6740054-1966_38_04.jpg
Digital In Arbeit

... der Verfolgte ist schuldig!

Werbung
Werbung
Werbung

Als- in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Preßburg unter dem Schlachtruf „soziale Reform“ Fenster von Juden eingeworfen wurden, machte sich die Wiener Zeitung „Vaterland“ in ihrem Kommentar über die Feigheit der Juden lustig, die vor dem drohenden Gemetzel flüchteten.

Als zu eben dieser Zeit der Rechtsanwalt Dr. Pattai als Führer der antisemitischen Bewegung für den Posten eines Abgeordneten der damaligen Wiener Vorstadt Mariahilf kandidierte, buhlte er in der Endphase des Wahlkampfes auch um die Gunst der jüdischen Wähler, indem er sie in einer Wahlrede aufmerksam machte, sie mögen sich glücklich schätzen, daß ein Mann wie er die Lösung der Judenfrage unternommen habe. Wider Erwarten unterlag Dr. Pattai, wofür das „Vaterland“ wiederum die Juden verantwortlich machte.

Was immer geschah, der Schwarze Peter blieb bei den Juden.

Heute ist eine andere Zeit. In Ermangelung von genügend Juden werden diese in Österreich nicht mehr gemetzelt. Und aus ebendemselben Grund ist es heute für eine Partei noch sicherer als damals, sich im Wahlkampf antisemitischer Parolen zu bedienen.

Auch die Art, in der sich der Antisemitismus manifesitiert, hat sich geändert. Man ist gegen die Juden, sagt es anonym, handelt darnach anonym und im späteren Gespräch gibt man sich als alten Philosemiten.

Das unerreichte Vorbild ist wieder einmal in Deutschland zu finden: die „National- und Soldaten zeitung“.. Die ist so tolerant, daß sie sogar jüdische Schreiber abdruckt, wenn sie auf andere Juden schimpfen.

Das dort mit Recht meistzitierte österreichische Blatt ist der „Wiener Montag“. Auch dieses hat es auf seine Art zu einer beachtlichen Perfektion gebracht. Als zum Beispiel aus den USA eine Kommission nach Österreich kam, um diverse antisemitische Vorkommnisse auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen, hieß es da:

„Wenn jemand — einundzwanzig Jahre nach Untergang des Dritten Reiches — die Stirn aufbringt, zu behaupten, es gebe in Österreich einen Antisemitismus, dann müßte er auch den Mut haben, nach den Gründen zu fragen. Seit über zwei Jahrzehnten wird das österreichische Volk offiziell pazifistisch, anationalund pro jüdisch beeinflußt. Wenn es demnach tatsächlich antijüdische Erscheinungen in Österreich geben sollte, dann müßte es sich um Reaktionen handeln, die auf die unmittelbare Gegenwart zurückgehen.“

Um das Deutsch dieser deutschnationalen Zeitung ein wenig zu entwirren, sei der Inhalt zusammengefaßt: Es gibt keinen Antisemitismus. Wer immer das Gegenteil behauptet, muß zu diesem Behufe erst die Stirn aufbringen. Sollte es aber trotz dieser Tatsache dennoch Antisemitismus geben, so tragen daran die Juden die Schuld!

Und um es auch allen klarzumachen, druckt die Zeitung in derselben Ausgabe folgenden Leserbrief ab:

„Es hat mich sehr gefreut, daß Sie auf die Ungehörigkeit der vier US-Senatoren hingewiesen haben, die sich erdreistet haben, wegen angeblicher antisemitischer Vorfälle in Österreich, die amerikanische Öffentlichkeit gegen unser Land aufzuhetzen. Sie haben mit Ihrer Ansicht völlig recht, wenn Sie sagen, daß dieses ganze ,Theater‘ bestellt war.“

Was immer geschieht, der Schwarze Peter bleibt bei uns Juden. Um die geschickt produzierten Unklarheiten zu beseitigen, scheint es tatsächlich notwendig zu sein, den Wahrheitsbeweis für existierenden Antisemitismus zu führen:

Friedhofsschändungen in Horn (Niederösterreich) und Innsbruck.

In Innsbruck wurde ein Mann vor Gericht gestellt, weil er verkündet hatte, es seien zu wenig Juden vergast worden. Freispruch...

Im Salzburger Prozeß gegen die Gebrüder Mauer machte der Verteidiger die Geschworenen darauf aufmerksam, daß dieser Prozeß vom Weltjudentum inszeniert worden sei. Dröhnender Applaus des Publikums war die Antwort. Freispruch...

