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Wie harmlos ist der Antisemitismus heute?

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Natürlich haben die Leute oft gesagt, es geht da zu wie in einer Judenschule. Das ist ja auch eine Art Antisemitismus, wenn man will, in einer abgewandelten Form."

„Man hat gespürt, daß bestimmte Leute und bestimmte Kunden mit uns nichts zu tun haben wollen. Wir haben hinten herum gehört, daß die Konkurrenz sagt, kauft nicht bei dem, das ist eine jüdische Firma."

„Wenn man das eine Form von Antisemitismus nennen will, muß man Ja sagen: daß ein Angestellter einmal einen Verweis gekriegt und sich geärgert hat, daß der Jud* ihn kritisiert." „Ich hab immer das Gefühl gehabt, ich bin der Paradejud', und wenn alle Juden so wären wie ich, dann gäbe es keinen Antisemitismus."

„Es ist oft erwähnt worden, daß die oder der ein Jude ist, aber ohne Haß. Es war absolut harmlos. Man hat's in Witzform gesagt, daß man gemerkt hat: Aha, der ist einer, der mag Juden nicht. Oder er mag nur die, die er genau kennt. Ins Gesicht hat man es ihnen nicht gesagt, man wollte ihnen ja nicht wehtun."

„Ich habe bei der Fürsorge gearbeitet. Einmal war eine Konkurrenzsituation und da habe ich gehört, daß herumgeredet wurde: was brauchen wir die Jüdin da."

„Die Beobachtung, die ich gemacht hab, ich sage es auch ganz ehrlich. Bei den Juden, in der jüdischen Rasse gab es riesige Diskrepanzen. Juden sind entweder sehr gescheit oder sie sind Kretins. Sie sind entweder sehr sauber, oder sie, verzeihen Sie, erstik-ken im Dreck. Manche sind sehr hübsch, die anderen sind fürchterlich, mit einem fürchterlichen Ponem (Gesicht, Anm. d. Red.). Das richtige Mittelmaß, das hat bei den Juden gefehlt."

Juden und NichtJuden erinnern sich: an die Zeit vor und an die Zeit nach dem Krieg. Schwer zu unterscheiden, welche ihrer Erinnerungen die Zwischenkriegszeit, und welche davon die jüngste Vergangenheit und Gegenwart betreffen.

Was bedeutet das? War der Alltagsantisemitismus der Ersten Republik — danach befragte ich meine Gesprächspartner(innen) — tatsächlich nicht stärker als heute? Oder, mit Unbehagen die Umkehrung überlegt, ist der Alltagsantisemitismus heute nicht schwächer als damals?

Offizieller Antisemitismus ist heute zweifellos undenkbar. In der Ersten Republik manifestierte er sich nicht nur in Parteiauseinandersetzungen, Wahlkämpfen und in etlichen etablierten Zeitungen, sondern auch in regelrechten Schlachten an den Hochschulen, von denen damalige Studenten Unglaubliches zu berichten wissen: An der Grazer Universität wurde im Jahr 1920 Juden wegen ihrer „Volkszugehörigkeit" vom Rektorat die Inskription verweigert. So etwas ist heute ausgeschlossen.

Wie heute scheint die breite Öffentlichkeit für Politikerauseinandersetzungen und Studentenkonflikte nur begrenztes Interesse gezeigt zu haben. Im täglichen Umgang gingen Juden und Nicht-juden relativ unbelastet miteinander um. Wie heute.

Drängt sich jedoch beim Aufruf des Verbandes deutsch-arischer Rechtsanwälte im Dezember 1936: „Denken Sie bei Ihrem Einkauf daran, daß Weihnachten ein christliches Fest ist. Decken Sie Ihren Bedarf nur bei arischen Firmen", nicht der immer wiederkehrende Aufkleber der letzten Jahre und Monate mit dem Text „Kauft nicht bei Juden" auf?

Wie meint eine jüdische Frau, die Vergleiche zieht? „Man hat jetzt mehr Scheu, sich offen als Antisemit zu bezeichnen, weil man ja nicht als Nazi bezeichnet werden will."

Die Zahl antijüdischer Publikationen war damals größer, die Formulierungen waren drastischer. Ihre Zahl ist jedoch auch heute immer noch hoch genug und manche Passagen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

So wurde eine Organisation vor zwei Jahren wegen nachstehender Propaganda für eine Broschüre zwar angeklagt, schließlich aber freigesprochen: „Um die Unabhängigkeit unserer Nation zu schützen und sie vor der Eroberung durch jüdische Eindringlinge und vor der geheimen Macht, die diese darstellen, zu bewahren", so die Werbung, gelte es „dieses Werk zu verbreiten, bevor die jüdische Zersetzung so stark wird, daß sie die Sicherheit und nationale Souveränität bedroht oder zerstören kann."

Aus Anlaß einer Friedhofsschändung in Niederösterreich im Jahr 1933 berichtete die jüdische „Stimme" auch über die Erschütterung der christlichen Bevölkerung und davon, daß der Pfarrer des Ortes das Ereignis zum Anlaß einer Predigt und einer scharfen Verurteilung nahm. Anschläge auf jüdische Gräber und Einrichtungen haben in den letzten Jahren und Monaten in der Bevölkerung keine Erschütterung ausgelöst, bestenfalls Sensationslust.Ist man es (wieder) gewöhnt?

Betrachtet man das letzte Untersuchungsergebnis der Soziologin Hildegard Weiss (Frühjahr 1982), so äußern etwa 20 Prozent der Österreicher einen starken, rund 60 Prozent einen „mittleren" und nur 20 Prozent keinen Antisemitismus. So wie sich die „starken" Antisemiten in der Zwischenkriegszeit auf den Universitäten und in Leserzuschriften an Antisemitenblätter zu Wort meldeten und das heute in anonymen Zuschriften an den ORF, an Zeitungen und Privatpersonen tun, so äußern sich die „mittleren" Antisemiten wie eh und je „harmlos": in Witzform, in mehr oder weniger deutlichen Bemerkungen hinten herum, oder wie jene Dame mit ihren zitierten Beobachtungen über das fehlende jüdische Mittelmaß.

Das Offizielle, das Legitimierte, das provokante Zur-Schau-Stel-len von Antisemitismus gibt es heute nicht. Während die Juden in, der Zwischenkriegszeit der Ansicht waren, der „mittlere" Antisemitismus wäre harmlos und nicht bps gemeint, reagieren sie heute vorsichtiger: „Heute weiß ich, daß das die Vorläufer waren, daß es so begonnen hat, daß es zu unserer Tötung geführt hat."

Wie leicht harmloser, nicht bös gemeinter Antisemitismus in brutale Gewalt umschlagen kann, äußert eine heute 87jährige jüdische Frau immer noch fassungslos: „Wir haben nie ein Wort gehört von Antisemitismus und Juden, es ist nie eine Bemerkung zu uns gemacht worden. Bis Hitler einmarschiert ist. Das war, wie wenn sich plötzlich alles umgedreht hätte, das war wie umgedreht... "

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