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Die Stunde der Wahrheit für den Nahen Osten
Auf der „Achille Lauro“ und im Vorzimmer des Foreign Office ist eine Entwicklung zu Ende gegangen, die im März 1974 mit der Umarmung von Jasser Arafat durch Bruno Kreisky begonnen hatte.
Alle bisherigen Kunstgriffe, um aus dem Sumpf der arabischen Gewalt wenigstens die palästinensische Befreiungsorganisation PLO heraus und von dem heute schon viel radikaleren und umfassenderen Terror der Islamisten abzuheben, waren von der vermeintlichen Bereitschaft Ärafats ausgegangen, seinen „Volksbefreiungskrieg“ auf den Rahmen des Völkerrechts zu beschränken und in der Zukunft mit Israel im Austausch für ein arabisches Hoheitsgebiet in Palästina und unter Berücksichtigung von Ansprüchen der palästinensischen Heimatvertriebenen aus dem Bereich des jüdischen Staates Frieden zu schließen.
Nach vielen anderen warnenden Vorzeichen haben aber jetzt in der Praxis das Geiseldrama um die „Achille Lauro“ und grundsätzlich die Verweigerung eines Gewaltverzichtes durch die PLO-Unterhändler Bischof Elia Chari und Bürgermeister Muhammad Mulhem in London gezeigt, daß sich bei den Palästinensern nur taktisch, aber eben nicht wesentlich etwas geändert hat.
Zwar hat die PLO gleich am Dienstag über Arafats Stellvertreter in Amman, Chalil al-Wasir, erneut den Eindruck zu erwecken versucht, daß sie dennoch friedliche Absichten habe.
Doch ist eben in dieser Woche die Wahrheit für Nahost neben dem Gewaltverzicht und der Friedensbereitschaft des vorgeblich gemäßigten Palästinenserlagers auch die Glaubwürdigkeit seiner Lippenbekenntnisse völlig auf der Strecke geblieben. Man denke nur an“ das unverschämte Ableugnen des Mordes an dem hilflos in seinem Rollstuhl sitzenden Leon Klinghoffer.
Da hatte es von Seiten der Arafat-Jünger geheißen: der Behinderte habe Selbstmord begangen, sei ins Wasser gefallen, vom amerikanischen CIA versteckt worden oder habe gar das Schiff unbemerkt in Alexandria verlassen.
Erst jetzt hat die Auffindung seiner Wasserleiche durch die syrische Küstenwache beim Hafen Tartus die Terroristen auch in diesem Punkt ihres Netzes feiger Ausreden Lügen gestraft.
Man muß es den Syrern hoch anrechnen, daß sie ihren PLO belastenden Fund nicht auch verheimlicht haben. Uberhaupt hat es jetzt den Anschein, daß in der ganzen sogenannten „arabischen Ablehnungsfront“ von Bagdad bis zu den Anti-Arafat-Palästinensern unter Abu Mussa gar nicht so sehr die wirklich radikaleren, sondern einfach die ehrlicheren Leute sitzen.
Fragen der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit drängen sich jetzt auch hinsichtlich Ägyptens auf, dem bisherigen Paradepferd der Amerikaner und des ganzen Westens in Sachen Frieden mit Israel.
Schon an Sadats wirklich aufrichtiger und langfristiger Friedensbereitschaft hatte es berechtigte Zweifel gegeben.
Der „Friedenspräsident“ von Kairo war aber ein viel zu schlauer Kopf und gerissener Diplomat, um nicht immer wieder alle Bedenken seiner israelischen und amerikanischen Partner mit einer grandiosen Geste vom Tisch zu wischen.
Wäre jetzt Sadat, und nicht sein wesentlich kleinformatigerer Nachfolger Mubarak in Kairo am Ruder gewesen, so hätte sicher auch das Einlaufen der „Achille Lau-ro“ in Port Said nach der Flucht der palästinensischen Mordpiraten ganz anders ausgesehen: von Sadat wären Passagiere und Mannschaft nach der 72stündigen Zerreißprobe für ihre Nerven persönlich und mit strahlender Gattin Dschihan am Arm im gastfreundlichen Ägypten willkommen geheißen und ihnen allen ein Erholungsurlaub am Roten Meer offeriert worden.
Stattdessen geriet der italienische Luxusdampfer mit Mann und Maus aus der Gewalt der Terroristen in den mehrtägigen Gewahrsam der ägyptischen Polizei und ihrer Schikanen.
Auch ist es weiter ungeklärt, ob der Panzerschrank des Schiffes mit Schmuck im Wert von über zehn Millionen Schillint wirklich von dem Kommando der palästinensischen Befreiungsfront PLF oder nicht gar erst von den Ägyptern bei ihrer „Durchsuchung“ ausgeräumt wurde.
Seinen ganzen politischen Kredit im freien Westen hat Mubarak aber dann durch seine Lügen über den Verbleib der Mordbuben von „Achille Lauro“ aufs Spiel gesetzt.
Auch jetzt, nachdem die Amerikaner, die von ihren ägyptischen Fluchthelfern fast schon ins Trok-kene gebrachten Terroristen doch noch abgefangen haben, spielt der ägyptische Staatschef weiter den Beleidigten und besteht auf einer ausdrücklichen und öffentlichen Entschuldigung von Präsident Reagan „beim letzten Ägypter“ für das Aufbringen der ägyptischen Regierungsmaschine durch die amerikanische Luftwaffe.
Auch der Blitzbesuch des sudanesischen Ministerpräsidenten Daf aaliah in Kairo auf dem Höhepunkt des Terrordramas soll mit gemeinsamen Avancen an die Sowjetunion zusammenhängen.
Das neue Regime des Sudan hat jetzt auch verdächtigerweise bei seiner Wiederannäherung an Ägypten zwar etwas mit Libyen, doch ganz und gar nicht mit Moskau gebrochen. In Khartum steht vielmehr das Eintreffen einer großen sowjetischen Militärdelegation bevor.
Wenn man überhaupt dem letzten Leitartikel der Zeitung AI Wa-tan (Das Vaterland) in Kuwait glauben will, droht eine fast panarabische Hinwendung zu den Russen vom Nil bis Saudiarabien.
Der ägyptischen Bevölkerung scheint das alles noch immer viel zu wenig zu sein. Es war beängstigend, was in Kairo bei den wilden Demonstrationen dieser Tage gegen die USA und Israel an verborgenem Haß zum Ausbruch gekommen ist.
Aber auch diese Einsicht, daß die nahöstliche Friedenspolitik des letzten Jahrzehntes bei den arabischen Massen im Grunde ganz und gar nicht populär war, gehört mit zu dieser Woche der Wahrheit.
Für König Hussein, von Jordanien, der als einziger wirklicher „Friedensfürst“ im ganzen Nahen Osten übrig geblieben ist, muß das allerhöchste Vorsicht vor einem Alleingang zum Ausgleich mit Israel bedeuten.
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