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Geht nichts mehr ohne die PLO?

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Im israelisch besetzten Jordanland hat die PLO die Kommunalwahlen eindeutig gewonnen. Israel muß mit PLO-Vertretern jetzt reden. Im nachfolgenden Beitrag stellt der langjährige Nahostkorrespondent der FURCHE die Situation aus der Sicht der gemäßigten Palästinenser dar. Die Erfolge auf dem diplomatischen Parkett — Jassir Arafats „Palmzweig-und-Kalaschnikow-Rede“ vor der UN-Vollversammlung, die Anti-Zionismus-Resolution der UN-Vollversammlung, und die nur durch ein amerikanisches Veto verhinderte Resolution über das Selbstbestimmungsrecht der Palästinaflüchtlinge in einem eigenen Staat im UN-Weltsicherheitsrat, ebenso wie die an der zunehmend hochkarätigeren Auswahl ihrer Gesprächspartner in Moskau sichtbar werdende Aufwertung der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) durch die Sowjetunion, die Verhandlungen des französischen Außenministers Jean Sauvagnargues mit PLO-Chef Arafat und die sich trotz des erwähnten Vetos hartnäckig behauptenden Gerüchte über bislang noch vertrauliche direkte Kontakte des Washingtoner State Departments mit der PLO — sind ebenso eindrucksvoll und zudem noch in wesentlich kürzerer Frist erreicht worden als die der Zionisten von der „Balfour-Deklaration“ über die Einrichtung einer jüdischen Heimstätte, 1917, bis zur UN-Resolution über die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina, 1947. Die einen brauchten dazu mehr als dreißig Jahre, die anderen weit weniger als dreißig Monate. Dieser Erfolgsliste internationalen Ausmaßes gesellen sich interarabische Erfolgsaspekte zu. Im Bürgerkrieg im Libanon spielten die Palästinenser eine eher mäßigende Rolle. Sie übernahmen unter anderem den Schutz der jüdischen Kolonien — Vorgriff auf den von ihnen angestrebten binationalen und trireligiösen Staat Palästina?

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Im israelisch besetzten Jordanland hat die PLO die Kommunalwahlen eindeutig gewonnen. Israel muß mit PLO-Vertretern jetzt reden. Im nachfolgenden Beitrag stellt der langjährige Nahostkorrespondent der FURCHE die Situation aus der Sicht der gemäßigten Palästinenser dar. Die Erfolge auf dem diplomatischen Parkett — Jassir Arafats „Palmzweig-und-Kalaschnikow-Rede“ vor der UN-Vollversammlung, die Anti-Zionismus-Resolution der UN-Vollversammlung, und die nur durch ein amerikanisches Veto verhinderte Resolution über das Selbstbestimmungsrecht der Palästinaflüchtlinge in einem eigenen Staat im UN-Weltsicherheitsrat, ebenso wie die an der zunehmend hochkarätigeren Auswahl ihrer Gesprächspartner in Moskau sichtbar werdende Aufwertung der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) durch die Sowjetunion, die Verhandlungen des französischen Außenministers Jean Sauvagnargues mit PLO-Chef Arafat und die sich trotz des erwähnten Vetos hartnäckig behauptenden Gerüchte über bislang noch vertrauliche direkte Kontakte des Washingtoner State Departments mit der PLO — sind ebenso eindrucksvoll und zudem noch in wesentlich kürzerer Frist erreicht worden als die der Zionisten von der „Balfour-Deklaration“ über die Einrichtung einer jüdischen Heimstätte, 1917, bis zur UN-Resolution über die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina, 1947. Die einen brauchten dazu mehr als dreißig Jahre, die anderen weit weniger als dreißig Monate. Dieser Erfolgsliste internationalen Ausmaßes gesellen sich interarabische Erfolgsaspekte zu. Im Bürgerkrieg im Libanon spielten die Palästinenser eine eher mäßigende Rolle. Sie übernahmen unter anderem den Schutz der jüdischen Kolonien — Vorgriff auf den von ihnen angestrebten binationalen und trireligiösen Staat Palästina?

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Die PLO zog offenbar die Lehre aus ihrer Niederlage im jordanischen „Schwarzen September“, 1970; sie bildete diesmal keinen „Staat im Staat“, sondern bewährte sich als weitgehend staatserhaltender und deshalb unverzichtbarer Ordnungsfaktor. Das Prestige der Freischärler erreichte einen ungeahnten Scheitelpunkt. Alle arabischen Regierungen unterstützten offiziell ihre Forderung auf Rückkehr in ihre Heimat und nationales Selbstbestimmungsrecht. Der Ostblock und ein wachsender Teil der westlichen öffentlichen Meinungen haben Sympathie für ihren Wunsch, aus den Flüchtlingslagern endlich nach Palästina zurückzukehren. Die Genfer Friedensverhandlungen werden eher überhaupt nicht mehr wieder aufgenommen — als ohne die Guerille-ros. Nichts geht mehr ohne die Palästinenser! Wie stark aber sind sie wirklich und was wollen sie?

Resignation und Frustration

Machmut Abu Hadi stammt aus Haifa. Die ersten zehn Jahre seines Lebens verbrachte er in einem Araberviertel der heute israelischen Mittelmeerhafenstadt. Der Unterschied zwischen dem Wohlstand der Juden und der Armut der Araber führte in dieser Familie anscheinend zu unbewältigbarer Frustration. 1948 ließ sie die gesicherte Existenz im Stich und floh über die libanesische Grenze. Machmut lebt seitdem in einem der Flüchtlingslager im Weichbild von Beirut. Hier starben die Eltern, hier fand er seine Frau, hier wurden seine acht Kinder geboren. Er gehört zu jenen, die es, nicht schafften, herauszukommen und etwas zu lernen. Er hat keine Existenz und lebt von den Zuwendungen der UN-Flüchtlingsorganisation und anderer mildtätiger Institutionen. Die Frau verkauft handwerkliche Stickereien. Die Kinder trugen zum Lebensunterhalt bei durch Betteleien im Viertel der Luxushotels. Seit Beginn des Bürgerkrieges vor neun Monaten ist das vorbei — mangels Touristen.

Machmut vertrieb sich die letzten knapp dreißig Jahre mit dem Trick-Track-Spiel. Wie die meisten seiner Generation. Trotz Nichtstuns frühzeitig gealtert, hockt er heute den langen Tag stumpfsinnig vor sich hinbrütend in einer Ecke, zwischen den Beinen einen dicken Knotenstock, so, als wolle er jeden Augenblick aufbrechen zur Heimkehr nach Haifa. Er erlebte, wie aus den provisorischen Zeltunterkünften primitive Hütten und aus ihnen feste Steinhäuser wurden, mit fließendem Wasser und Elektrizität. Er sah mit

an, wie seine Kinder erwachsen wurden, der Älteste das Lager verließ, um etwas zu lernen, und wiederkam — als „Fedai“. Nichts riß ihn aus seiner Resignation. Der Verlust der Heimat, den bäuerlichen und Urbanen Palästinensern weit mehr ans Herz gewachsen als etwa den nomadisierenden Beduinen ihre karge Wüste, brach ihm schon früh das moralische Rückgrat.

Diese Entschlußlosigkeit brachte ihn allerdings keineswegs um den politischen Verstand. Schon vor

dem Sechstagekrieg sagte er mir: „Die Araber nützen uns doch nur aus für ihre eigensüchtigen Ziele!“ Unter dem Beifall seiner Freunde meinte er damals: „Die PLO ist eine Agentur des arabischen Imperialismus, denen geht es doch auch nur um den Besitz unseres Landes!“

Doch dann kam jener Mohammed Abder Rachman Abder Rauf Jassir Arafat el-Kuds el-Husseini, genannt „Abu Ammar“. Der Jerusalemer, Neffe des verstorbenen Großmuftis Hadsch Emin, Elektrotechnikstudent und erfolgreicher Bauunternehmer in Kuwait, riß — und Machmut glaubt das felsenfest — das Schicksal seines Volkes herum. Im Lagerkino sah Machmut,, der früher nie etwas mit den Freischärlern zu tun haben wollte, (und nichts mehr verabscheute als ihre Terrorakte), die „Palmzweig-und-Kalaschnikow-Rede“ im New Yorker UN-Glaspalast. Vom Radio ist er seitdem kaum noch wegzubringen. Und er liest jede erreichbare Zeitung.

Machmut ist typisch für die Masse der nicht integrierten und wohl auch kaum noch einmal integrierbaren Lagerinsassen. Er und seinesgleichen

hoffen jetzt am meisten auf die Heimkehr und ein „besseres Leben“ in der wiedergewonnenen Heimat. Einen Beitrag leisten werden sie kaum dazu. Im Gegenteil: Sie sind eine äußerst problematische Hypothek für einen möglichen Palästinastaat.

