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Im Netz von Angst und Vorurteilen

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Der harte Kern der Antisemiten in Österreich liegt -nach verschiedenen Umfrageergebnissen - zwischen drei und zehn Prozent. Latente Vorurteile reichen tiefer.

Ein Gespenst geistert wieder durch Österreich, das nach allgemeiner Ubereinkunft eigentlich längst gebannt sein sollte: der Antisemitismus. Gemeint ist jene Mischung aus Vorurteil und Angst, aus Schuldzuweisung und Uberlegenheitsgefühl, aus Intoleranz und Unverständnis gegenüber Menschen jüdischer Herkunft, gegenüber „den Juden“ schlechthin, die den Nährboden für deren Diskriminierung und — in letzter Konsequenz — physische Verfolgung bereitet.

Kaum vierzig Jahre nach dem Holocaust, der Vertreibung und Ermordung von Millionen Juden in ganz Europa durch deutsche und österreichische Nationalsozialisten, wirft die Vergangenheit wieder lange Schatten auf die Gegenwart. Vor der Wiederbelebung, vor dem „Wiederaufflammen“ antisemitischer Ressentiments wird gewarnt.

Jagt man dabei bloß ein Phantom? Oder halten sich tatsächlich in Österreich hartnäckig antijüdische Stereotypen? Und wenn ja, in welchem Ausmaß?

Die Erkundung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung ist nicht leicht. Kaum einer, der die Frage „Sind Sie ein Antisemit?“ mit einem Ja beantwortet. Daher wird versucht, mit einem ganzen Bündel von Fragen dem Phänomen auf die Spur zu kommen.

Zum Beispiel hat das Linzer

„Imas“-Institut 1973 einen sogenannten Antisemitismusindex erstellt, dem fünf Behauptungen zugrunde liegen:

• Es wäre für Österreich besser, keine Juden im Land zu haben.

• Ich würde keinen Juden heiraten. ,

• Wenn ein Jude etwas Gutes tut, dann tut er es meistens aus Berechnung.

• Die meisten Juden sind feige.

• Die meisten Juden sind geizig und raffgierig.

30 Prozent der Befragten haben keiner dieser Behauptungen zugestimmt. 46 Prozent bejahten eine oder zwei der genannten Feststellungen. Ihnen kann eine schwache antisemitische Neigung unterstellt werden. Fast ein Viertel der Befragten gab drei, vier oder fünf Behauptungen seine Zustimmung. Diesen fast 25 Prozent der Österreicher können demnach latente, verfestigte bis starke antisemitische Neigungen zugesprochen werden.

Im wesentlichen hat sich an dieser Meinungsstruktur - vergleicht man Umfragen mit ähnlichen Fragestellungen in den letzten Jahren — wenig geändert.

Mit drei Stereotypen wollte im Juni 1985 eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft für Informati-ons- und Medienforschung (FURCHE 30/1985) zum „harten Kern“ der Antisemiten vordringen:

• Für einen NichtJuden ist es oft schwer, wenn er einem Juden die Hand gibt, einen gewissen körperlichen Widerwillen zu unterdrük-ken.

• Eigentlich müßte man den Nazis dankbar sein, daß sie die Juden aus Österreich vertrieben haben.

• Die Juden haben einen schlechten Einfluß auf Kultur und Zivilisation.

Das Ergebnis zeigt Zustimmung zwischen drei Prozent („Eigentlich müßte man den Nazis dankbar sein ...“) und zehn Prozent (körperlicher Widerwillen beim Handgeben).

Nimmt man verschiedene Antisemitismus-Umfrageergebnisse im Jahresvergleich, dann kann durchgängig eine langsam abnehmende - sowohl latente wie offene - Judenfeindschaft der Österreicher insgesamt seit 1945 festgestellt werden. Was bleibt, ist auch die Tatsache, daß bestimmte aktuelle Ereignisse latent vorhandene antijüdische Affekte verstärken. So hat sich zum Beispiel das überwiegend positive Image des Staates Israel bei den Österreichern nach dem Einmarsch der Israelis im Libanon im Jahre 1982 relativ dramatisch ins Gegenteil verkehrt.

In einer Umfrage im November 1982 beantworteten 46 Prozent der Österreicher die Frage „Hat sich Ihre Einstellung gegenüber Israel 'seit dem Krieg im Libanon verbessert, ist sie gleichgeblieben, oder hat sie sich verschlechtert?“ mit „Meine Einstellung hat sich verschlechtert“.

Und die Einstellung gegenüber dem Judenstaat Israel ist zugleich auch ein Indiz für antijüdische Vorurteile. Dahinter steht das Phänomen, daß sich während der letzten beiden Jahrzehnte zunehmend der „rechte“ Antisemitismus mit dem „linken“ Antizionis-mus in Sachen Israel paart.

Die Forschungsergebnisse über Antisemitismus machen vor allem aber eines deutlich: Der Abbau von irrationalen Vorurteilen gegenüber Juden gelingt dann am besten, wenn die Gesellschaft den Antisemitismus nicht als isolierte „Krankheit“ behandelt.

Was not tut, ist eine Einstellungsänderung hinsichtlich unserer grundsätzlichen Haltung gegenüber allen ethnischen, religiösen sowie weltanschaulichen Minderheiten. Und da gibt es in Österreich in der Tat genug Schutt, der noch weggeräumt werden muß.

So sehr auch die Antisemitismusforschung darauf hindeutet, daß antijüdische Vorurteile mit steigendem Bildungsniveau abnehmen: die ausschließliche Spekulation auf Aufklärung und Toleranz durch Bildung wird zu wenig sein.

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