Ein Professor an der Innbrucker Universität, der von einem Wiener Gericht als Sachverständiger herangezogen wurde, beschrieb in seinem psychiatrischen Gutachten den Lebensweg eines Beschuldigten namens Gerszon Kupferblum:

„Er habe sich in Palästina eine kleine Landwirtschaft in Pacht genommen. Er habe dort etwas Neues eingeführt, eineM Hühnerzucht. Das sei schon in seiner Kindheit sein Hobby gewesen: Er habe in Polen 14 Goldmedaillen auf diesem Gebiet erworben. Die Neueinführung in Palästina habe er ,Green-Ducks' genannt. Er habe von eintägigen Entenküken in sechs Wochen Zweikiloenten gezüchtet. Auch dieses Hobby wirft wieder, wie hinzugefügt werden darf, ein Licht auf die Motivationen und Interessen des Angeklagten, die sich offenbar vorwiegend darauf beschränken, möglichst rasch und ohne besondere Anstrengung und Arbeit möglichst viel zu verdienen. Nämlich Motive rein materieller und geschäftlicher Natur.“

Eine weitere Kostprobe aus diesem Gutachten:

„In Jerusalem sei ihm ein Sohn geboren worden, er habe seine Frau dort gelassen und sei zur karpa- thischen Brigade (polnisch) gegangen. Er sei dann als einfacher Soldat an die Afrikafront nach Tobruk gekommen. Bei El-Alamein sei er nicht mehr dabei gewesen, leider. Da habe er schon eine ,verantwortliche‘ Stelle gehabt. Er scheint es also auch damals verstanden zu haben, sehr rasch einen möglichst bequemen Posten zu kriegen.“

In Österreich leben mehrere Lagerärzte und SS-Bewacher von Auschwitz. Die erste Anzeige in diesem Zusammenhang wurde schon Im März 1960 erstattet. Sollte es je zu einem Prozeß kommen, so vermutlich erst dann, wenn noch mehr Belastungszeugen gestorben sein werden. Und das offizielle Österreich wird die Schuld an den zu er-

wartenden Freisprüchen wieder auf die Geschworenen wälzen können. Vielleicht nehmen sich diejenigen, die dafür sorgen, daß der Prozeß gegen die Judenmörder nicht stattfindet, Stimmen wie die folgende — aus einem Leserbrief, den „Die Presse“ abdruckte — zu Herzen:

„Ich kann Ihnen versichern, das österreichische Volk hat von diesen Prozessen endgültig genug."

Wann immer wir Juden bisher auf solche Zeugnisse höherenorts aufmerksam machten, wurde uns entgegengehalten, die Antisemiten stellten in Österreich eine verschwindende Minderheit dar, die man übergehen könne. Man steckte den Kopf zur Hälfte in den Sand, vielleicht in der Hoffnung, daß die Antisemiten wirklich einmal in der Minderheit sein würden.

Kopf in den Sand!

Seit neuestem jedoch praktiziert man eine andere Technik. Man steckt den Kopf zur Gänze in den Sand. Außenminister Dr. Toncic erklärte in London, es gebe in Österreich überhaupt keinen Antisemitismus. Dies schloß er aus der Tatsache, daß es in Österreich kaum noch Juden gibt. Als ihn ein Jude in Wien fragte, wie er das behaupten könne, antwortete Toncic: „Ich verstehe das nicht. Wo immer ich sage, daß es keinen Antisemitismus in Österreich gibt, sind die Leute mit mir einverstanden. Nur die Juden sind nicht damit einverstanden.“ Die amtliche „Wiener Zeitung“ (Eigentümer und Herausgeber: Die Republik Österreich) sekundierte. Ein Redakteur — nebenbei Wiener Gemeinderat — leitete einen Kommentar zu den Rassenunruhen in den USA mit folgendem Nebensatz ein:

„Wenige Wochen, nachdem sich in Wien Vertreter des US-Judentums über einen nicht einmal in Ansätzen vorhandenen österreichischen Antisemitismus — Entgleisungen Im Wahlkampf sind nun einmal kein Beweis dafür — besorgt zeigten..."

Wieso ist eigentlich Stimmenfang unter Zuhilfenahme antisemitischer Parolen kein Beweis für Antisemitismus? Der amtliche Redakteur übersieht, daß dies zumindest in diesem Jahrhundert eine der Hauptfunktionen des Antisemitismus ist. Den Aufrufen der Herren Pattai, Lueger und Hitler schließt sich folgender fugenlos an:

„Die Juden in der SPÖ greifen nach der Macht: Pittermann, Kreisky, Czernetz, Waldbrunner!“ Zu lesen auf einem Flugblatt, das vor der letzten Nationalratswahl in Niederösterreich gestreut wurde.

