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Bewaffneter Friede in Nahost

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Der Traktor des Kibbuzes Almagor an der Nordostgrenze Israels pflügte Furche nach Furche. Plötzlich hörte man eine Detonation und eine Granate explodierte in kleiner Entfernung vom Traktor. Der Traktorführer sprang behende in eine Erdvertiefung, Deckung suchend, und israelische Kanonen beantworteten das syrische Feuer. UNO-Soldaten versuchten zu vermitteln. Nach einiger Zeit wurde das Feuer eingestellt, der Traktor pflügte einige Stunden ungestört weiter, und dieses Schauspiel wiederholt sich täglich.

Der israelische Kibbuz begann mit der Bearbeitung eines Feldes von fünfhundert Dunam (500.000 Quadratmeter), die sich am westlichen Jordanufer in israelischem Oberhoheitsgebiet befinden und bis vor einiger Zeit von syrischen Fellachen bearbeitet wurden, welche zu diesem Zweck illegal die Grenze überquerten. Weiter nördlich begannen syrische Bagger Vorbereitungsarbeiten zur Ableitung der Jordanquellen.

Als vor einigen Monaten das israelische Jordan-Bewässerungsprojekt in Benutzung genommen wurde und das Jordanwasser vom Tiberias-see nach dem wasserarmen Negew geladfttft '.wurde, >i -erklärte;..Israels' Ministerpräsident Iievi Eshköl; ^,Die Ableitung der Jordanquellen bedeutet einen direkten Angriff auf Israel, und Israel wird dementsprechend darauf reagieren.“

Auf der arabischen Gipfelkonferenz im Jahre 1964 wurde beschlossen, daß die Jordanquellen abgeleitet werden sollen, um dadurch den israelischen Bewässerungsplan zu vereiteln. Dieser Beschluß stellte bereits einen gewissen Kompromiß dar, denn seinerzeit drohten die arabischen Staaten mit Krieg gegen Israel, falls dieses das Jordanbewässerungsprojekt ausführt.

Beide Seiten versteiften sich auf ihre Erklärungen, was einen neuen Rüstungswettlauf zur Folge hatte, wie man ihn bisher nicht gekannt hatte. Der Ostblock überschwemmte die arabischen Staaten — Ägypten, Syrien und Irak — mit konventionellen Waffen, und Israel sah sich gezwungen, sich an diesem Wettlauf zu beteiligen. Dies war der Hintergrund deutscher Waffenlieferungen an Israel, die einen Teil westlicher Hilfe für Israel darstellten.

Als vor einiger Zeit Avereil Harriman, der persönliche Abgesandte des amerikanischen Staatspräsidenten Johnson, nach Israel kam, erklärte ihm Außenministerin Golda Me'ir: „Wir können die arabischen Kriegsdrohungen nicht als Bagatellen betrachten, so wie es Amerika tut. Für uns sind es Realitäten.“

Ungefähr zur gleichen Zeit erklärte Generalstabschef Itzhak Rabin, daß die Ableitungskanäle, die zur Zeit in Syrien und Libanon gegraben werden, in direkter Be-schußlinie israelischer Kanonen liegen. Die Ableitungspläne zu vereiteln, meinte General Rabin, sei kein militärisches Problem. Der ehemalige Generalstabschef und Sinaisieger, General Moshe Dajan, der dem früheren Ministerpräsidenten David Ben Gurion nahesteht, veröffentlichte einen Artikel im „Ha'aretz“, in dem er einen Präventivkrieg propagierte, da zur Zeit solch ein Krieg einen israelischen Blitzsieg mit sich bringen könnte. Auch die rechtsextreme Cheruth-Partei, die sich in der Opposition befindet, schloß sich dem Vorschlag Dajans an. Doch Generäle und extreme Oppositionsparteien haben in einem demokratischen Staat zwar Redefreiheit, ohne jedoch die Verantwortung der Politiker teilen zu müssen. Ein Krieg im Mittleren Osten kann nur dann ausbrechen, wenn wenigstens einer der beiden Gegner entsprechende politische Rückendeckung hat.

