. Auch heute ist Ben Gurion noch überzeugt, daß die deutsche Bundesrepublik sich nicht dazu hinreißen lassen wird, an dem Untergang des jung erstandenen Staates Israel mitzuwirken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung