Der Nahost-Konflikt ist überall

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Auch wenn die Bewertungen der gegenwärtigen Politik Israels höchst unterschiedlich ausfallen: Der Nahost-Konflikt spielt massiv in die Antisemitismus-Debatte hinein.

Auch im Jahr 59 nach dem Ende der Schoa, der Judenvernichtung der Nationalsozialisten, bleibt der Antisemitismus auf der Agenda der europäischen Gesellschaften: Wer geglaubt hatte, das Problem der Judenfeindschaft wäre ad acta gelegt, wurde in den letzten Wochen und Monaten erneut eines Besseren belehrt.

Die Manifestationen davon können - wie der Vorfall letztes Wochenende zeigt - in "altbekannter" Form vorliegen: Unbekannte verwüsteten in der Hinterbrühl bei Mödling eine Gedenkstätte für den dortigen Ableger des KZs Mauthausen - u. a. wurde ein Gedenkstein an die 1.800 im April 1945 ermordeten Häftlinge mit dem Wort "Lüge" besprüht (vgl. Bild Seite 1). Ein anderes Beispiel sind die antisemitischen Ausfälle des mittlerweile aus der CDU ausgeschlossen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (Furche 46/2003).

Mainstream der Diskussion

Oder es nimmt - wie in Frankreich - tätliche Gewalt gegen Juden zu: Vor wenigen Wochen riet Frankreichs Oberrabbiner Joseph Sitruk jungen Juden gar, auf offener Straße keine Kippa zu tragen, sondern Schirmmützen: Die seien weniger auffällig und schützten vor Tätlichkeiten. Erst im November war in der Nähe von Paris eine jüdische Schule in Brand gesteckt worden (vgl. auch Bild rechts).

Ein skurriler Vorfall war - ebenfalls dieser Tage - die Aktion des israelischen Botschafters in Schweden, der über die Installation eines israelischen Künstlers in Stockholm so empört war (das Werk, so der undiplomatische Diplomat, verherrliche die Selbstmordattentate palästinensischer Terroristen), dass er es beschädigte.

Letztere Beispiele weisen zum "Mainstream" der Auseinandersetzung um Antisemitismus: den Nahost-Konflikt. Es ist zur Zeit kaum möglich, über Ressentiments gegen Juden nachzudenken, ohne auch den Nahen Osten im Blick zu haben: Die Angriffe gegen Juden in Frankreich sind da etwa im Kontext der Gewalt, die sich aus den - gettoisierten - muslimischen Milieus im Lande speist, zu sehen. Andererseits - siehe das Beispiel des rabiaten Botschafters - wird jede Kritik an der konkreten Politik des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon von seinen Anhängern durchaus als generelle Judenfeindschaft instrumentalisiert.

Es gibt auch gewichtige jüdische Stimmen, die dies mahnend unterstreichen. So meinte der französische Politologe Alfred Grosser, 79, eine intellektuelle Instanz im Land, wenn der Antisemitismus-Vorwurf dazu verwendet werde, die israelische Besetzungspolitik zu verteidigen, dann verliere er radikal an Glaubwürdigkeit. Grosser, dessen Familie 1933 aus Deutschland emigrieren musste, gab sogar den großen jüdischen Organisationen in Deutschland und Frankreich Mitschuld am "neuen Antisemitismus", weil sie sich ständig einseitig mit der "verbrecherischen Politik" von Ariel Sharon solidarisierten: "Sie machen jeden jüdischen Schüler zum Vertreter Israels. Man beschimpft sie als Juden, weil man Sharon beschimpft."

In Österreich findet man ebenfalls eine jüdische Stimme - ähnlich Alfred Grosser: Der in Wien tätige Politologe John Bunzl sieht den Antisemitismus-Vorwurf durch die Sharon-Anhängern ebenfalls politisch instrumentalisiert. Für Bunzl ist das deswegen gefährlich, weil dies eine "Banalisierung" des Antisemitismus darstellt. Der Politologe mahnt daher bei den in den letzten Wochen viel diskutierten Belegen zu großer Vorsicht, nach denen eine in Europa grassierende antiisraelische Sicht des Nahost-Konflikts den Antisemitismus wachsen lasse.

Da war einmal jene Studie, die - so der Vorwurf jüdischer Organisationen - von der EU-Stelle zur Beobachtung von Rassismus in Wien zurückgehalten wurde, weil sie ergeben habe, dass in den muslimischen Gemeinschaften Europas der Antisemitismus stark zunehme. Bunzl verteidigt die abwartende Vorgangsweise der EU-Rassismus-Stelle, weil die Qualität der Studie problematisch sei (die Studie im Web: http://eumc.eu.int/eumc/FT.htm).

Auch beim anderen "Aufreger" in diesem Zusammenhang mahnt Bunzl zu großer Vorsicht: Eine im November veröffentlichte "Eurobarometer"-Umfrage ergab, dass 59 Prozent der befragten EU-Bürger Israel als Gefahr für den Weltfrieden ansahen - in Österreich waren es sogar 69 Prozent! Die Umfrage wurde dann dahingehend ausgelegt, dass EU-weit Israel als weltgrößte Gefahr für den Frieden gelte: Wäre das nicht ein schlagendes Indiz dafür, dass uralte antijüdische Ressentiments heute unter dem Deckmantel der Israel-Kritik daherkommen?