Hier kann man besonders gut die moderne österreichische Variante des Antisemitismus verfolgen. Mangels von genügend Juden ernennt man alle die dazu, die man für einigermaßen unbeliebt hält. Auf diese Art verschaffte die Flüsterpropaganda auch den Herren Broda, Probst und Freund eine neue Religion ...

Eine „jüdisch-marxistische Clique“

Es ist zwar kein Zufall, daß sich diese Flüsterpropaganda gegen sozialistische Funktionäre richtet. Aber der Antisemitismus ist nicht nur in der ÖVP zu Hause: 16 Prozent der sozialistischen Vertrauensleute gaben auf die Frage nach dem eigentlichen Grund für den Parteiausschluß Franz Olahs an, ihrer Meinung nach habe ihn eine jüdisch- marxistische Clique herausgedrängt. Und Olah wußte diese Annahme mit viel Geschick und einigem Erfolg im Wahlkampf zu nutzen.

All dies ist — laut der republikeigenen „Wiener Zeitung“ — kein Beweis für Antisemitismus. Ebensowenig wie die kernige Bezeichnung „Saujud“, die der niederösterreichische Bauernführer Scheibenreif vor der Wahl für den damaligen Außenminister fand.

Zweifelhafte Tradition

Das „Neue Österreich“ fand — nach der Wahl — einen Weg, die Angelegenheit zu applanieren: Scheibenreif sei weder ein professioneller Judenfresser noch ein verkappter Faschist. Nein, diese „Entgleisung eines integren Mannes" sei eben nur aus der Tradition des Antisemitismus in Österreich zu erklären. Und Kreisky solle mithelfen, die Wurzeln des Antisemitismus auszureißen, indem er die Hand zur Versöhnung reiche.

Und der Bundeskanzler erhielt Lob, weil er sich — nach der Wahl — traute, von der Äußerung des starken Mannes Scheibenreif abzu- rüeken. Die Rüge galt freilich Scheibenreif und seinen Anklägern zu gleichen Teilen:

„Wenn in der Hitze des Wahlkampfes da und dort Äußerungen gefallen sind, die dem Geist der Toleranz widersprochen haben, so müssen wir das bedauern und auch verurteilen. Dies gilt vor allem für Bemerkungen, die geeignet sind, einen Antisemitismus zu erwecken, den die österreichische Bevölkerung in ihrer überwältigenden Mehrheit ablehnt. Gefährlich ist allerdings nicht nur der Versuch, konfessionelle oder rassische Vorurteile zum Gegenstand politischer Argumentation zu machen ..."

... nach dem Wahlsieg

Das kann nur heißen: Es ist nicht nur verurteilenswert, im Wahlkampf eine antisemitische Äußerung zu tätigen, sondern auch, diiese Äußerung als politischer Gegner anzuprangern. Scheibenreif ist heute wieder der mächtige, integre und angesehene Mann von früher, denn er hat sich ja bei Kreisky entschuldigt — nach der gewonnenen Wahl.

Doch warum wühle ich all das auf?

Es tut mir leid, daß ich es bin, der dies tun muß. Und daß es meist Juden sind, die den Antisemitismus ehrlich und ohne Schielen auf irgendwelche Wähler- oder Lesergruppen attackieren. Und daß man uns vorhält, wir hörten das Gras wachsen und seien zu leicht „an- gerührt“. Und daß Österreich nicht erkennt, daß unser Kampf gegen den Antisemitismus gar nicht mehr der Kampf für die Juden ist.

Denn da hat Außenminister Toncic recht: Die Juden selbst sind in Österreich kein Problem mehr. Der winzige Rest von rund 10.000 Leuten ist in seiner körperlichen Sicherheit zur Zeit nicht gefährdet. Aussterben, Abwandem nach Israel und Vermischung bewirken, daß ich vermutlich der letzten oder vorletzten Generation jüdischer Österreicher angehöre.

Dennoch: Der Kampf muß weitergeführt werden. Mit mehr Ernst und mit weniger Heuchelei denn je. Denn es ist ausschließlich ein Kampf für Österreich, in dem — man verzeihe den banal klingenden Satz — erst dann echte Demokratie und Zivilisation verwirklicht sein wird, wenn es keinerlei Vorurteile mehr gibt. Wer in diesem Kampf den vorherrschenden Antisemitismus ableugnet oder bagatellisiert, stellt sich in die Kampflinie der Antisemiten.

Der Kampf gegen den Antisemitismus liegt in Österreich nur noch im Interesse der Nichtjuden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung