In ihrem neuen Buch beschreibt Amira Hass die Eskalation des Nahostkonfliktes in den letzten vier Jahren.
Man muss keine Sympathien für Selbstmordattentäter haben, wenn man einen Zusammenhang zwischen der militärischen "Terrorismusbekämpfung" von Ariel Sharon und der Zunahme von Selbstmordattentaten sieht. "Die Anzahl der Jugendlichen, die bereit sind zu sterben, übertrifft bei weitem die Anzahl aller planbaren Anschläge", notiert die israelische Journalistin Amira Hass in ihrem neuen Buch gewohnt nüchtern. Die Bereitschaft, als menschliche Bombe zu töten, wächst für Hass nicht zuerst aus religiösen Vorstellungen, sonder aus den unerträglichen Lebensbedingungen in den Palästinensergebieten: den täglichen Demütigungen an Checkpoints, den Hauszerstörungen, Besetzungen, scharfen Schüssen der israelischen Armee - und dem Fehlen einer politischen Perspektive für die Palästinenser. "Die Hamas wird so lange weitermachen, wie sie die Unterstützung der Öffentlichkeit besitzt." Darum ist die Liquidierung von Hamas-Führern vermutlich genauso effektiv zur Terrorbekämpfung wie ein Fass Öl, um einen Brand zu löschen.
Aber die analytischen Fähigkeiten seien auf beiden Seiten durch Schmerz und Rachewünsche stark getrübt, so die Journalistin. Mit ihren Artikeln und Kommentaren aus den Palästinensergebieten versucht Amira Hass gegen die Trübung des Blicks anzuschreiben. Sie will ihren Landsleuten den Schmerz der Palästinenser vermitteln und die Komplexität der palästinensischen Gesellschaft: Arafat ist nicht der Drahtzieher des Terrors; er ist vielmehr ein Getriebener der radikalen Gruppen, die ihm die Popularität ablaufen; und seine korrupte palästinensische Autonomiebehörde ist bei vielen seiner Landsleute genauso unbeliebt wie die israelische Armee.
Anders als ihr erstes Buch ("Gaza", siehe Furche 26/2003) ist das neue Buch eine Sammlung von Zeitungsartikeln, die keinen durchgehenden Zusammenhang haben. Eine Überschrift und eine kurze Einleitung in den jeweiligen Kontext hätte das Verständnis für Leser außerhalb Israels verbessert. Das Glossar am Ende kann diesen Mangel nicht ausgleichen. Außerdem wäre eine Karte von Israel und den Palästinensergebieten mit den A, B und C-Zonen hilfreich. Dieser Mangel ist völlig unverständlich, da Hass selber schreibt, dass erst ein Blick auf die Landkarte deutlich macht, dass Arafat in Camp David eben nicht ein "großzügiges Angebot" abgelehnt habe, sondern einen kaum überlebensfähigen Flickenteppich. Außerdem macht erst eine Karte mit den jüdischen Siedlungen im Westjordanland klar, warum ein Zwei-StaatenModell inzwischen fast unmöglich geworden ist. (Hierfür muss man auf die Homepage des Israelischen Zentrum für Menschenrechte in den Besetzten Gebieten B'Tselem www.btselem.org zurückgreifen.)
Es leben so viele Israelis im Westjordanland, dass eigentlich nur ein bi-nationaler Staat in Frage kommt. Viele Palästinenser hofften im Stillen auf eine demogra-fische Lösung des Problems, so Hass, denn in nicht zu ferner Zukunft werden in Israel und den Palästinensergebieten mehr Palästinenser als Israelis leben: "Und dann wird der Kampf - wie in Südafrika - ein anderer sein: One person, one vote' - jedem eine Stimme."
Bericht aus Ramallah
Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet
Von Amira Hass
Aus d. Engl. von Andrea Panster
Diederichs Verlag, Kreuzlingen/München 2004. 232 Seiten, geb., e 20,60
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