Keine Sippenhaftung für Israel

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Ist der Protest gegen die gegenwärtige Politik Israels antisemitisch? Dies lässt sich in einer anderen Frage zusammenfassen: Wer übt wie, aus welchem Anlass und auf welche Weise Kritik am Staat Israel?

Der Konflikt zwischen dem Staat Israel, den um einen eigenen Staat ringenden Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten, der den anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nahen Osten zugrunde liegt, zählt zu den kompliziertesten und längstdauernden Konflikten unserer Zeit. Seine Auswirkungen reichen über die zahlreichen Todesopfer und das Leid ihrer Hinterbliebenen, die unzähligen Invaliden und Geschädigten auf Seiten der Israelis und der Palästinenser weit hinaus - bis hin zu dem vor einigen Jahren von Samuel Huntington postulierten "Kampf der Kulturen". Obwohl die tatsächliche Lösung dieses Konflikts letztlich den Beteiligten vor Ort vorbehalten ist, hat sich die Auseinandersetzung zum Teil in alle Welt verlagert.

Während israelische und palästinensische Behörden bis hin zu Ministerpräsident Ariel Sharon und dem Chef der Autonomiebehörde Jassir Arafat immer wieder zum Gespräch zusammenfinden, scheint die Debatte hierzulande ein kommunikatives Patt erreicht zu haben. Zuletzt waren Aussagen rund um eine Veranstaltung der Wiener Grünen mit dem Titel "Krieg im Heiligen Land" Gegenstand einer öffentlichen Antisemitismus-Diskussion. Davor waren Stellungnahmen von Pax Christi einschlägig kritisiert worden. In diesen und vielen anderen Fällen wurde in Frage gestellt, inwieweit vordergründige sachliche Positionen gegenüber Israel von unterschwelligen antisemitischen oder antizionistischen Motivationen getragen wären. Selbst Wohlmeinende und Informierte hadern, ob sie sich eine eigene Position gegenüber dem Nahostkonflikt "leisten" könnten, ob sie damit nicht einem im Eigenen tief verwurzelten Antisemitismus zum Ausbruch verhälfen.

Opfer-Täter-Umkehr

Denn nicht immer zeigt sich Antisemitismus in der offensichtlichen Fratze eines Bierhallenredners: "Also, ich versteh das nicht", fragte eine in der Erwachsenenbildung tätige Frau, "wie können die Israelis, die doch in der Geschichte so viel eigenes Leid erfahren haben, den Palästinensern dieses Leid zufügen, wie können Opfer zu solchen Tätern werden?" Diese in der öffentlichen Meinung häufig anzutreffende Opfer-Täter-Umkehr - verkleidet in einer scheinbar berechtigten, naiven Frage - beinhaltet eine Gleichsetzung heutiger Israelis mit Nationalsozialisten, und heutige Israelis werden für das Leid ihrer Vorfahren in Sippenhaft genommen. Deswegen, weil Juden in ihrer kollektiven Geschichte oft verfolgt und mit dem Tod bedroht wurden, zuletzt in der beispiellosen nationalsozialistischen Judenvernichtung in Mittel- und Osteuropa unter aktiver Mithilfe von Österreichern, deswegen fordern wir von heutigen Israelis ein bestimmtes Verhalten ein?

Israelis werden wie "die Juden" über die Zeiten hinweg als homogene Projektionsfläche wahrgenommen und an Israelis wird die Nazi-Täterschaft im Nachhinein durch eine als solche dargestellte Täterschaft gegenüber den Palästinensern egalisiert. Vergleichbare Rollenumkehrungen liegen den Bezeichnungen israelischer "Staatsterrorismus" und "Kriegsverbrecher Ariel Sharon" zu Grunde. Dieser Rollentausch hängt mit einer emotionalen Blockade aus unbewältigter Schuld und aggressivem Hass zusammen und verhindert eine differenzierte Beurteilung der Lage im Nahen Osten ebenso wie der eigenen Kritik, die von den Kritikern selbst freilich als besonders intellektuell und richtig wahrgenommen wird.

Verkleideter Antisemitismus

So bezeichnen sich fälschlicherweise und verharmlosend all jene als Antizionisten, die in ihrer Kritik die Existenzberechtigung des Staates Israel anzweifeln und damit der Haltung der Arabischen Liga folgen, die eine Anerkennung Israels bis heute unterlassen hat. Zionismus ist aber nichts anderes als das der Staatswerdung Israels zu Grunde liegende Konzept für das ab Ende des 19. Jahrhunderts zunächst in Russland zunehmend existenziell bedrohte Judentum, und dieses Konzept hat mit der Staatswerdung Israels 1948 seine Umsetzung erfahren. Eine Wiederbelebung der ursprünglich ausschließlich innerjüdischen Zionismusdebatte, die sich um das Selbstverständnis jüdischer Identität in der Moderne drehte, in Form eines von Nichtjuden getragenen Antizionismus ist nichts anderes als moderner Antisemitismus, der sich eben darin äußert, Israel das Existenzrecht als Staat abzuerkennen.

