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Viel Enttäuschung

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Jüdische Studenten und Jugendliche demonstrieren vor den sowjetischen Botschaften der freien Welt mit Sprechchören: „Let my people go“ (Laß mein Volk ziehen) für die ungehinderte Auswanderung der Juden aus der Sowjetunion. Russische Juden innerhalb der Sowjetunion geben den Forderungen ihrer Brüder im Westen Nachdruck, indem sie ebenfalls des öfteren demonstrieren, und zwar für das Recht auf ihre eigene Auswanderung. Dreißig- t vierzigtausend Juden aus den Ostblockstaaten sollen allein in diesem Jahr nach Israel kommen.

In der westlichen Hemisphäre wirbt der israelische Staat mit Hilfe der zionistischen Weltorganisationen für Rückkehr in die alt-neue Heimat. Diese Bemühungen haben jedoch nur teilweisen Erfolg, da die Juden der freien Welt, insbesondere die Jugend, sich als gleichberechtigte Bürger der Länder fühlen, in denen sie leben, und diese als ihre Heimat ansehen.

Das Beispiel der amerikanischen Juden veranschaulicht dies besonders deutlich. Von den 400.000 jüdischen Studenten der USA glauben nur 8 Prozent daran, daß die jüdische Religion irgendeine Bedeutung für ihr Leben habe, im Gegensatz zu 42 Prozent der katholischen und 15 Prozent der protestantischen. 20 Prozent dieser Jugendlichen erklärten, daß sie jeden Kontakt mit dem jüdischen Glauben abbrachen. Nur 7 Prozent von ihnen zeigten Interesse an Israel. Die Tatsache ihres Judeseins wird von den meisten Studenten als reiner Zufall angesehen. Trotzdem findet Jahr für Jahr ein kleiner Teil der zionistischen Minderheit den Weg nach Israel.

Die Neuankömmlinge aus den Vereinigten Staaten und aus Europa rekrutieren sich im allgemeinen nicht aus den dort seit Generationen ansässigen jüdischen Familien. Zumeist handelt es sich um die zweite Generation ehemaliger Emigranten aus anderen Ländern, deren Kinder meistens noch in den Herkunftsländern zur Welt kamen. Unvorhergesehene Arbeitslosigkeit, wie sie in der Raumfahrtindustrie und der Atomentwicklung eintrat und zur Entlassung tausender Spezialisten führte, brachte eine Welle jüdischer Fachleute nach Israel. Braucht der Staat Israel wirklich diese Neueinwanderer? Will er sie ernstlich absorbieren? Gibt er ihnen die Möglichkeit zur Integration und vollen Entwicklung ihrer Fähigkeiten? Die offizielle Antwort lautet: „Ja.“ Entspricht dies aber den Tatsachen? 21 Prozent der Neueinwanderer aus westlichen Ländern (1971 rund 15.000) geben bereits im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in Israel durch Verlassen des Landes eine negative Antwort.

Die Neuangekommenen überfällt oft ein Gefühl der Enttäuschung. Zionistische Propagandisten zauberten ihnen in ihren Herkunftsländern ein falsches Idealbild Israels vor. Sie malten das Bild eines Landes, in dem es von Pionieren und Idealisten nur so wimmelt. Viele religiöse Einwanderer kamen in der festen Überzeugung, daß man in Israel streng nach den Vorschriften der Heiligen Schrift lebe. Auf beide Gruppen wirkte die Tatsache enttäuschend, daß dieser Staat für Nichtreligiöse zu religiös und für Gläubige zu wenig religiös ist. Die harte Wirklichkeit für Neueinwanderer beginnt manchmal bereits bei den ersten Kontakten mit der israelischen Bürokratie. Unterbezahlte und daher nicht immer frohgelaunt ihren Dienst versehende Beamte empfangen ab und zu Neueinwanderer mit saurer Miene. Vielfach verstehen sie auch nicht deren Muttersprache. Hinzu kommt der Neid vieler kleiner Beamter auf die Vergünstigungen, die den Neueinwanderern zusätzlich in den Schoß fallen.

Jeder Neueinwanderer hat Anrecht auf Zuweisung einer verbilligten Wohnung zu langfristigen Finanzierungsbedingungen. Sogar Ehepaare ohne Kinder erhalten Drei-Zimmer-Wohnungen zugewiesen. Israel ist aber ein Land mit besonders akuter Wohnungsnot. Alteingesessene Familien leben mit zwei und drei Kindern in Zwei-Zimmer-Wohnungen. Unzählige junge Paare können nicht heiraten, weil sie niemals, auch wenn beide verdienen, das Geld für den Kauf einer Wohnung zusammenbrächten. Hingegen erhalten, wie bereits erwähnt, Neueinwanderer, ob jung oder alt, kurz nach ihrer Einwanderung eine Wohnung zugewiesen.

Während jeder junge Israeli drei Jahre beim Militär dient und jedes Jahr vier bis sechs Wochen Reservedienst so gut wie unbezahlt zu absolvieren hat, erhalten die meisten Neuankömmlinge im militärpflichtigen Alter ein Jahr nach ihrer Einwanderung eine kurze Rekrutenausbildung und werden der Reserve zugeteilt.

In israelischen Regierungskreisen stellt man sich seit einiger Zeit die Frage, ob die erwähnten wirtschaftlichen Vergünstigungen für Neueinwanderer auch wirklich vertretbar sind, und man tut dies ganz besonders, seit eine Reihe von Mißbräuchen bekannt wurde.

Nicht jeder Einwanderer ist bereit, seinen Beruf aufzugeben, auch wenn er keine Beschäftigung in ihm findet. Lieber wartet er monatelang vergeblich, bis er entweder klein beigibt oder die Konsequenzen zieht, indem er das Land resigniert verläßt. Sogar unter den Juden aus der Sowjetunion gibt es bereits einige Rück-oder Weiterwanderer mit den Traumzielen BRD und USA.

Trotz der aufgezählten Schattenseiten ist aber die allgemeine Einwanderungsbilanz eine positive. Durchschnittlich nur neun bis zehn Prozent der in den letzten drei Jahren Eingewanderten haben das Land wieder verlassen. Die anderen gewöhnten sich ein. Nach fünf bis sieben Jahren sind diese Neubürger bereits zu „alten Israelis“ geworden, fühlen sich wie diese, sprechen Hebräisch und schimpfen wie alle anderen auf die Steuern und die Neueinwanderer...

Tito — oder doch ein Kurswechsel?

Breschnjew in Belgrad. Tito in Moskau. Lenin-Orden an die Brust. Dann nach Warschau. Gierek nach Moskau. Titos Premierminister (erstmalig) zur COMECON-Tagung. Alles in Butter. Sie haben nämlich „gleiche oder doch sehr ähnliche Auffassungen“, sagen die Kommuniques. Das ist die eine Seite, und die ist immerhin neu.

Die andere ist alt:

Schon 1200 Jung- oder Altgenossen, eben noch auf hohen Parteirossen, stehen nun in Kroatien und Serbien vor Gericht. Förmlich über Nacht wurden aus ihnen: Nationalisten, Chauvinisten, NeoStalinisten, Opportunisten, Volksverhetzer, Sub-versanten, Links- und Rechtsabweichler, faschistische und/oder imperialistische Agenten, Verräter oder Helfershelfer und was es ähnliche, oft tödliche Bezeichnungen mehr gibt. Parteifeinde eben.

Ein Zufall?

Kenner kennen das: Kurswechsel steht ins Haus! Und zugleich ein rüder Vorgriff auf das politische Testament des alten Marsehalls von Jugoslawien, das sonst vielleicht ganz anders ausgesehen hätte ...

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