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Antisemitische Vorfälle gab es dieser Tage in Deutschland wie in Österreich. Während beim Nachbarn aber umgehend Zivilgesellschaft und Politik reagierten, übt man sich hierzulande im nonchalanten Umgang mit dem Problem.

Ein Rabbiner in Berlin wird tätlich angegriffen. Im Nu findet eine öffentliche Auseindersetzung dazu statt - von der Politik bis zur Zivilgesellschaft. Letztere organisiert einen Flashmob, bei dem sich die Teilnehmer mit Kippa am Kopf versammeln, um ein Zeichen der Solidarität mit dem verletzten Rabbiner zu setzen, oder eine Demonstration am Sonntag in Berlin. Vom Bundestagsvizepräsidenten und der Justizministerin abwärts reagiert die deutsche Politik gleichfalls prompt.

Hierzulande gehen die Uhren bei vergleichbaren Vorgängen leider anders: Dass letzten Donnerstag der jüdische Gemeinderabbiner von Fußballfans beschimpft wurde und die Polizei zugeschaut habe, lockte tagelang niemand hinter dem Ofen hervor. Und dass FP-Chef Strache im ORF-Sommergespräch schlicht und einfach bestritt, dass eine antisemitische Karikatur auf seiner Facebook-Seite antisemitisch wäre, blieb politisch zunächst kaum diskutiert. Unerträglich, dass Strache solche Dreistigkeit nachgesehen wird.

Keineswegs zur Tagesordnung übergehen

Man ist dem Leitartikler der Presse am Sonntag dankbar, dass er das Thema aufgegriffen hat. Auch die Vertreter der Kirchen ließen es an Klarheit nicht missen (vgl. Seite 19 dieser FURCHE). Aber öffentliche Beunruhigung in einem adäquaten Ausmaß ist mitnichten sichtbar. Insbesondere seitens der Politik.

Man darf jedoch beim Thema Antisemitismus aber keineswegs zur Tagesordnung übergehen. Sondern gerade Österreich steht es an, judenfeindlichen Bodensatz und dessen eindeutige Manifestationen aufzuzeigen, anzuprangern und zu bekämpfen.

Selbstredend, dass - um das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten - dabei auch Differenzierung nötig ist: Zum einen ist der Vorfall von Berlin in wichtigen Aspekten nicht mit den Wiener Vorkommnissen zu vergleichen. In Berlin ging es um Antisemitismus im muslimischen Milieu. Zweifellos stellt diese Facette auch in Österreich einen Teil des Vorurteils dar - doch die aktuellen antijüdischen Manifestationen hierzulande weisen diese Querverbindungen nicht auf.

Zum anderen sind die deutschen und österreichischen Fälle jedenfalls in der Notwendigkeit, darauf zu reagieren, aber doch in Beziehung zu setzen. Und hierbei ist der österreichischen Gesellschaft eine nonchalante Grundstimmung zu bescheinigen. Die zuletzt einmal mehr als lange Reaktionszeit auf die Vorfälle bestätigt diesen Befund.

Zusätzlich geht es vor allem bei der Debatte um Antisemitismus und Heinz-Christian Strache auch um die Abwägung, wie wichtig man die Ungeheuerlichkeiten des FP-Chefs nehmen soll und ob man seine inakzeptable Politik durch eine intensive öffentliche Diskussion nicht erst recht befördert.

Diese Gefahr besteht. Aber gleichzeitig hat Österreich in Sachen Antisemitismus nicht nur eine historische Schuld weiter aufzuarbeiten, sondern daraus resultierend die Verpflichtung, klar und eindeutig Stellung zu beziehen. Wenn dies durch die politischen Repräsentanten wie durch die Zivilgesellschaft schnell, offen und jeden Zweifel ausräumend geschähe, dann müsste auch einem H. C. Strache beizukommen sein.

Dimensionen eines drängenden Problems

Doch diese Eindeutigkeit vermisst man: Antisemitische Karikaturen haben in Österreich nichts verloren. Und: Ein Jude darf sich in Österreich nicht fürchten müssen, wenn er auf die Straße geht. Warum, um Gottes willen, sind solch selbstverständliche Appelle anno 2012 immer noch notwendig?

Man darf schließlich bei der Bewertung des Themas nicht dessen Dimension aus den Augen verlieren: Ja es stimmt, anderswo - etwa in Ungarn - stellt der Antisemitismus zurzeit ein ungleich bedrängenderes Problem als in Österreich dar. Aber auch das kann nicht als Entschuldigung herhalten, hierzulande still zu bleiben.

Eher handelt es sich um eine Schande ersten Ranges für die EU, aber eben auch für die österreichische Politik und Gesellschaft, wenn die Judenfeindschaft, die beim östlichen Nachbarn besorgniserregende Urständ feiert, beschwiegen wird.

otto.friedrich@furche.at

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