Die Verkleidung von Antisemitismen mit Begriffen und Zitaten aus der innerjüdischen bzw. der innerisraelischen Diskussion ist eine beliebte Taktik für Israel-Kritiker, die sich hinter kritischen (jüdischen) Stimmen, vorzugsweise aus Israel verstecken. Ähnlich verhält es sich mit dem Vergleich israelischer Politik mit dem ehemaligen Apartheidsystem in Südafrika. In Südafrika ging es darum, ein menschenverachtendes Herrenmenschensystem kompromisslos abzuschaffen. Was bedeutet diese Analogie aber in Bezug auf Israel? Die Abschaffung des Staates Israel?

Nur von Ex-Kollaborateuren?

Die öffentliche Infragestellung der Existenzberechtigung des Staates Israel ist einzigartig: Welcher andere demokratische Staat wird in seiner Existenz derart angezweifelt und in Frage gestellt? Vor allem in den ehemals nationalsozialistischen und in jenen Ländern, deren Regierung beziehungsweise Bevölkerung mit den Nazis kollaborierten, wie etwa Deutschland, Österreich und Frankreich, ist die Vehemenz der Israel-Kritik - und zeitgleiche Häufung antisemitischer Tatbestände - auffällig: Warum zeigen diese Kritiker ausgerechnet am Nahen Osten ein so großes einseitiges Interesse, das sie an vielen anderen Orten der Welt mit viel zahlreicheren Todesopfern nicht haben?

Oder an Orten, die näher liegen: Warum ist etwa das EU-Kandidatenland und beliebte Urlaubsziel Türkei für Kritiker in Sachen Menschenrechte weniger spannend als Israel? Die seit zwanzig Jahren andauernden Massaker auf Sri Lanka haben über 60.000 Menschen das Leben gekostet - und blieben in Mitteleuropa doch weitgehend unbeachtet.

Unreflektierte Sympathien

Mit diesen beiden Seitenblicken soll vom Thema nicht abgelenkt werden. Natürlich gilt auch für den Nahost-Konflikt im Allgemeinen und für die israelische Politik im Besonderen, dass das Recht auf Einmischung von außen bei Gefahr auf Leben und Tod eine zivilisatorische Errungenschaft, zugleich humanitäre und moralische Verpflichtung für alle Zeitgenossen darstellt.

Wem aber nützt die skizzierte überzogene Kritik an Israel? Den Palästinensern? Sie stehen meist nur vordergründig im Zentrum des Interesses. So haben nur wenige unter den Kritikern eine Vorstellung über die Strukturen der palästinensi-schen Gesellschaft, die zu den aufgeklärtesten und gebildetsten unter den heutigen arabischen Kulturen zählt. Die palästinensische Gesellschaft verfügt sowohl über die politische Struktur der Autonomiebehörde unter Arafat, über alternative politische Gruppierungen - und über die Terrorgruppen.

Der vielschichtigen palästinensischen Bevölkerung ihre Handlungsfähigkeit abzusprechen, geht an der Realität vorbei. So hätten Palästinenser schon längst ihr Ringen um einen eigenen Staat mit der uneingeschränkten Anerkennung des Existenzrechtes Israel verknüpfen können. Darauf hinzuweisen und die fundamentalen Probleme innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zu thematisieren, ist für das Zustandekommen und Bestehen einer künftigen palästinensische Nation hilfreicher als simple Israel-Beschimpfung.

Für westliche Demokraten sind das von patriarchalischen und muslimischen Strukturen geprägte De-mokratieverständnis, die völlig unzulängliche Gerichtsbarkeit, die systemimmanente Korruption, die vor Hass gegen Israel strotzenden antisemitischen Schulbücher et cetera augenfällige Defizite eines Staates Palästina. Die unreflektierte Identifizierung mit den "unterdrückten" Palästinensern impliziert die Identifizierung mit autoritären, undemokratischen Strukturen. Diese Identifizierung ist auch dafür verantwortlich, dass die in den gewaltsamen Auseinandersetzungen getöteten Frauen, Männer und Kinder dann mehr zählen, wenn sie palästinensischer Herkunft waren, und weniger, wenn sie israelisch waren.

Humanistisches Weltbild

Die Beurteilung antisemitischen Gehalts von Kritik an Israel ergibt sich somit aus vielen Zutaten - abhängig von der Aussage selbst, vom Kontext, vom Akteur und seiner Motivation. Sie lässt sich in der folgenden Frage zusammenfassen: Wer übt wie, aus welchem Anlass und auf welche Art Kritik am Staat Israel?

Diese Differenzierung setzt freilich ein humanistisches Weltbild voraus, das eine religiöse oder profane Legitimation von Antisemitismus oder Terrorismus nicht zulässt - auch dann nicht, wenn es um das berechtigte und unterstützenswerte Freiheits- und Unabhängigkeitsstreben der Palästinenser geht.

Der Autor ist als "Researcher" am Istituto Universitario Europeo in Florenz tätig. Er ist Vorsitzender des in Gründung befindlichen "Forum für Israel (Österreichisch-Israelisches Dialogforum)", das sich der kritischen Information über Israel und insbesondere den antiisraelischen Stereotypen in der öffentlichen Diskussion widmen wird.

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