Auf diese Umfrage gibt Bunzl ebenfalls wenig: Er ortet da methodischen Dilettantismus und meint, aufgrund der Fragestellung sei "Eurobarometer" nicht aussagekräftig. Bunzl sieht hierzulande nur geringe Zusammenhänge zwischen Antisemitismus und Nahost-Konflikt: Menschen, die schon antisemitisch eingestellt seien, würden durch die Vorgänge in Nahost wohl neue Nahrung erhalten; den Reaktionen auf den Nahost-Konflikt spricht Bunzl aber "nur sehr bedingt" das Attribut "Antisemitismus" zu.

Das alte Ressentiment

Eine andere jüdische Stimme aus Österreich formuliert ihre Position differnzierter: Martha S. Halpert, Wien-Korrespondentin verschiedener ausländischer Medien, behauptet zwar auch nicht, dass Kritik an Israel per se antisemitisch sei. Aber, so Halpert, man höre da oft schon das alte Ressentiment heraus. Vielfach handle es sich bei der Beurteilung Israels auch weniger um rationale Reflexion, denn um eine "Bauchentscheidung". Und da spielten die alten Muster wohl mit.

Halpert weist auch auf die lange Tradition palästinenserfreundlicher Stimmung hin: Das "Dreieck" der sozialdemokratischen Meinungsmacher der siebziger Jahre - Bruno Kreisky/Olof Palme/Willy Brandt - wirke immer noch; ihr damals erlangter "Underdog-Status" verschaffe den Palästinensern heute noch große Sympathie, während die Israelis als unsympathische Besatzer gelten (vgl. dazu auch Karl Pfeifers Schulbuch-Analyse auf Seite 3).

Warum aber wird da mit unterschiedlichem Maß gemessen: Israels Politik gilt als verbrecherisch, die Palästinenser und arabischen Länder, in denen westliche Menschenrechtsstandards kaum etwas gelten, kommen viel besser weg? Warum wiegt wenig, dass Israel im Gegensatz dazu eine Demokratie ist?

Martha S. Halpert führt das darauf zurück, dass viele in Europa die israelische Gesellschaft idealisieren: Auch da spiele der "Bauch" eine große Rolle: Man wolle, dass Israel ein idealer Staat sei, man habe sich so für Israel eingesetzt - und sei nun enttäuscht, dass auch diese Gesellschaft alles andere als perfekt ist. Als sprechendes Beispiel für eine solche Diagnose führt Halpert den Kommentar Gerd Bachers in der Presse vom 13. Dezember an, in dem der Ex-ORF-General genau diese Enttäuschung über das Nichteintreten seines Israel-Ideals thematisiert und daraus eine Generalanklage gegen das heutige Israel bastelt.

Typisch für die "andere" Seite der Auseinandersetzung war die Replik des Juden Peter Landesmann, ebenfalls in der Presse: Landesmann warf Bacher vor, mit Sharon & Co ordentlich ins Gericht gegangen zu sein, aber kein Wort über die Selbstmordattentäter gefunden zu haben. Interessanter aber noch ein weiterer Vorwurf Landesmanns: "Ein Satz daraus [aus Bachers Kommentar, Anm.] als Musterbeispiel: Für Politik und Taten sind Israel, sind Juden, ebenso verantwortlich, kritisier- und ablehnbar, wie alle anderen Staaten, Menschen oder Völker auch.'" Landesmann weiter: "Damit ich nicht missverstanden werde: Mein Einwand richtet sich nicht gegen die Gleichstellung Israels und der Juden mit anderen Staaten, Menschen oder Völkern. Meine Empörung betrifft die Verallgemeinerung, die in diesem Satz und diesem Kommentar zum Ausdruck gebracht wird: für die Politik einer Regierung nicht nur den ganzen Staat, sondern auch das Volk und in diesem Fall auch noch alle Juden dieser Welt verantwortlich zu machen."

Gratwanderung für alle

Wie soll man sich hierzulande dann zu Israel, zu den Juden, zum Nahost-Konflikt positionieren? Der Salzburger katholische Judaist Gerhard Bodendorfer brachte letzten Freitag bei einem Vortrag fürs St. Pöltner "Forum XXIII" einen weiteren Aspekt ins Spiel, der sich vor allem an Christen, denen um ein von den Belastungen der Vergangenheit freigespieltes Verhältnis zu den Juden zu tun ist, richtet: Christen, so Bodendorfer, müssten sich einerseits gegen jede antisemitische Vereinnahmung des Nahost-Konflikts entschieden wehren. Dazu sei Differenzierung notwendig - die derzeitige Politik Israels werde eben nicht von allen Israelis, geschweige denn von allen Juden gutgeheißen. Christen können sich nach den Worten Bodendorfers aber gar nicht aus dem Konflikt heraushalten, denn es dürfe Christen ja nicht verboten sein, "das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung zu sehen, die Willkür der israelischen Behörden zu kritisieren". Für Bodendorfer ergibt sich daraus, dass es nicht Aufgabe der Christen sein könne, "100-prozentig auf der einen oder anderen Seite" zu stehen. Gleichzeitig müsse aber die mühsam aufgebaute Verständigung zwischen Juden und Christen "auch in der Bedeutung des Landes für Juden" und in der ausdrücklichen "Verteidigung des Existenzrechtes Israels" seinen Ausdruck finden.

Dass dies - für alle Beteiligten - eine Gratwanderung darstellt, versteht sich da von selbst.

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