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Deutsche sind wie andere Leute

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Die öffentliche Diskussion über Fassbinders Stück geht in der Bundesrepublik weiter. Vor allem der politische Aspekt der Affäre sorgt im Ausland für Schlagzeilen.

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Die öffentliche Diskussion über Fassbinders Stück geht in der Bundesrepublik weiter. Vor allem der politische Aspekt der Affäre sorgt im Ausland für Schlagzeilen.

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Die letzten Tage haben wiederum einmal gezeigt, daß auch 40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Vergangenheit die Deutschen von heute nicht in Ruhe läßt. Am 1. November sollte Rainer Werner Fassbinders Stück .Der Müll, die Stadt und der Tod' in den Frankfurter Kammerspielen uraufgeführt werden. Es kam jedoch nicht dazu.

Unter Initiative der jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Frankfurts, deren Mitglied übrigens der Bruder des Pariser Kardinals Lustiger ist, kam es zu Demonstrationen vor und in den Kammerspielen.

Etwa 130 Personen, hauptsächlich Juden, besetzten die Bühne, rund 100 versammelten sich vor den Kammerspielen und verhinderten die Uraufführung des Stückes. Am Sonntag, dem 3. November, kam es in Form einer zweiten Generalprobe zu einer geschlossenen Presse-Aufführung.

Inzwischen hatte ein Mitglied der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, das sich als Hausbesitzer betroffen fühlt, eine einstweilige Verfügung gegen das Stück beantragt, die am 8. November vom Gericht hätte entschieden werden sollen, aber auf 13. November vertagt wurde.

Am Sonntag, dem 10. November, gab es überall in der Bundesrepublik Gedenkstunden aus Anlaß des Jahrestages der .Reichskri-stallnachtt bei denen wiederum von jüdischer Seite gegen dieses Stück Stellung bezogen wurde.

Kaum je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, allenfalls 1963 bei Hochhuths „Stellvertreter“, haben ein Theaterstück und der Plan zu seiner Aufführung derartige Erregung geweckt. Rainer Werner Fassbinder hatte dieses Stück vor fast 10 Jahren geschrieben und wollte dabei die Probleme der Bauspekulation im Frankfurt der sechziger und siebziger Jahre aufarbeiten.

Damals entstanden im Frankfurter Westend in einem Gründerzeit-Villenviertel jene Bankhochhäuser, die die Silhouette dieser Stadt prägen und ihr den Namen „Main-hattan“ gegeben haben.

Wer mit der Bahn oder mit dem Flugzeug in Frankfurt ankommt, kann schon von weitem diese Wolkenkratzer, Zeugnisse für das wirtschaftliche Zentrum der Bundesrepublik, erkennen.

In diesem Stück agiert nun als Repräsentant der Bauspekulanten ein „reicher Jude“. Die Art, wie das Stück angelegt ist, hat bei vielen, bei Juden wie auch NichtJuden, den Vorwurf aufkommen lassen, es sei antisemitisch bzw. fördere antisemitische Tendenzen.

Bereits 1976, als es in Buchform bei Suhrkamp herauskam, zog es der Verleger Siegfried Unseld bald zurück. Ihm war vom Text her die Problematik bald bewußt geworden. Die Theaterrechte übertrug Fassbinder an den Verlag der Autoren mit der Auflage, daß dieses Stück nur in Frankfurt oder in New York uraufgeführt werden dürfe.

Da eine Uraufführung in den USA nahezu aussichtslos war, nützte der neue Intendant der Frankfurter Kammerspiele Günther Rühle die Chance für eine Profilierung. Rühle, der übrigens bis vor kurzem Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen“ war und von dort nicht ohne Zwist schied, und sein Team (Dramaturgie, Regie) wußten natürlich von der Brisanz des Stückes, sie versuchten es daher durch Methoden der Regie zu entschärfen, was allgemein von der Kritik auch anerkannt wurde.

An diesem Stück ist jedoch weniger die künstlerische Seite von Interesse, von der manche behaupten, daß sie gar nicht von solcher Qualität sei, sondern die politische.

Ist es vierzig Jahre nach dem Holocaust möglich, die Gestalt eines Juden in einem Theaterstück negativ zu zeichnen? Was wiegt schwerer, die Verankerung der Freiheit der Kunst in der Verfassung als Grundrecht oder die Verantwortung der Deutschen vor ihrer Geschichte? Die Diskussion in den letzten zwei bis drei Wochen in der Bundesrepublik haben eine interessante Frontstellung ergeben.

Günther Rühle hatte bereits im Frühherbst in Frankfurt drei Diskussionsveranstaltungen abgehalten, um die öffentliche Meinung und das Publikum auf die Aufführung vorzubereiten. Bei diesen Diskussionen hatte sich diese Frontstellung bereits abgezeichnet: Die Linke (SPD, Grün-Alternative) war für das Stück, die Rechte (CDU, FDP) eher dagegen. Diese Argumentationslinie blieb bis heute im Prinzip erhalten.

