Israel I: Überall nur mehr Feinde

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Wir sind bereit für die Schlacht um Jerusalem, die uns Israel aufgezwungen hat. Wir werden uns mit allen Mitteln den Versuchen widersetzen, unsere besetzte arabische Stadt zu judaisieren. Diese Mittel schließen politischen und bewaffneten Widerstand mit ein." Es ist eine eindrucksvolle Kehrtwende, die Abu Ala mit solchen Worten signalisiert. Der palästinensische Unterhändler zählt zu den Architekten der Osloer Verträge von 1993, die Israel und die Palästinenser nach einer Übergangsphase schließlich zum Frieden führen sollten. Nun hat auch dieser Friedensaktivist resigniert. Abu Alas Wandel ist eines der beängstigenden Zeichen dafür, dass die dramatische Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern zunehmend die Basis des Friedensprozesses zerstört.

Zu einer Waffenruhe ist die Mehrheit der Palästinenser ohnedies weniger denn je bereit. Die Befreiung des Orient Hauses in Jerusalem, das Israels Premier Ariel Sharon in einer Überraschungsaktion gemeinsam mit anderen palästinensischen Institutionen, schließen ließ, wurde zum neuen Schlachtruf einer zutiefst verbitterten palästinensischen Gemeinschaft. Dass sie auch die härtesten israelischen Vergeltungsmaßnahmen nicht von einer Fortsetzung der Gewalt abzuhalten vermögen, beweisen die erneuten Selbstmordattacken im Herzen Israels, die den Israelis immer wieder einen schweren Schock versetzen, beweisen sie doch, dass selbst die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen keinen Schutz bieten.

"Töte uns, und wir töten dich", lautet das neue Motto der Intifada. Schon vor den jüngsten dramatischen Ereignissen sahen sich Arafat und seine Autonomiebehörde empfindlich geschwächt. Nun steckt der Palästinenserchef vollends in der Klemme. Der Zorn der Bevölkerung über Sharons Politik der Provokationen treibt nach der Besetzung des Orient Hauses dem Höhepunkt zu. Er hätte die Palästinenser in ihre empfindlichsten Teile getroffen, rühmt sich Israels Premier und ignoriert zugleich die Warnungen, dass er damit einen Akt mit unabsehbaren Konsequenzen gesetzt hat. Das Orient Haus symbolisiert für die Palästinenser ihre Sehnsucht nach einem Staat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. Es war der jetzige Außenminister Schimon Peres, der 1993 den Palästinensern im geheimen die ungehinderte Funktion dieser Institution zugesagt hatte, wiewohl die Osloer Verträge die Palästinenser verpflichten, Regierungsaktivitäten auf die von ihnen kontrollierten Gebiete zu beschränken. Und Jerusalem zählt nach israelischer Auffassung nicht dazu, da es die "ungeteilte, ewige Hauptstadt" Israels bleiben müsse.

Rechten Israelis war das Orient Haus schon lange ein Dorn im Auge, da es den palästinensischen Anspruch auf Souveränität über den Ostteil der Stadt bekräftigt. Schon 1999 hatte der damalige Premier Benjamin Netanyahu - erfolglos - versucht, das Gebäude zu schließen. Nun bot der Terror Sharon den Vorwand, den lange ersehnten Schritt gegen diesen "palästinensischen Staat in der Mitte von Jerusalem" zu setzen.

Der Verlust dieses Hauses versetzt Arafats Prestige einen empfindlichen Schlag. Zum erstenmal seit Beginn des Osloer Prozesses stehen mehr Palästinenser hinter Hamas, Islamischer Jihad und der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" als hinter Arafats Fatah. Um nicht noch an Rückhalt unter der Bevölkerung zu verlieren, setzt Arafat verzweifelte Schritte, die ihn wieder in Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft bringen:

Todesstrafe für Spione

Unter massivem Druck radikaler Palästinensergruppen, aber auch aus der Bevölkerung hat die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nun dem Feind im Inneren den Kampf angesagt. In Schnellverfahren, die oft nicht mehr als zehn Minuten dauerten, wurden in den vergangenen Tagen zahlreiche angebliche Kollaborateure mit Israel zum Tode verurteilt. "Du bist Dreck und ein Feigling", brüllte ein Zuschauer im Gericht der westjordanischen Stadt Nablus Munzer Hafnawi entgegen, dem Besitzer eines Kleidergeschäftes, den man verdächtigt, er hätte zwei von Israel ermordete Hamas-Aktivisten in eine Falle gelockt. Hafnawi leugnet dies, gesteht jedoch seinen 20-jährigen Kontakt mit israelischen Sicherheitskräften ein. Das genügt allen im Gerichtssaal, um seinen Tod zu fordern.

