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Verheerende Wirkung

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Es ist traurig, aber sie übertrieb nicht. Die sich zuspitzenden antä-semltistischen Ereignisse der letzten Jahre über die man ja zu gut Bescheid weiß — haben eine verheerende Wirkung unter den Juden Amerikas hervorgerufen. Man mag einwenden, daß es ja eben letzthin stiller geworden ist, daß Ansätze da sind, die ein Fähnlein der Unermüdlichen benützt, um zu lehren, um aufzuklären. Es ist wenig bekannt, wie sehr zwei verschiedene Faktoren zusammenwirken, um eine Reaktion gegenüber Österreich im Weltjudentum — vielleicht besonders in den USA hervorzurufen, die sich, milde gesagt, weit von Objektivität entfernt hat.

Die Nachkriegs jähre waren still, vielleicht zu still. Antisemitismus war etwas, was weiterbestand sich wie ein Krebsgeschwür entwickelte, aber man sah wenig und hörte wenig davon. Es gab viele im Judentum — und überraschenderweise gerade unter den Überlebenden der Todeslager, die bereit waren, zu vergeben — und vor allem: zu vergessen und wieder au leben. In den ersten Jahren des sechsten Jahrzehnts trat eine Änderung der Stimmung ein: einzelne kühne Juden stöberten Massenmörder auf, die Schwäche der Urteile brachte Fragwürdigkeiten in der Justiz an den Tag — und Österreichs Antisemitismus wurde eine offene Schande, ein lauter Welt-skandal.

Nun zu den Juden, die das alles vom Ausland her ini tainsahen: hier muß man doch zwischen den früheren Österreichern und den anderen unterscheiden; die NichtÖsterreicher waren ganz einfach verärgert — und zwar am meisten über die, die zurückgekehrt oder nicht weitergewandert waren. Sie haben Österreich lange als ein Land, in dem Juden leben können, aufgegeben. Sie bezeichnen Rückkehrer als charakterlos, ohne Rückgrat — oder bedauern sie, weil sie „begreiflicherweise ihre Rückerstattung haben wollen“. Ganz anders liegt es bei den früheren Österreichern. Hier ist es tiefes Leid, Heimweh, Sehnsucht, und der Wille, die Notwendigkeit, all dies zu unterdrücken, zu „rationalisieren“. Jeder, der etwas Ahnung von Psychologie hat, wird wissen, daß diese Juxtaposition am ehesten etwas aufgreift, was zum Haß gegen das führt, was man lieben möchte. Nun, man brauchte leider nicht weit zu suchen — die Antisemiten in Österreich gaben genug Material. Dieser Haß jedoch ist emotioneil viel tiefer, stärker — und vielleicht auch blinder und allumfassend.

Vorurteile

All dies ist nicht einfach Theorie, sondern Erlebnis. Durch meine Arbeit über jüdische Rückkehr nach Wien, meine Tätigkeit hier in den USA, und Kontakte an einer liberalen Universität mit jüdischem Hintergrund hatte ich viele Gespräche, bekam Briefe mit Kommentaren und hörte mit eigenen Ohren... Ich habe die feste Meinung, daß der österreichische Antisemitismus seine schwerwiegendsten Folgen bei den Juden selbst hatte. Jahrtausende hat man den Juden ausgelacht, karikiert, der steten Bereitwilligkeit wegen, nach dem Pogrom, der wüsten Hetze, der Beleidigung still zurückzukehren und damit zu zeigen, wie stark sein Glaube ist, Die Mitwelt hat das in Österreich nicht verstanden — selbst als nach dem Kriege viele der Uberlebenden treue Nachkommen der „still Zurückkehrenden“ waren... Jetzt, vielleicht auch mit dem Selbstbewußtsein, das der aktive Kampf in Israel dem Weltjudentum gab, ist die Lage verändert. „Man soll sich darüber freuen“, sagte ein früherer Österreicher, als ich darüber sprach. „Ja, ich liebe das Land, aber ich bin froh, daß ich die Erzantisemiten, und das sind alle Österreicher, hassen kann...“ Jahrhunderte haben wir dagegen gekämpft, daß verallgemeinert wird ... „Alle Juden sind kommerziell begabt... alle Öst-juden sind schmutzig“ ... nun ist es soweit, daß alle Österreicher in der jüdischen Vorstellung Antisemiten sind.

Es geht soweit — und wieder spreche ich aus eigener Erfahrung

—, daß selbst jemand wie ich, die objektiv studieren will und studiert hat, diesen tragischen Haß mitleiden muß. „Laß das doch absterben, wozu sich mit diesen Verrätern überhaupt abgeben, das geht mir gegen den Strich...“ (Gemeint sind die in Österreich lebenden Juden.) Die ärgste Aggressivität zeigt sich aber, wenn man versucht, das krankhafte „alle“ mit Beweisen zu berichtigen .....Also auch Sie gehören dazu!“ (Hörte ich nicht wie ein Gespenst dasselbe, wenn im antisemitischen Lager jemand „berichtigte“?)

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