Wer die Geschichte kennt, weiß, daß die Juden des deutschsprachigen Raums ihre politische Heimat in der Regel in der Sozialdemokratie gefunden haben. Die traditionell konservativen oder christlich-sozialen Parteien trugen ja gewisse antisemitistische Züge vor allem wirtschaftlicher Natur, obwohl diese auch in gleicher Weise bei der Sozialdemokratie vorzufinden waren, wie erst jüngst der Grazer Historiker Dieter A. Binder nachgewiesen hat.

Daran ändert sich nach 1945 vorläufig einmal nichts. Linke und Juden fanden sich im .Antifaschismus“ wieder, und der Staat Israel wurde ja von sozialdemokratischen Kräften gegründet und geprägt. Die Wende kam mit dem Sechstage-Krieg 1967.

Auf Seiten der Neo-Linken wurden als „Underdogs“ die Palästinenser entdeckt, während die „alten Kämpfer“ plötzlich ihre Sympathie für den Staat Israel als „Ordnungsmacht“ im Nahen Osten entdeckten. War also vereinfacht gesagt der Philosemitis-mus eine linke und der Antisemitismus eher eine rechte Sache, so verschwammen ab 1967 die Konturen in einem langsamen Prozeß in den siebziger Jahren, der sicherlich auch durch die Nahost-Politik Bruno Kreiskys mit beeinflußt wurde.

In dem Konflikt zwischen dem Grundrecht der Freiheit der Kunst und dem Vorwurf des Antisemitismus hat sich die „Kulturlinke“ eindeutig auf die erstere Position festgelegt. In einem offenen Brief deutscher Theaterintendanten, darunter der designierte Burgtheaterdirektor Claus Peymann, wurde letztes Wochenende gefordert, daß das Stück nicht abgesetzt werden darf.

Nur der aus Österreich stammende Berliner Intendant Sasse formulierte differenzierter: das Stück verbiete sich wegen seines Inhalts von selbst, abgesetzt dürfe es aber nicht werden. In ähnlicher Weise argumentierte auch der Grünen-Politiker und. 68er Revolutionär Daniel Cohn-Bendit, der bei einer Diskussion der jüdischen Gemeinde zurief: „Ich bin für euch“, aber ebenfalls gegen die Absetzung des Stückes ist.

Besteht nun nach alldem die Gefahr eines Sinneswandels und eines neuen Antisemitismus in der Bundesrepublik, der sich zu ähnlichen Formen wie vor 1945 steigern kann? Natürlich nicht. Aber unzweideutig besteht 40 Ja-re nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Ausgangslage als kurz nach 1945. An der Spitze der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Positionen steht eine Generation, die die NS-Zeit bestenfalls als Kinder erlebt hat. Und für die heute Zwanzigjährigen ist der Zweite Weltkrieg so weit entfernt wie für die Zwanzigjährigen 1958 der Erste Weltkrieg es war.

Unterschwelliger Relativierungsprozeß

Da und dort fallen schon auch von kompetenter Seite Worte, die darauf hindeuten, daß sich unterschwellig ein Prozeß anbahnt, der versucht, die deutsche Schuld in der Geschichte aufgrund des Zeitablaufes zu relativieren.

In diesem Zusammenhang sei nur auf die Äußerung des damaligen Regierungssprechers Peter Boenisch erinnert, der anläßlich eines Besuches von Bundeskanzler Helmut Kohl in Israel bei der Frage um die Lieferung deutscher Panzer nach Saudi-Arabien lapidar bemerkte, daß Auschwitz nicht die aktuelle Tagespolitik beeinflussen dürfe.

Die Entwicklung aber.ist noch lange nicht soweit, daß die Distanz zur eigenen Geschichte bereits so groß geworden ist, um unbefangen an eine Materie wie Fassbinders Stück heranzutreten.

Dafür ist die Schuld der Deutschen, das Volk der Dichter und Denker und keine asiatische Despotie, mit ihrem generalstabsmä-ßig geplanten und durchgeführten Massenmord, der in der Geschichte gerade unter dem genannten Prätext keinen Vergleich hat, zu groß.

Hier wiegt die Verantwortung der Geschichte größer als das Grundrecht der Freiheit der Kunst, ein Grundrecht übrigens, daß nur sehr schwer judizierbar ist and den demokratischen Rechtsstaat überfordert.

Wohl am treffendsten hat es die „Frankfurter Allgemeine“ bei ihrer Besprechung des Stückes formuliert: „Ob man Fassbinders Stück für antisemitisch hält oder nicht—ein Stück, das den wenigen Juden, die überlebt haben, solche Angst macht, das spielt man einfach nicht. Und schon gar nicht, wenn man es verfälschen muß, um es überhaupt aufführen zu können.“

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