Allerdings, und das ist neu, rekrutiert sich die Anhängerschaft der PLO keineswegs mehr allein aus dieser „verlorenen Generation“.

Elias Nakkasch ist ein anderes Beispiel: 1948 war er noch ein Säugling. Er wurde nicht gefragt, ob er weggehen wolle. Seine Eltern flüchteten ebenfalls, fanden aber in Trans Jordanien rasch eine neue Existenz. In Amman bedurfte man für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des armen und rückständigen Beduinenemirates damals dringend der zivilisatorisch überlegenen Palästinenser. Elias ist Christ und erfolgreicher „Modearzt“ in der jordanischen Hauptstadt. Seine Praxis ist immer voll; er verdient sich „krank“, wie er sagt, und seine Kinder studieren in London und Paris. Und er denkt keineswegs an „Heimkehr“.

„Hier habe ich mein Auskommen und meine Heimat“, sagt er. „Aber ein Wochenendhaus daheim wäre doch ganz schön ...“ Er unterstützt finanziell die PLO. Er beziffert die Zahl der rückkehrwilligen Flüchtlinge in einen eigenen Staat auf höchstens zwei von insgesamt drei Millionen. „Wer in Kuwait, Saudi-Arabien, Ägypten oder Nordafrika zu Wohlstand gelangte, riskiert kein problematisches ,neues Leben' in einer sehr wahrscheinlich sozialistischen Umwelt“, meint er.

Elias denkt an einen palästinensischen „Stellvertreterstaat“ nach Art des Zionismus. „Die Armen, die Flüchtlinge, die es zu nichts brachten, kehren heim,“, prophezeit er,

„die Reichen unterstützen sie, so wie die Rothschilds Israel!“

Es läßt sich noch immer kaum sagen, wie stark die PLO und ihre Untergruppen politisch einzuschätzen sind. Die Dachorganisation ist vielleicht am ehesten mit einer der in den arabischen Staaten modischen Einheitsparteien oder mit einer westlichen „Volkspartei“ vergleichbar. In ihr gibt es nahezu alle denkbaren politischen Strömungen — von der extremen Rechten bis zur extremen Linken.

Die „El-Fatah“

„El-Fatah“ ist unbestritten die größte Gruppe, anzusiedeln etwa auf der politischen Mitte. Ihren Einfluß (er stellt den aller anderen Gruppen weit in den Schatten) verdankt sie keineswegs ihren Erfolgen auf dem Gebiet des Kleinkrieges, sondern ihrer systematischen sozialen Aufbauarbeit. In Jordanien verfügte sie bis zum „Schwarzen September“ 1970, und im Libanon verfügt sie noch heute über eine vorbildliche wirtschaftliche und soziale Infrastruktur innerhalb der Flüchtlingslager. Die ölstaaten und die zu

Wohlstand gelangten Landsleute finanzierten ihr ein Netz von Altersheimen, Schulen, Krankenhäusern, Ausbildungsstätten, Gemeinschaftsküchen und — last, but not least — Fabrikationsanlagen. In ihnen fabriziert man jedoch keineswegs nur Munition und Waffen, wie der israelische Geheimdienst glaubt, sondern handwerkliche und kleinindustrielle Produkte für den Export in viele Länder, und hier auch nicht nur des Ostblocks.

Wer bei „Weber“ in Zürich, „Au Printemps“ in Paris oder „Hertie“ in Frankfurt eine handgetriebene arabische Tischplatte oder ein gold-durchwirktes Kopftuch ersteht, kauft häufig, ohne es zu ahnen, eher das Produkt eines palästinensischen als etwa eines ägyptischen Herstellers.

Die „El-Fatah“ kennt, wie die übrigen PLO-Gruppen, keine regelrechten Mitgliederlisten. Sie hat zwar besoldete Funktionärskader und in der „Palästinensischen Befreiungs-Armee,“ (PLA) eine eigene Berufsarmee. Sie lebt durchaus nicht nur von den keineswegs regelmäßigen Almosen der reicheren arabischen Regierungen, sondern erhebt — wie übrigens auch die zionistische Bewegung bei den Diasporajuden — „Steuern“ bei ihren wohlhabenden Landsleuten im arabischen und nichtarabischen Ausland. Darüber hinaus verläßt sie sich allerdings noch ganz auf die Sympathie ihrer Landsleute und unternahm keinen organisierten und systematischen Versuch zur Mitgliederwerbung etwa auf Parteibasis. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche. Ihre Stärke deshalb, weil sie dadurch leichter für alle Palästinenser sprechen kann, ohne mit den etablierten politischen Kräften in den besetzten Gebieten direkt aneinander zu geraten. Ihre Schwäche, weil ihr bislang die politische Kaderorganisation für die nach der unvermeidlich scheinenden Gründung eines arabischen Palästinastaates ebenso unvermeidlich erscheinende Auseinandersetzung mit der „alten“ politischen Führungsgarnitur etwa in den besetzten Gebieten fehlt.