Menschenrechtsorganisationen klagen, dass Kollaborateure in Haft mitunter schwer gefoltert werden, oft keine Chance besäßen, sich selbst oder durch einen Anwalt vor Gericht zu verteidigen und gegen das Urteil nicht berufen können. Seit 1995 wurden 40 Todesurteile in höchst unfairen Prozessen verhängt. Häufig reicht der leiseste Verdacht des Kontakts mit Israel zur Verhaftung. In der Region Bethlehem wurde etwa ein Mann 44 Tage lang gefangengehalten und schwer gefoltert, nur weil er mit einem im Vorjahr von Israel getöteten Fatah-Kommandanten telefoniert hatte. Er war unschuldig.

Als die Palästinenserführer 1993 nach jahrzehntelangem Exil in Palästina die PA errichteten, fanden sie dort ein dichtes Netz von etwa 5.000 Informanten für Israel vor. Viele dieser Spione flüchteten nach Israel, kehrten jedoch im Laufe der Jahre wieder - mit neuen Aufträgen - in die Heimat zurück. Israels Politik gezielter Attentate auf radikale Palästinenser hat die Diskussion über die palästinensischen Spione erneut entflammt, denn ohne Kollaborateure wäre Israels Tötungsstrategie keineswegs so erfolgreich, was den Hass vieler Palästinenser auf diese "fünfte Kolonne" in ihrer Mitte wachsen lässt. Feldkommandeure der Intifada drohen, das Recht selbst in die Hand zu nehmen, wenn die PA diese Verräter nicht inhaftiere. "Wir versprechen dem Volk, dass wir den Spionen eine Lektion erteilen werden", warnt etwa die "Al-Aksa-Brigade", der harte Kern von Arafats Milizen.

Viele dieser Kollaborateure sind kaum 20 Jahre alt und häufig ungebildet. Israelis locken sie mit Arbeitsbewilligungen für Israel und Ausreiseerlaubnissen aus den Palästinensergebieten, mit Importlizenzen für Geschäftsleute oder schlicht mit Geld. Anwälte weigern sich die Verteidigung der Kollaborateure zu übernehmen, weil solche Fälle ohnedies keine Erfolgsaussichten haben, aber auch weil sie um ihr Ansehen fürchten. Immer öfter verweigern palästinensische Spitäler verwundeten Spionen die Aufnahme und jüngst distanzierte sich eine Mutter in einem Zeitungsinserat von ihrem bei einem Anschlag getöteten Sohn, der Israel Informationen geliefert hatte. Sie verurteilte die "hässliche Tat".

Arafat im Dilemma

Für Arafat bedeuten die Spione ein schweres Dilemma. Todesurteile können erst nach seiner Unterschrift vollstreckt werden. Damit würde er sich zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt verschärfter internationaler Kritik aussetzen, während intern der Druck auf die Bestrafung der Verräter wächst. So agiert der palästinensische Sicherheitsdienst in Eigenregie. In den letzten neun Monaten wurden mindestens 20 der Kollaboration Verdächtige ermordet. Die Suche nach Spionen bringt Palästinenser gefährlich gegeneinander auf und manche nutzen den patriotischen Vorwand auch für persönliche Blutrache.

Während der palästinensisch-israelische Konflikt stetig an Brutalität zunimmt, droht durch die zunehmende Schwächung der PA die palästinensische Gesellschaft zugleich in eine gefährliche Anarchie zu entgleiten, in der Arafat die Kontrolle über Milizen und Sicherheitskräfte mehr und mehr entgleiten könnte und das Morden kein Ende nimmt.

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