Als der Suezfeldzug Ende 1956 begann, hatte Israel direkte politische Unterstützung Englands und Frankreichs und erhielt von beiden Staaten indirekte militärische Hilfe. Heute ist die Situation anders. Das Waffenklirren des Rüstungswettlaufs und die Proklamationen der Militärs erweckten den Eindruck, als ob der Krieg bereits vor der Türe stünde. Israel ist heute weniger als je an einem Präventivkrieg interessiert. Nasser-Intimus Hasnin Haikai veröffentlichte in seiner Zeitung „AI Ghumriah“ am 12. März, daß die Ableitungsarbeiten der Jordanquellen bisher nicht begonnen haben und bisher nur einige Feldwege geebnet wurden und daß in Wirklichkeit nichts Ernstes in dieser Hinsicht unternommen worden ist. Einige Tage vorher erklärte der tunesische Staatspräsident Chabib Bourguiba auf einer Pressekonferenz in der Jerusalemer Altstadt und mit dem Einverständnis des Königs Hussein von Jordanien, daß das Palästinaproblem nicht durch Krieg gelöst werden kann. Er betonte, daß gegenseitige Toleranz und Verständnis zwischen Juden und Arabern zu einer friedlichen Lösung dieses Problems beitragen können. Obwohl in Beiruth, Libanons Hauptstadt, ein Attentatsversuch auf Bourguiba unternommen wurde, hielt er auch dort an dieser seiner Erklärung fest und propagierte die Bildung eines neuen Blocks arabischer Staaten (Tunesien, Libanon, Jordanien und Saudi-Arabien) zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Mittleren Osten. Bourguiba warnte auch die arabischen Staaten vor völligem Abbruch der Beziehungen mit der Bundesrepublik als Reaktion auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Israel.

Mit Bourguibas Auftreten wurde die künstliche arabische Einheitsfront, die Nasser während zirka 18 Monaten gegen Israel vereinen konnte, wieder gesprengt. Das vermeintliche gemeinsame Interesse war Ableitung der Jordanquellen und Bildung eines arabischen Oberkommandos. Das oberste arabische Kommando konnte bisher nicht effektiv werden, und nur ein israelischer Präventivkrieg wäre imstande, die zerrissene arabische Front wieder zu vereinen.

Ein israelisch-arabischer Krieg ist im Augenblick unwahrscheinlich, denn es fehlt Israel jede erdenkliche Rückendeckung dafür. Frankreich sucht seine alten Positionen im Mittleren Osten wieder zurückzubekommen, ist daher nicht an einem Abenteuer im Mittleren Osten interessiert. Auch die englische Labour Party mit ihrer knappen Parlamentsmehrheit ist nicht bereit, einen Präventivkrieg zu unterstützen. Die USA waren nur unter der Bedingung bereit, Waffen an Israel zu liefern, wenn dieses keinen Verhütungskrieg beginnt.

Stattdessen beginnt Israel dieser Tage eine neue politische Offensive. Ministerpräsident Levi Eshkol begibt sich in nächster Zeit nach Europa, um Englands Ministerpräsident Harold Wilson und eventuell auch Bundeskanzler Professor Ludwig Erhard zu treffen. Frau Golda Me'ir begibt sich zu einem Außenministertreffen nach Paris. Vizeministerpräsident Abba Even bereiste dieser Tage die amerikanischen Staaten zur Herstellung von Freundschaftskontakten, und der Vorsitzende des israelischen Parlamentes (Knesseth) Kaddish Lus begab sich auf eine Goodwill-Tour nach Afrika. Der bewaffnete Frieden im Mittleren Osten geht trotz der Grenzzwischenfälle im Norden weiter.

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