Die Bürgermeister

Palästina ist traditionell ein ungekröntes Königreich der Dorfbürgermeister. Und die Herren Bürgergermeister von Hebron, Nablus, Ramallah oder Bethlehem werden wohl kaum kampflos auf politische Pfründen und Macht verzichten, wenn es einmal soweit ist. Bethlehem ist dafür ein bezeichnendes Beispiel.

Im Kaffeehaus will zunächst niemand heraus mit der Sprache. Erst ein Paß mit dem „exotischen“ Geburtsort Kairo öffnet die Lippen. Die Jugend schwört auf Jassir Arafat. „Die Israelis haben uns nichts gebracht als schlechte Geschäfte“, heißt es hier. „Die Ausländer bemitleiden uns, und die Araber haben uns abgeschrieben!“ Man überbietet sich daher heute lieber rechtzeitig in Patriotismus. Aber das wäre eine zu einfache Erklärung. Die Palästinenser fühlten sich jahrzehntelang allein gelassen. Sie waren der hilflose Prellbock zwischen Arabern und Zionisten. Die PLO Arafats gab ihnen zum erstenmal nationales Selbstbewußtsein. So etwas gab es nicht im „alten Palästina“. Hier fühlte man sich mehr als in jedem anderen arabischen Land als Araber Und als sonst nichts. Hierzulande wurde denn wohl auch endgültig die Vision von der arabischen Einheit zu Grabe getragen. Die Jugend Palästinas setzt auf die nationale Selbstbestimmung in einem eigenen Staat Palästina.

Der Zionismus war dabei ungewollt ihr Beispiel. „Die Juden waren die Parias unter allen Völkern“, hat man hier erkannt. „Erst ihre Sammlung in einem eigenen Staat machte sie zu gleichberechtigten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft“.

Diese Urerfahrung möchte man jetzt nachvollziehen. Vehikel dazu ist

die PLO. Das erkannten jetzt sogar die erzkonservativen Notabein der israelisch besetzten Gebiete. Sie machen sich neuerdings Gedanken über eine eigene politische Vertretung, öffentlich begründen sie das mit der Notwendigkeit, Israel direk--te Verhandlungen mit der verhaßten PLO ersparen zu wollen. Im Herzen denken sie dabei sicher vor allem an die Hinüberrettung ihres traditionellen Einflusses. Wenn man daran denkt, daß israelisch-arabische Verhandlungen über die Zukunft Palästinas schon vor der zionistischen Staatsgründung immer wieder daran scheiterten, daß es keine verantwortliche oder von irgend jemand verantwortlich zu machende palästinensische Vertretung gab, sondern man auf arabischer Seite immer nur für Jerusalem, Hebron, Ramallah oder sonst irgendein Dorf sprechen konnte, erkennt man erst den ganzen Erfolg der PLO.

Nachweisbar ist zweierlei: Die PLO und vor allem ihre Führungsgruppe „El-Fatah“ setzt nicht mehr auf blinden Terror, sondern auf diplomatischen Terraingewinn. Spürbar nachgelassen hat auth der Terror der linksradikalen Randgruppen. Das ist ein in seiner Tragweite noch gar nicht abzuschätzender Erfolg der Disziplinierung durch die Arafat-PLO. Sie geht jetzt erst einmal aus von dem Nahziel der Gründung eines arabischen Palästinastaates. Der ist freilich nicht das Endziel. Die PLO-Leute waren bislang durch nichts zu einer Anerkennung des Existenzrechtes für den zionistischen Staat zu bewegen. Sie verzichten denn wohl auch nie auf die Hoffnung, ihn irgendwann doch noch auflösen zu können. Sie argumentieren: „Spätestens in zweihundert Jahren haben die Araber die Mehrheit in Israel!“

Die Zeit arbeitet also gegen den traditionellen Zionismus, zumal er alles zur echten Eingliederung der orientalischen Juden in die zionistische Gesellschaft unterläßt. Das Forschungsinstitut, das die PLO in Beirut unterhält, schaut bereits weit In die Zukunft: „Die orientalischen Juden sind unsere künftigen Bundesgenossen.“

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